Zum 70. Geburtstag von Peter Hacks

Klassisch gestimmt

Postrevolutionäre Dramaturgie ohne Revolution: Peter Hacks wird Siebzig.

Der Markt ist ein Blödmann, keine Frage. Von Kunst versteht er nichts. Sich zur Qualität zu bequemen, braucht er Jahrzehnte, und auch dann tut er's gewöhnlich aus den falschen Gründen. Wer so lange nicht warten will und trotzdem auf dem Seinigen beharrt, dem muß er sogar als ein perfides Arschloch erscheinen. Zumal wenn, wie meistens in solchen Fällen, politische Gründe hinzutreten.

Arno Schmidt konnte davon Arien singen: Nicht gelesen werden, und trotzdem Ärger mit der Zensur! Das ist bitter. Peter Hacks zog frühzeitig die Konsequenz und hielt sich lieber an den Staat. 1953 ging er von München nach Berlin-Hauptstadt, wo Walter Ulbricht in doppeltem Sinn die "Staatskunst" pflegte. Das war, wie man damals sagte, eine große weltanschaulich-politische Entscheidung für den Sozialismus. Und der "gab eine klare Richtung, ein klares Ziel, auch wenn vieles schwerer war und länger dauern sollte, als gemeinhin angenommen" (Ch. Trilse). Daß der Sozialismus selbst nicht sehr lange dauern sollte, war damals noch nicht abzusehen. In die westliche Moderne jedenfalls, ein Rückzugsgefecht der untergehenden Klasse, mochte Hacks sich schon deshalb nicht einmischen, weil sie die Erkennbarkeit des Wesens hinter den Erscheinungen grundsätzlich bestritt. Kunst aber, sagt Hacks - und es gibt unter den Literaten kaum einen, der diesen Begriff heute noch ähnlich emphatisch vertritt - "Kunst muß immer deuten". Außerdem tauge das Alltagsleben, dessen Versöhnung mit der Kunst ein zentrales Anliegen der Moderne war, aus Prinzip nicht zum künstlerischen Gegenstand.

Andere machten es anders und bisweilen auch nicht schlecht, schreibt Hacks in dem schönen Essay über den "Sarah-Sound", er aber mache es so, wie es seiner Persönlichkeit entspreche. Und die ist zweifellos klassisch gestimmt. Was sich frühzeitig an den drei historischen Dramen erweist, die er beim Grenzübertritt im Koffer trug. Zwei Jahre später entstand das vierte: "Der Müller von Sanssouci" deutete die Legende von Friedrich II., dem aufgeklärten Despoten, der sich freiwillig dem Gesetz unterwarf, als Selbstinszenierung und Propagandatrick. Damit war die erste historische Phase in Hacks' Werk vollendet.

Es folgten zwei Gegenwartsdramen: "Die Sorgen und die Macht", das seinen Titel den Kernsätzen einer Rede Ulbrichts verdankt: "Die Festigung der Arbeiter-und-Bauern-Macht und Leitung der Wirtschaft, die Erfüllung der Produktionsaufgaben machen der Arbeiterklasse und den Werktätigen auch Sorgen. Das ist nun einmal so, denn wer die Macht hat, hat auch bestimmte Sorgen." (Seinen Wilhelm Busch hatte er also auch nicht gelesen.) Das zweite Drama, das sich eines zeitgenössischen Stoffs annahm, "Moritz Tassow", wurde wegen pornographischer Tendenzen verboten. Beide Stücke, räumte Hacks später ein, stammten aus einer Schwächeperiode. Das Gegenwartsdrama sei eine Unmöglichkeit, denn "Historisieren ist Voraussetzung für Poetisieren". Nicht nur bilde die Gegenwart stets den "weißesten Fleck" auf der Bewußtseinslandkarte des Publikums, vor allem tauge sie nicht zur Metapher ihrer selbst.

Zu Beginn der sechziger Jahre trat die DDR in ihre klassische Phase, oder richtiger wohl: Hacks' Theater trat in die seine. Der Klassenkampf sei endgültig entschieden, es bestehe kein Bedarf mehr an Politik, der Dichter könne folglich sich dem Individuum und zeitlosen Menschheitsfragen zuwenden. Das war ein Irrtum und die "postrevolutionäre Dramaturgie" ein Unding in einem Land, in dem gar keine Revolution stattgefunden hatte. Immerhin: Wenn wir auch die Komödien jener Zeit nicht ihrer Theorie verdanken, sondern Hacks' klassisch gestimmter Persönlichkeit, so haben wir sie doch. Daß ausgerechnet ein Monodrama, nämlich "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe", an 170 deutschsprachigen Bühnen und in 21 Ländern aufgeführt wurde und somit wohl als das meistinszenierte deutsche Theaterstück der letzten zwei Jahrzehnte gelten darf, zeugt von nichts als vom Können seines Autors.

Einigermaßen unbeliebt machte Hacks sich gelegentlich der Ausbürgerung Biermanns, als er seine Meinung nicht verhehlte, man könne auf den minderbemittelten Dichter gut verzichten und die Unterzeichner des Protests betrieben die Beseitigung der DDR. Was sie damals weit von sich wiesen, dessen rühmen sie sich heute.

Kurz vorm Ende der DDR las Hacks ihrer Kulturpolitik noch einmal die Leviten. Im Bemühen, sich eine Tradition zuzulegen, hatte man nicht nur den steinernen Friedrich wieder aufgebaut, sondern auch im 19. Jahrhundert allerhand vermeintliche Fortschrittsmänner entdeckt, angebliche Parteigänger der Französischen Revolution, die doch in Wirklichkeit den schlimmsten deutschen Irrationalismus begründet hatten: Fichte, Jahn, Arndt, Schlegel und andere. In "Ascher gegen Jahn. Ein Freiheitskrieg" stellt Hacks "einen von meinen Leuten" vor: den vergessenen jüdischen Schriftsteller Saul Ascher, der frühzeitig erkannte, was es mit der Freiheitsideologie der völkisch gesinnten Romantiker auf sich hatte. Sie wurden von wütendem Antisemitismus, von Franzosenhaß und einer Germanomanie umgetrieben, die alles Fremde ausmerzen wollte. "Fichtes närrische Ideen", schreibt Hacks, bildeten "die Grundlage aller künftigen Pogrome". Und gerade der Turnvater Jahn, der 1818 einige Hundertschaften national Gesinnter dazu anstiftete, auf der Wartburg exemplarische Schriften der Aufklärung zu verbrennen, sollte der sozialistischen DDR als bärtiger Vorkämpfer bürgerlicher Emanzipation angedreht werden. Hacks ergreift die Partei Hegels, Goethes und des preußischen Staates, der zu Zeiten epidemischer Unvernunft als Bastion der Gesetzlichkeit und der Zivilisation erscheinen mußte. Nichts ist ihm widerlicher als die Romantik - folgerichtig schimpft die FAZ ihn einen Romantiker.

Der "Ascher" findet sich neuerdings wieder abgedruckt in dem Band "Die Maßgaben der Kunst". Auch wenn der Ästhetik inzwischen ihre Voraussetzung fehlt, bleiben die einschlägigen Essays lesenswert, denn sie sind einfach zu gut geschrieben. Und alles andere bleibt sowieso: die Aufsätze über Kollegen - wie der erwähnte "Sarah-Sound", in dem ein Gedicht von Becher in ein Gedicht von Sarah Kirsch übersetzt wird - und die Polemiken, deren Gegenstände einfach nicht verschwinden wollen.

Allerdings hat Hacks einen Fehler, der aus der Weltanschauung kommen muß: Er hat immer recht. In einem Aufsatz über das, "was geht, wenn nichts mehr geht", nennt er Arno Schmidt, der in vielem sein Antipode war, den "besten deutschen Epiker der zweiten Jahrhunderthälfte". Aber natürlich, "natürlich ist der große Mann im Besitz von wenig Wahrheit. Schmidts Wirklichkeit, wie ähnlich immer in Schmidts Werk eingekapselt, ist so gut wie unbegriffen". Schmidt wiederum schrieb einmal, wer vom Alltagsleben nichts Neues mitzuteilen habe, schweige lieber ganz. Nun ja, man muß nicht wählen. Und die Gedichte? "Ich bin kein Lyriker", sagt Hacks und hat wie immer recht.