Erweiterung der EU

Mein Osten, dein Osten

Der große Knall wird vielleicht noch lauter als erwartet. Mit einem »Big Bang« will sich die EU ab 2004 erweitern. Kurz vor dem EU-Gipfel im belgischen Laeken forderte der französische Außenminister Hubert Vedrine nun sogar einen »Super-Big-Bang«. Die Union solle auch die beiden Nachzügler Rumänien und Bulgarien in der nächsten Erweiterungsrunde integrieren.

Wenn man ohnehin auf eine große Beitrittsrunde zusteuere, mache es »keinen Unterschied, ob zehn oder zwölf Staaten aufgenommen« werden, erklärte der französische Außenminister in der vorletzten Woche. Dass die französische Regierung, die in der Vergangenheit zahlreiche Vorbehalte gegen die Ost-Erweiterung formulierte, plötzlich diese Entwicklung sogar noch forcieren will, stößt in Europa auf Verwunderung. Bislang galt die Erweiterung in Paris vor allem als deutsches Projekt. Mit der Aufnahme der Berliner Lieblingskandidaten Polen, Ungarn und Tschechien würde sich die Machtbalance noch weiter in Richtung Osten verlagern.

Doch nun scheint man sich in Paris damit abgefunden zu haben, dass der »Big Bang« nicht mehr aufzuhalten ist, und die französische Regierung versucht, das Beste daraus zu machen. Mit dem »Super-Bang« könnte es immerhin gelingen, die neue Konstellation doch noch ein wenig zu Frankreichs Gunsten zu verschieben.

Denn während die Mehrheit der bisherigen Beitrittskandidaten ökonomisch auf Deutschland angewiesen ist, orientieren sich Rumänien und, in etwas geringerem Maße, auch Bulgarien eher an Paris. Diese Länder haben traditionell enge Bindungen an die Grande Nation; ihre Gründung erfolgte nach dem Ersten Weltkrieg auf Initiative der westlichen Entente und Frankreichs. Bis heute pflegen daher Bukarest und Sofia besondere kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zur Pariser Regierung. Die Aufnahme der beiden Staaten, so das Kalkül, könnte den französischen Einfluss in einer erweiterten EU stärken.

Große Chancen, die zusätzlichen Kandidaten durchzubringen, hat die französische Regierung freilich nicht. Zu groß sind die Bedenken, dass bereits die aktuelle Beitrittsrunde von der EU kaum zu verkraften ist. Und ohne eine grundlegende Reform der Entscheidungsstrukturen innerhalb der Union ist die Aufnahme weiterer Mitglieder kaum zu machen.

So weit sind sich auch alle Mitgliedstaaten einig. In der Frage, wie eine solche Reform konzipiert werden soll, gehen die Ansichten jedoch weit auseinander. Der belgische Premierminister und EU-Ratspräsident, Guy Verhofstadt, hatte sich daher das ehrgeizige Ziel gesteckt, in Laeken eine breite Reformdebatte zu initiieren. Er schlug in seiner Erklärung unter anderem die Direktwahl des Präsidenten der EU-Kommission vor und begrüßte eine Debatte um eine künftige Verfassung.

Doch die Begeisterung für eine europäische Verfassungsdebatte dürfte sich westlich des Rheins in Grenzen halten. Bereits als der deutsche Außenminister Joseph Fischer im vergangenen Jahr in einer Rede an der Humboldt-Universität in Berlin eine solche Diskussion anregte, reagierte das restliche Europa - insbesondere Frankreich - skeptisch. In vielen EU-Staaten hegt man den Verdacht, dass es sich dabei vor allem um eine deutsche Verfassung für Europa handeln könnte.

Die »teutonische Agenda« sei vor allem eines, »eine nationale Blaupause, gezeichnet allein nach Berliner Denkmustern«, zitierte die Zeit in der vergangenen Woche einen niederländischen Diplomaten. Schröder möchte eine föderale Union, der die Deutschen zugleich viele Kompetenzen entreißen wollen. Und eine solche Verfassung dürfte auch nach der Konferenz von Laeken mit Frankreich nur schwer zu machen sein.