Raketen gegen Israel

50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen (II): Die anti-israelische Lobby im Auswärtigen Amt

Die westdeutsche Außenpolitik gegenüber Israel war von Anfang an von der Kontroverse gekennzeichnet, ob sich die eigenen Interessen besser durch einen Ausgleich mit oder durch eine Gegnerschaft zu Israel durchsetzen lassen.

Für die erste Position stand im wesentlichen der Adenauer-Flügel der CDU. Die zweite Fraktion wurde seit Mitte der fünfziger Jahre als "die Araber von der Koblenzer Straße" bezeichnet. In diesem Bonner Bonmot wird auf die pro-arabische Fraktion im Auswärtigen Amt angespielt, das in der Koblenzer Straße seinen Sitz hatte. Freilich ging die Anti-Israel-Lobby weit über die Ministerialen hinaus. Zu nennen wäre beispielsweise Hermann Josef Abs, damaliger Direktor der Deutschen Bank und Adenauers Finanzberater, der sich vehement gegen die Wiedergutmachungszahlungen stemmte, oder Albrecht Düren, der damalige Vorsitzende des Deutschen Industrie- und Handelstages, der sich noch 1964 mit der oben skizzierten Argumentation gegen diplomatische Beziehungen mit Israel aussprach, oder die Firmen AEG und Mannesmann-Thyssen, die - zumindest vorübergehend - den arabischen Boykottaufrufen gegen Israel gefolgt waren. Parteipolitisch fanden sich offene Antisemiten vor allem bei der FDP, die von vielen Alt-Nazis durchsetzt war, in der Frage der sogenannten Wiedergutmachung doppeldeutige Positionen vertrat und 1965 sogar für die Verjährung von Nazi-Kriegsverbrechen stimmte. Politischer Kopf dieser Fraktion des "herrschenden Blocks" war Außenminister Gerhard Schröder (CDU) und seine Staatssekretäre, darunter auch der spätere Bundespräsident Karl Carstens, die von 1955 bis 1965 gegen jede Annäherung an Israel opponierten.

Vor dem Hintergrund dieser starken anti-israelischen Lobby in der offiziellen Bonner Politik reagierte die israelische Bevölkerung Anfang der sechziger Jahre wie elektrisiert auf Meldungen, daß etwa 500 deutsche Raketentechniker im Dienste Nassers an Trägerwaffen gegen Israel arbeiteten. Es handelte sich hierbei um V2-Experten der Nazis wie Eugen Sänger und Wolfgang Pilz, die zuvor schon in einem staatlich geförderten Institut in Stuttgart weitreichende Raketen entwickelt hatten, und um den Flugzeugbauer Willy Messerschmitt. In ihrem Gefolge war eine ganze Reihe von Ex-Nazis an den Nil gekommen, u.a. der KZ-Arzt Hans Eisele als medizinischer Betreuer. Arbeitsminister Yigal Allon sprach den Menschen in Israel aus dem Herzen, als er drohte: "Die Überlebenden der deutschen Todeslager werden nicht tatenlos zusehen, wie deutsche Neonazis im Dienst des Diktators in Kairo die Vernichtung Israels vorbereiten." Die westdeutsche Regierung verurteilte zwar die Aktivitäten der Forscher, sah sich aber außerstande, sie per "Rückrufgesetz" zum Verlassen Ägyptens zu zwingen. "Je länger das Hin und Her über dieses Gesetz anhielt, desto aktiver wurde die arabische Lobby in Bonn. Die sehr einflußreiche Gruppe wurde von der westdeutschen Schwerindustrie unterstützt, die um ihre Geschäftsverbindungen mit der arabischen Welt fürchtete", berichtete die britische Zeitung The Guardian.

Der Verdacht liegt nahe, daß zumindest Teile der Bonner Regierung noch tiefer in die brisante Rüstungskooperation verstrickt waren. Die Wissenschaftler erklärten, die Bundesregierung von ihrer wissenschaftlichen "Nebenbeschäftigung" vorher unterrichtet zu haben, ohne daß von dort Einwände erhoben worden seien. Die Deutsche Botschaft in Kairo pflegte guten Kontakt zur "Raketenkolonie". Ihr Militärattaché riet 1961 sogar zwei aussteigewilligen Wissenschaftlern, "in Ägypten zu bleiben, da die Bundesregierung und vor allem Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß dies wünschten und um jeden Preis verhindern wollten, daß die Sowjets an ihre Stelle träten", berichtete das DGB-Organ Welt der Arbeit. Aufschlußreich ist hier der Hinweis auf die Rolle von Strauß, der sich gegenüber den Israelis immer gern als Freund und Helfer darstellte.

Daß die Arbeit der Wissenschaftler keine gefährlichen Folgen für Israel zeigte, war jedenfalls nicht der Politik der Bundesregierung zu verdanken. Eine Art "Rückrufgesetz" für deutsche Rüstungstechniker im Ausland kam erst 1990, nach dem nächsten deutsch-arabischen Raketenskandal, zustande. Vielmehr trugen andere Faktoren zum Mißerfolg von Sänger, Pilz & Co. bei: ihre Rivalitäten untereinander und ihre Unfähigkeit; eine Anschlagserie des Mossad gegen die Raketen; schließlich die Umorientierung der ägyptischen Außenpolitik Richtung Sowjetunion, die Nasser mehr zu bieten hatte.

Die Raketenaffäre führte zu einer tiefen Spaltung in der israelischen Politik. Die Regierungsmehrheit um Ben Gurion und Moshe Dayan verfolgte einen pro-deutschen Kurs. Scharfen Einspruch formulierten Mossad-Chef Harel, dessen Operationen gegen die deutschen Wissenschaftler von Ben Gurion mißbilligt worden waren und der deswegen zurücktrat, sowie Golda Meir und weitere sozialdemokratische Minister. In einer Sondersitzung der Knesset im April 1963 behauptete die Opposition sogar, daß Ben Gurion wichtige Dokumente über die deutschen Aktivitäten in Ägypten unterdrückt habe. Ihr Antrag auf Verurteilung seines Kurses in der Raketen-Affäre wurde zwar abgelehnt. "Der Riß in seinem Verhältnis zu den meisten Regierungsmitgliedern blieb jedoch bestehen. Es ist anzunehmen, daß er seinen Rücktritt am 16. Juni 1963 mit beeinflußt hat, wenn er auch keineswegs der alleinige Grund gewesen ist", faßt Inge Deutschkron, damals Bonner Korrespondentin der wichtigsten israelischen Tageszeitung Ma'ariv, zusammen.

Die nächste Folge erscheint in Jungle World, Nr. 11: "Ein deutscher Kompromiß: die Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1965"