Blicke zum Himmel

Der Krieg kehrt nach Beirut zurück. Hamsterkäufe und die Angst vor einem langen Konflikt ­prägen die Stimmung in der libanesischen Hauptstadt. von markus bickel, beirut

Auf die Corniche traut sich am Sonntagmorgen niemand mehr. Die lange, das ganze Jahr über belebte Joggingstrecke der Beiruter ist völlig verwaist. Draußen im Meer vor der libanesischen Hauptstadt liegt ein israelisches Kriegsschiff, die Spitze des Leuchtturms am Westende der Uferstrecke ist seit Samstagnachmittag zerschossen. Auch das direkt am Fuße des Turms gelegene Palas-Café bleibt geschlossen. Wasserpfeife rauchen und am türkischen Kaffee nippen müssen die vielen Stammgäste am fünften Kriegstag zuhause.

Am Samstagvormittag war es noch ruhig geblieben, aber am Sonntag gegen halb zehn Uhr Ortszeit begannen die Bombenangriffe auf die rund vier Kilometer von der Corniche entfernten schiitischen Stadtviertel Beiruts. Mindestens zehn Einschläge allein bis halb elf Uhr waren in der Innenstadt zu vernehmen, auch kurz nach Mittag schlugen die F 16-Kampfjets der israelischen Luftwaffe wieder mehrmals zu.

Die Geschwindigkeit, mit welcher der Konflikt eskalierte, nachdem die von Generalsekretär Hassan Nasrallah geführte Hizbollah am vergangenen Mittwoch zwei israelische Soldaten entführt hatte, ist erschreckend. Seit Kämpfer der »Partei Gottes« am Freitagabend ein vor Beirut stationiertes israelisches Kriegsschiff beschossen, stellen sich die Bewohner auf eine lange Auseinandersetzung ein. Die meisten Straßen sind menschenleer, nach den Bombeneinschlägen hört man quietschende Reifen, hektisch versuchen die Fahrer, zurück in eine feste Behausung zu kommen.

Wohin man auch kommt in Beirut an diesem fünften Kriegstag – wenn man Menschen trifft, dann sitzen sie vor den Fernsehern. In Kebab-Buden, vor den wenigen am Sonntag geöffneten Lebensmittelläden oder in den kleinen Häuschen der Parkplatzwächter. Al-Arabia, al-Jazeera, der Hizbollah-Sender al-Manar und der mit dem Geld des vor anderthalb Jahren ermordeten früheren libanesischen Premierministers Rafik Hariri gegründete Sender al-Mustaqbal berichten ununterbrochen über den anhaltenden Beschuss libanesischer Städte, Dörfer, Elektrizitätswerke, Häfen, Brücken und Straßen. Sie zeigen Bilder der Zerstörung, Bilder von panisch fliehenden Bewohnern auf dem Weg in die Hauptstadt oder ins noch sichere Syrien.

In den geöffneten Läden bilden sich schon seit Donnerstag lange Schlangen. Wasser, Brot und andere Grundnahrungsmittel gehen über die Ladentische. Auch an den Tankstellen ist Geduld gefragt: Um die seit den Angriffen auf zwei Kraftwerke überall in Betrieb befindlichen Generatoren am Laufen zu halten und genügend Sprit für eine mög­liche Flucht zu haben, decken sich die Menschen ein. In manchen Teilen Beiruts war die Stromversorgung am Freitag mehr als zwölf Stunden unterbrochen, auch am Samstag und Sonntag kam es zu langen Ausfällen.

Derweil versuchen tausende Flüchtlinge, sich in Sicherheit zu bringen. Am zentralen Busbahnhof Beiruts, Charles Helou, kam es bereits am Freitag zu tumultartigen Szenen, als syrische Gastarbeiter und viele Libanesen versuchten, auf fahrende Busse aufzuspringen. 10 000 Syrer sollen bereits geflohen sein. Auch die in Beirut lebenden Ausländer verlassen die Stadt. Die deutsche und die Schweizer Botschaft brachten am Freitag rund 150 Menschen in Bussen in die syrische Hafenstadt Latakia. Auch italienische, US-amerikanische und französische Diplomaten arbeiten an Evakuierungsplänen; per Schiff sollen die Ausreisewilligen nach Zypern gebracht werden.

In die Empörung über die israelischen Bombardements mischt sich der Ärger über die Taten der Hiz­bollah. Der Parlamentarier Nabil de Freige sagte am Donnerstag: »Krieg zu erklären und militärische Maßnahmen durchzuführen, ist die Entscheidung des Staates, nicht einer Partei.« Auch der Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei (PSP), Walid Jumblatt, kritisierte den Angriff der Hizbollah: »Für ein bestimmtes arabisches Publikum und die arabischen Eliten mag Nasrallah ein Held sein, doch der Preis dafür ist hoch.« Wenn man den Gesprächen in den wenigen in Westbeirut noch geöffneten Restaurants und Cafés lauscht, hört man, dass die Wut über die Hizbollah stetig wächst. Schließlich haben sich Nasrallah und seine Kader bislang allen Forderungen ihrer politischen Gegner im Libanon und denen der Uno widersetzt, die militärischen Verbände der Partei in die Armee zu integrieren.

Inzwischen wächst auch die Angst vor einem Bürgerkrieg. Libanons Premierminister Fuad Siniora hielt eine gefühlsbetonte Rede, in der er die Uno zur Vermittlung eines Waffenstillstandes für diese von »Katastrophen geschüttelte Nation« aufforderte. Politisch entscheidender aber dürfte seine Aussage sein, dass die Regierung die Kontrolle über das gesamte libanesische Territorium wiederer­langen will. Auch wenn er es nicht direkt ansprach, würde das bedeuten, den Einheiten der Hizbollah in den an Israel grenzenden südlibanesischen Gebieten offen entgegenzutreten. Eine Rückkehr libanesischer Truppen in den Süden des Landes würde vermutlich zu inner­libanesischen Auseinandersetzungen führen. Die prosyrischen Kräfte haben anderthalb Jahre nach dem Mord an Hariri längst wieder die Oberhand gewonnen.

Zielte die israelische Führung anfangs lediglich darauf ab, die militärische und politische Infrastruktur der Hizbollah zu zerstören, so weitete sie die Angriffsziele am Samstagnachmittag aus: Der nahe der Innenstadt gelegene Hafen wurde beschossen, ebenso die überwiegend von christlichen Libanesen bewohnte Küstenstadt Jounieh. Seit Beginn des Konflikts sind im Libanon mehr als 150 Menschen ums Leben gekommen, weit über 200 wurden verletzt.

Während die Beiruter Innenstadt bis auf den Hafen und den Leuchtturm von Zerstörungen verschont blieb, sind die Schäden der Raketeneinschläge im südlichen Stadtteil Haret Hreik verheerend. Nicht nur die Zentrale und das Wohnhaus von Generalsekretär Hassan Nasrallah wurden getroffen, auch eine Brücke der Stadtautobahn ist in sich zusammengesackt, ganze Wohnviertel wurden zerstört. Hohe Rauchsäulen stiegen am Sonntagmorgen aus den südlichen Vorstädten auf, nachdem die israelische Luftwaffe die Nacht über erneut mehrmals angegriffen hatte. Auch das Gebäude des Hizbollah-Fernsehsenders al-Manar wurde getroffen.

Die meisten Rolläden der Boutiquen und Banken auf der Haupteinkaufsstraße Westbeiruts, der Hamra, sind schon seit Donnerstag heruntergelassen. Die Blicke der Passanten richten sich immer wieder zum Himmel, dorthin, wo das Rauschen der F 16-Kampfjets herkommt. Anderthalb Jahrzehnte nach Ende des Bürgerkrieges ist der Krieg für die Bewohner fast schon wieder Alltag.

Einige lassen sich jedoch von dem Ausnahmezustand nicht beeindrucken. Die Gäste des gut besuchten Fast-Food-Restaurants Wimpy auf der Hamra gehören dazu, auch gegenüber dem Campus der American University Beirut sitzt eine Gruppe Männer vor einem Eckladen und unterhält sich. Einer aus der fröhlich wirkenden Gruppe sitzt auf seinem Mofa und zieht an einer Zigarre. Er lacht: »Solange wir können, lassen wir es uns noch gut gehen.« Eine Gelassenheit, die zurzeit sehr befremdlich wirkt.