Der Briefwechsel zwischen Peter Hacks und André Müller wurde veröffentlicht

Recht haben

Peter Hacks und André Müller schreiben über den Verfall der Sowjetunion und der DKP.

Es gibt vieles über Peter Hacks zu berichten: Ich kenne Leute, die haben trotz einer Einladung Angst, ihn zu besuchen. Andere erzittern, wenn nur sein Name genannt wird. Wieder andere nennen ihn »den Größten«. Das sind zumeist Männer, öfter noch Jungs. Als er seine Werkausgabe veröffentlichte - und welcher Autor kriegt heute zu Lebzeiten eine Werkausgabe verlegt -, kamen selbst die FAZ und die SZ nicht umhin, ihn zu loben oder zumindest seinen Rang anzuerkennen.

Auch Hermann L. Gremliza schätzt ihn sehr. Als es einigen der konkret-Autoren zu bunt wurde, und sie sich über die Gedichte-Kolumne »Jetztzeit« von Hacks beschwerten, wurde sogar versucht, eine Debatte anzustiften. Es wurde keine. Die einen sagten »toll«, die anderen »nicht toll«, auf diesem Niveau blieben die Beiträge. Manche sehen in Hacks einen Stalinisten am Werk, andere vermuten einen homophoben Macho, wieder andere sehen einen Deutschtümler, und einigen gilt er als Antisemit. Das alles ist er nicht. Doch es scheint, als könne niemand ohne Verehrung oder Wut über ihn sprechen. Er hat also nur Feinde und Fans. Beides genießt er.

Doch nicht nur der Ruf von Peter Hacks ist außerordentlich. Sein Theaterstück »Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe« ist eines der am häufigsten gespielten in deutscher Sprache. Viele seiner Gedichte gelten als stilbildend. Und seine zahlreichen Kinderbücher erlauben es überhaupt erst, noch ernsthaft über Kinderliteratur zu sprechen.

Zur Zeit sind einige Kinderbücher von ihm angekündigt, Hörbücher gibt es en masse, sein Essay »Zur Romantik« hat sich zu einem Steadyseller entwickelt, und während die noch nicht abgeschlossene Werkausgabe im Nautilus-Verlag vorliegt, kündigt der Eulenspiegel-Verlag bereits eine neue Werkausgabe an, die im nächsten Frühjahr erscheinen soll. Peter Hacks ist somit in gewissen Kreisen ein Verkaufsschlager. Er funktioniert dort als Star.

Nun ist ein neues Buch von ihm erschienen: »Nur daß wir ein bischen klärer sind«. Es dokumentiert einen Briefwechsel der Jahre 1989 und 1990.

Bislang sind drei Briefwechsel von Hacks veröffentlicht worden: mit Heinar Kipphardt, mit Ronald M. Schernikau und nun mit André Müller. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Briefwechsel mit Kipphardt dokumentiert eine Freundschaft, die zerbricht, der mit Schernikau zeigt Hacks' Verhältnis zu einem seiner größten Fans, der nun vorliegende schließlich ist der zweier Freunde, die es geblieben sind. Sie reden auf gleichem Niveau.

André Müller, auch er ein Kinderbuchautor und Dramatiker (aber nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Interviewer), ist heute beinahe vergessen. Seine Brecht-Anekdoten »Geschichten vom Herrn B.« sind ebenso wenig lieferbar wie seine anderen Anekdotensammlungen. Sein hervorragendes Buch »Shakespeare ohne Geheimnis«, ein Versuch, die historischen Bezüge in den Shakespeare-Dramen aufzuzeigen, ist gleichfalls vom Markt verschwunden. Müller also ist kein Star.

Zu Beginn dieses Briefwechsels ist Müller noch Redakteur bei Kultur und Gesellschaft, 1990 stellt die DKP die Zeitschrift ein. Er wird wie viele andere hauptamtliche DKPisten arbeitslos und leidet unter Geldmangel. Hacks, der ebenfalls kurz um seine Bezüge fürchtet, kann sich dagegen verhältnismäßig schnell wieder fangen. Ihm allerdings stehen nun Austritte aus diversen DDR-Kulturinstitutionen bevor. Ansonsten sind die alten Männer oft kränklich, zumeist entsetzt über die Verhältnisse, aber leidlich vergnügt. Ihr Briefwechsel war ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt.

Sie schreiben über Gott und die Welt, das sind in diesem Fall Gorbatschow und der von ihm zerstörte Ostblock. Hacks mag zunächst nicht glauben, wie ungehemmt Gorbatschow die Partei verhökert, und hält dies für eine Finte, lässt sich aber eines Besseren belehren. Müller beschreibt den Verfall der DKP. Im Verlauf ihres Briefwechsels entdecken sie Stalin für sich - und zwar insofern, als sie festhalten, dass all jene, die sich in diesen Zeiten über Stalins Verbrechen ausließen, dies täten, um die DKP bald verlassen zu können. Einige der Erwähnten sind dann bald in der PDS. Auch über Honecker wird geredet. Beide erblickten früher in ihm einen Ausverkäufer der DDR und wundern sich nun, dass er sich gegen Gorbatschow sperrt.

Müller und Hacks reden über die Lage, doch sie diskutieren nicht. Hacks berichtet, was die Ost-Renegaten tun, Müller berichtet, was die West-Renegaten tun. Es hagelt Verwünschungen. Lediglich in einem Brief deutet Müller Zweifel an: »Die wichtigere Frage: in all dem, was wir schreiben, schlägt nicht nur die Zeit durch, sondern auch die angestrengte Haltung, die uns die Zeit des Zusammenbruchs aufnötigt. Unsere Witze sind gut, aber sind sie auch leicht? Die Gegenstände sind die richtigen, aber behandeln wir sie unbeschwert? Wir schreiben mit Haltung; wirken wir da nicht leicht steif?«

Heute sind die beiden offensichtlich wieder ganz leicht. Ihre Kommentare zu den Briefen, die sie selbst herausgegeben haben, sind die Kommentare fröhlicher alter Leute. Joseph Fischer oder Boris Jelzin werden als »Politiker jener Jahre« vorgestellt, gerade so, als handele es sich bei diesen Briefen nun um ein gültiges Kunstwerk. Den tiefroten Umschlag des Buches zieren Hammer und Sichel-Embleme, und man weiß, dass jeder, der sich darüber empört, die beiden Autoren ebenso kichern macht, wie derjenige, der dem blindlings glaubt.

Allerdings steht in dem Buch, das seinen Titel bei Goethe geliehen hat, kaum etwas. Es fängt irgendwo an und hört irgendwo auf, es berichtet aus einer schweren Zeit, doch die meisten Zeitungsartikel, die sich die beiden zusenden, sind nicht dokumentiert, sodass es schwer ist zu folgen. Und man weiß nicht recht, ob man folgen will. Denn das Buch zeigt nichts anderes als zwei Kommunisten, die Recht haben. Das hatten aber andere, wenngleich nicht viele, gerade in jener Zeit ebenfalls. Vielleicht wäre es besser gewesen, man hätte einen Band herausgegeben, in dem all jene Artikel und Interviews von und mit KommunistInnen versammelt sind, und sich das öffentliche Privatisieren geschenkt.

Vielleicht aber sollte das schmale Büchlein auch nur annoncieren, dass Peter Hacks jetzt in dem Verlag, der auch schon einige seiner Kinderbücher herausgibt, eine Werkausgabe erscheinen lassen wird. Das gäbe dem Band einen Sinn.

 

André Müller, Peter Hacks: Nur daß wir ein bischen klärer sind. Der Briefwechsel 1989 und 1990. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2002, 128 S., 12,90 Euro