Eine unvollständige Chronik

Informationen aus der Truppe

1990: In der Luftlandeschule Altenstadt bei Schongau (Oberbayern) drehen Soldaten im Unteroffiziersrang einen Videofilm, in dem sie unter anderem mit Nazi-Devotionalien posieren. Zwei der Soldaten, die auf dem Video zu sehen sind, gehören mittlerweile der Bundeswehr-Elitetruppe Kommando Spezialkräfte an. Auch in den folgenden Jahren finden in Altenstadt regelmäßig Saufgelage statt, bei denen Nazi-Fahnen gezeigt und NS-Lieder gesungen werden. Der Jahrestag des deutschen Überfalls auf Kreta wird, wie der stern berichtet, auch von der Leitung der Luftlandeschule alljährlich als Festtag begangen. Weitere beliebte Feiertermine: "Führers Geburtstag" und der Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen.

1992: In der Offiziersschule München haben zwei Soldaten auf ihren Stuben die von Neonazis als Symbol benützte Reichskriegsflagge aufgehängt. Der Kommandant der Schule, Dirk von Grohne, weigert sich zunächst, die Fahnen abhängen zu lassen. Begründung unter anderem: Die Flaggen hätten eine "schöne Heraldik". Erst auf Weisung des Heeresamtes Köln werden die Neonazi-Symbole entfernt. Nach einer Beförderung ist von Grohne heute Standortältester in Bremen.

25. März 1993: Das hessische Finanzamt Schwalmstadt stellt dem Deutsch-Russischen Gemeinschaftswerk, dessen Gründer und zweiter Vorsitzender der bekannte Nazi Manfred Roeder ist, eine "vorläufige Bescheinigung" der Gemeinnützigkeit aus. Roeder gilt als Integrationsfigur der bundesdeutschen Rechtsextremen. Er ist wegen Beihilfe zum Mord an zwei Ausländern zu 13 Jahren Haft verurteilt. Von ihm stammt das Vorwort zu dem von dem Ex-SS-Mann Thies Christophersen verfaßten Neonazi-Kultbuch "Die Auschwitzlüge". Die Gemeinnützigkeit wird am 24. Mai wieder zurückgezogen. Finanzministerin in Hessen damals: die heutige Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD).

Juni 1993: In der Bundeswehr-Zeitschrift Informationen für die Truppe heißt es in einem Artikel unter der Überschrift "Ungewisse Zukunft für das nördliche Ostpreußen" unter anderem: "Kaliningrad soll bald wieder in Kantstadt oder Königsberg umgetauft werden."

21. Dezember 1993: In einem Brief bittet Roeder beim Materialamt Heer namens seines "Gemeinschaftswerks" um ausrangiertes Bundeswehrmaterial. Der Brief trägt Roeders Unterschrift und deutlich lesbar in Druckbuchstaben seinen Namen. Dem Brief liegt neben der ungültigen Gemeinnützigkeitserklärung eine Selbstdarstellung des "Gemeinschaftswerks" bei, aus der eindeutig dessen revanchistische Ausrichtung hervorgeht: "Wenn das Land ('Nord-Ostpreußen') auch in absehbarer Zeit nicht wieder unter deutsche Verwaltung kommt, so kann doch eine vernünftige Übergangslösung gefunden werden..." Verteidigungsminister Rühe wertet dieses Schreiben heute als "ausgesprochen entlastend". Es zeige, wie viele Personen Roeder über seine wahren Absichten getäuscht habe.

März 1994: "Ein Hamburger Bürger", dessen Identität das Bonner Verteidigungsministerium bis heute geheim hält, lädt rund "150 ältere Herren" zu einer Totenfeier für die Opfer der Schlacht von Demjansk in die Räume der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr. Unter den Gästen sind höchstwahrscheinlich mehrere ehemalige Angehörige der Waffen-SS. Bei der Feier lernen Mitglieder einer seit langen Jahren mit Roeder befreundeten Familie Oberstleutnant Pahl vom Stab der Führungsakademie kennen. Sie empfehlen Roeder als Referenten. Pahl gibt die Empfehlung weiter an Oberst Norbert Schwarzer, den damaligen Stabschef der Führungsakademie. Der wiederum lädt später Roeder zum Vortrag ein.

1993-1995: Im sächsischen Schneeberg drehen Bundeswehr-Angehörige Videofilme, die unter anderem Soldaten beim Hitlergruß zeigen und gewaltverherrlichende Szenen enthalten. Der Film gelangt erst im Herbst 1997 an die Öffentlichkeit.

Mai 1994: Roeder erneuert in einem Fax an das Materialamt seine Bitte um "ausrangiertes Material". Diesmal wird der Antrag im Eilverfahren zur Prüfung an das Auswärtige Amt weitergeleitet, dort genehmigt und mit dem Prädikat "Bundesinteresse" versehen.

Informationen Ö

Dezember 1994: Roeder erhält einen Lkw, zwei Pkw sowie größere Mengen Bauwerkzeug aus Bundeswehrbeständen geschenkt. Er kriegt die Genehmigung, die Fahrzeuge auf dem Gelände der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr abzustellen. Dort bleiben die Autos nach unterschiedlichen Angaben einige Wochen bis acht Monate stehen. Zwei der drei Fahrzeuge wurden bis heute nicht aus Deutschland ausgeführt.

25. Januar 1995: 31 Stabsoffizieren der Hamburger Führungsakademie wird die Teilnahme an einer Vortragsveranstaltung Roeders befohlen. Thema: "Die Übersiedlung von Rußlanddeutschen in den Raum Königsberg". Aus dem vorher von Stabschef der Akademie ausgegebenen Befehl gehen Vortragsthema und Referent eindeutig hervor. Die Führungsakademie ist unter anderem für die politische Bildung angehender Stabsoffiziere zuständig.

April 1996: Auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg (Franken) drehen Soldaten, die dort zur Ausbildung sogenannter Krisenreaktionskräfte stationiert sind, ein weiteres Gewaltvideo, das simulierte Vergewaltigungs- und Hinrichtungsszenen enthält. Hauptakteur ist ein bereits aktenkundiger Stabsunteroffizier.

30. September 1996: In Trebbin (Brandenburg) überfällt ein Bundeswehrsoldat zusammen mit einem Kumpan zwei italienische Bauarbeiter. Eines der Opfer ist seitdem gelähmt.

24. Februar 1997: An den Protesten gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Die Verbrechen der Wehrmacht" beteiligen sich neben zahlreichen alten und neuen Nazis auch Bundeswehrsoldaten in Uniform.

17. März 1997: In der Innenstadt von Detmold (Nordrhein-Westfalen) überfallen neun Soldaten in Uniform vier ausländische Jugendliche, die bei dem Angriff verletzt werden.

8. August 1997: In Dresden zünden zwei Wehrpflichtige eine Unterkunft italienischer Bauarbeiter an. Am Tatort hinterlassen sie Hakenkreuz-Schmierereien. Bei der Vernehmung geben sie als Motiv Ausländerhaß an.

10. August 1997: Die Hardthöhe bestätigt, daß gegen einen Oberst der Reserve, der auch in Bosnien eingesetzt war, disziplinarrechtlich ermittelt wird. Er hatte während der Ausbildung für den Bosnien-Einsatz in der Kampftruppenschule Hammelburg Sprüche wie "Gefangene werden nicht gemacht" gebrüllt.

November 1997: Soldaten aus Thüringen und Niedersachsen sollen in einer Kaserne Nazi-Lieder gesungen und den Hitler-Gruß gezeigt haben. Es wird auch rechtsextremes Propagandamaterial beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Dezember 1997: Im Zuge der Berichterstattung über Roeder, Altenstadt und andere Nazi-Vorkommnisse bei der Bundeswehr wird auch bekannt, daß zahlreiche organisierte Neonazis in Bundeswehr-Einheiten Dienst getan haben oder noch tun. Der Berliner Brigadegeneral Speidel berichtet, Mitte November sei ein Soldat entlassen worden, der der rechtsextremistischen Szene angehöre. Bei einem weiteren Soldaten sei neonazistisches Propagandamaterial gefunden worden. Die Neonazi-Organisation Junge Nationaldemokraten (JN) verbreitet eine Liste mit sieben JN-Kadern, die Mitglieder der Bundeswehr oder bereits einberufen sein sollen. Die Hardthöhe teilt dazu mit: JN-Bundesgeschäftsführer Oliver Händel, Matthias Paul aus dem NPD-Landesvorstand Sachsen, Lars Käppler, JN-Geschäftsführer Baden-Württemberg, seien ausgemustert worden, die Entlassung des JN-Funktionärs Alexander Scheuplein, der in Ulm Dienst tut, werde vorbereitet, Alexander von Webenau, der Vorsitzende des "Nationaldemokratischen Hochschulbundes" sei nach sechswöchiger Dienstzeit entlassen worden, und Danny Marquardt (JN Niedersachsen) werde nicht wie vorgesehen im Januar eingezogen. Wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt die Staatsanwaltschaft Ingolstadt (Bayern) gegen den Vorsitzenden der Marinekameradschaft Altmannstein, Ernst Pfefferle. Der Reservist gibt gemeinsam mit einem Fregattenkapitän der Reserve die Schriftenreihe "Kameraden zur See" heraus, in der es, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, "vor rechtsradikalen Texten und Nazi-Symbolen nur so wimmelt". In der Reihe haben auch mindestens zwei noch aktive Offiziere der Marine veröffentlicht.