Freitag, 13.09.2024 / 13:01 Uhr

Zwischen Islamismus und Multipolarität: Erdogans Strategie zur Neuorientierung der Türkei

Recep Tayyip Erdoğan, Bildquelle: Kremlin.ru

Der türkische Präsident möchte sein Land zum Teil der BRICS Staaten machen und fordert ein islamisches Bündnis gegen Israel.

Letzte Woche machen verschiedene Zeitungen und Nachrichtenmagazine darauf aufmerksam, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein islamisches Bündnis gegen Israel anstrebt. Er behauptete, Israels „Expansionismus“ werde nicht im Gazastreifen enden, und warnte davor, dass der jüdische Staat als nächstes den Libanon und Syrien ins Visier nehmen werde. Erdogan betonte, dass die Hamas nicht nur Gaza verteidige, sondern die islamischen Länder insgesamt.

Diese Äußerungen stehen im Einklang mit Erdogans verstärkter antiwestlicher Rhetorik, die seit den letzten Präsidentschaftswahlen zunehmend Teil seiner Strategie geworden ist. Parallel dazu versuchte Erdogan, die Türkei als Führungsmacht der islamischen Welt zu etablieren, eine Vision, die sowohl durch Pan-Islamismus als auch Neo-Osmanismus geprägt ist. Während er die Türkei in dieser Rolle sieht, stößt seine islamisch-nationalistische Politik jedoch auf Widerstand in Teilen der türkischen Bevölkerung, insbesondere bei säkularen und urbanen Gruppen.

Neben diesen internen Herausforderungen hat Erdogan seine Allianzen auf internationaler Ebene neu ausgerichtet. Eine zentrale Rolle spielt dabei seine Hinwendung zu multipolaren Allianzen wie BRICS, die der Türkei eine alternative geopolitische Plattform bieten. Dieser Artikel untersucht, wie Erdogans internationale Strategie, innenpolitische Herausforderungen und der Widerstand gegen seine Rhetorik zusammenhängen und welche Rolle BRICS in seiner Neuausrichtung spielt. 

Erdogans außenpolitische Vision: Neo-Osmanismus und Pan-Islamismus 

Recep Tayyip Erdogan verfolgt seit Jahren eine außenpolitische Strategie, die stark von Neo-Osmanismus und Pan-Islamismus geprägt ist. Diese beiden Ideologien haben das Ziel, die Türkei als zentrale Macht der muslimischen Welt zu positionieren.

Der Neo-Osmanismus greift auf die historische Rolle des Osmanischen Reiches zurück und betont die kulturelle und politische Bedeutung der Türkei in ehemaligen osmanischen Gebieten. Erdogan versucht, diese Vision durch Projekte wie den Bau von Moscheen und die Förderung islamischer Bildungsstätten weltweit zu verwirklichen. Dabei spielen religiöse Institutionen wie die Diyanet, die staatliche Religionsbehörde der Türkei, eine zentrale Rolle, um Erdogans politische Ambitionen voranzutreiben.

 Der Pan-Islamismus ergänzt diese neo-osmanische Agenda, indem er die religiöse Identität der Türkei betont und Erdogan sich als Verteidiger der muslimischen Gemeinschaft positioniert. Besonders im israelisch-palästinensischen Konflikt stellt sich Erdogan als führender Unterstützer der Palästinenser dar und übt scharfe Kritik an der Rolle westlicher Staaten, die er als Komplizen Israels sieht. Diese Rhetorik stärkt sein Bild als Verteidiger islamischer Interessen, sowohl im Nahen Osten als auch global.

 Grenzen der Rhetorik: Widerstand im Inland

 Trotz Erdogans lautstarker Rhetorik und seiner Versuche, die Türkei als islamische Führungsmacht zu etablieren, stößt er im Inland aufzunehmenden Widerstand. Besonders die jüngere, urbane und säkulare Bevölkerung zeigt wenig Interesse an seiner islamisch-nationalistischen Agenda. Diese Bevölkerungsgruppen, die stark westlich orientiert sind, lehnen Erdogans Versuche ab, den Säkularismus in der Türkei zugunsten einer religiöseren Politik zu unterminieren. In den letzten Jahren hat sich diese Spaltung in Wahlergebnissen in großen Städten wie Istanbul und Ankara gezeigt, wo Erdogans Partei AKP deutliche Verluste hinnehmen musste.

 Diese inneren Spannungen erschweren es Erdogan, eine einheitliche Unterstützung für seine außenpolitischen Ziele zu mobilisieren. Seine Vision einer islamisch geprägten Türkei wird von vielen als Rückschritt gegenüber den westlichen Werten der säkularen türkischen Republik betrachtet. Diese Dynamik stellt eine bedeutende Herausforderung für Erdogans langfristige Pläne dar.

 Verschiebung der Allianzen: Der BRICS-Fokus

 Parallel zu seiner neo-osmanischen und pan-islamischen Rhetorik hat Erdogan eine strategische Verschiebung hin zu multipolaren Allianzen wie BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) vorgenommen. Diese Allianz bietet der Türkei die Möglichkeit, sich von westlichen Institutionen wie der NATO und der EU zu lösen und neue wirtschaftliche und politische Allianzen zu schmieden.

 BRICS stellt eine Plattform dar, auf der die Türkei ihre Rolle in der globalen Politik ausbauen kann, ohne auf die Unterstützung des Westens angewiesen zu sein. Für Erdogan ist dies eine pragmatische Ergänzung seiner neo-osmanischen Vision, da es der Türkei erlaubt, wirtschaftlichen Druck durch Sanktionen zu umgehen und gleichzeitig den Einfluss des Landes in der Weltpolitik zu stärken

 Langfristig wird sich Erdogans Erfolg weniger durch seine Rhetorik als durch seine Fähigkeit, stabile Allianzen zu schmieden, entscheiden. Die Türkei steht vor der Herausforderung, ihre Beziehungen zu den BRICS-Staaten und anderen nicht-westlichen Akteuren zu vertiefen, um dem wirtschaftlichen und politischen Druck des Westens zu entgehen. Gleichzeitig muss Erdogan die innenpolitische Stabilität wahren, da die Polarisierung innerhalb der türkischen Gesellschaft weiterhin zunimmt.

 Diese Strategie birgt Risiken: Während die Türkei durch ihre Annäherung an BRICS wirtschaftliche Vorteile erlangen könnte, besteht die Gefahr, dass sie sich weiter von westlichen Märkten isoliert. Im Inland bleibt die politische Situation fragil, da Erdogans zunehmend autoritärer Führungsstil auf Widerstand stößt. Die wachsende Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage und der Abwertung der Lira könnte seine innenpolitische Basis weiter schwächen.

 Fazit: Zwischen Ideologie und Pragmatismus

 Erdogans Vision, die Türkei als Führungsmacht der islamischen Welt durch Neo-Osmanismus und antiwestliche Rhetorik zu etablieren, wird zunehmend von pragmatischen geopolitischen Allianzen wie BRICS ergänzt. Diese strategische Neuausrichtung bietet der Türkei eine Chance, ihre internationale Position zu stärken, birgt jedoch auch Risiken. Langfristig hängt Erdogans Erfolg davon ab, ob es ihm gelingt, die Türkei als unabhängigen Akteur in einer multipolaren Welt zu positionieren, ohne den Zusammenhalt im Inland zu gefährden.