Ausgewählte Briefe von Peter Hacks an andere Schriftsteller sind erschienen

Weil die Welt Unrecht hat

Auch in seiner Privatkorrespondenz urteilte der Schriftsteller Peter Hacks mit unerbittlicher Schärfe über seine Kollegen und die Zeitläufte.

»Sehr verehrter Herr Mann, die beiliegende Ar­beit schrieb ich an der Münchner Universität bei Professor Kutscher. Sie wurde von ihm formal außergewöhnlich gepriesen und inhaltlich für außergewöhnlich unmöglich erklärt (er erinnerte sich eines einzigen analogen Falles in seiner Praxis, dem [!] Referat Bert Brechts über Han[n]s Johst).« Mit diesen Sätzen beginnt die von Rainer Kirsch besorgte Auswahl der Briefe, die der Dramatiker, Lyriker, Essayist und Kinderbuchautor Peter Hacks an Schriftstellerkollegen geschrieben hat. Der Band versammelt 286 Briefe aus 55 Jahren an 101 Adressaten und zeigt, wie formal außergewöhnlich der vielleicht bedeutendste Künstler der DDR auch in seiner persönlichen Korrespondenz zu Werke ging. Nicht nur dem verehrten Thomas Mann, über dessen Roman »Lotte in Weimar« Hacks die oben erwähnte Stilkritik verfasste, widmete er 1948 wohlformulierte und präzise durchdachte Zeilen. Hacks behandelte den Brief in tradi­tioneller Manier nicht als bloßes Medium für flüch­tig diktierte Mitteilungen, sondern als literarische Kunstform.

»Verehrter Kollege« dokumentiert unter anderem Briefe an Thomas Mann, Bertolt Brecht, Hans Magnus Enzensberger, Christoph Hein, Stefan Heym, Robert Gernhardt und andere Größen der deutschen Literatur. Kirschs gelungene, mit knappen editorischen Bemerkungen versehene Sammlung zeigt ein weiteres Mal auf, welche Stellung dieser an deutschen Bühnen seit Jahren ignorierte Sprach­künstler und marxistische Ästhetiker einnimmt. 1955 von München nach Ostberlin übergesiedelt, setzte der promovierte Theaterwissenschaftler und witzig-eigensinnige Brecht-Schüler Hacks mit großer Energie seine Dramen, Komödien, Kinderstücke, Legenden, Historien und Opern umfassende Bühnenproduktion sowie lyrische Arbeit fort. Stücke wie »Der Müller von Sanssouci« oder »Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe« ermöglichen den Erfolg als einee der meistgespielten deutschen Bühnenautoren der sech­ziger und siebziger Jahre.

Dieser Zuspruch bricht jäh ab, als Hacks dem 1976 aus der DDR ausgebürgerten, zunächst von Heinrich Böll aufgenommenen Barden Wolf Biermann in der Weltbühne ein böses Pamphlet hinterherschickte (»Böll, man kennt ihn, ist drüben der Herbergsvater für dissidierende Wandergesellen. Biermann hat in seinem Bett übernachtet, und ich hoffe, er hat nicht noch Solschenizyns Läuse darin gefunden«). Dieser Bannfluch des Staatssozialisten Hacks sorgte zusammen mit seinem ungünstigen Urteil über den kapitalistischen Kultur­betrieb für einen Boykott an den großen Häusern Westdeutschlands.

Doch auch in der DDR blieb Hacks nicht von den Gängelungen der Kulturbürokratie verschont. Der hymnische Verteidiger der Oktoberrevolution wur­de etwa anlässlich des Stücks »Die Sorgen und die Macht« früh Opfer von staatlichen Zensurauflagen, die jedoch nie seinen Schaffensdrang beeinträchtigen konnten. Nach der Wende, die Hacks nur als »Konterrevolution« begreifen konnte, machten sich kleine Verlage wie die Edition Nautilus oder Eulenspiegel mit schönen Bänden und einer opulenten Gesamt­ausgabe um den von den Zeitläufen überrollten Dramatiker verdient.

Die Epochenbrüche nach 1945 und 1989 stehen allerdings nicht im Zentrum des Bandes. Hacks’ zeitgeschichtliche Kommentare finden sich anschaulicher in der bereits veröffentlichten Korrespondenz mit Heiner Kipp­hardt, André Müller, Kurt Gossweiler oder dem früh verstorbenen Ronald M. Schernikau, dessen Mentor er war. Zahlreiche Briefe harren noch der Entdeckung im Deutschen Literaturarchiv Marbach, das Ende 2005 den Nachlass erworben hat.

Kirschs Kompendium gewährt einen frag­mentarischen Einblick in Leben, Leidenschaf­ten und Laster des Dichters; seine künstleri­schen Erfolge und Enttäuschungen sind eben­so Gegenstand wie seine kulturpolitischen Interventionen.

Als Hacks 2003 starb, erinnerte das bürgerliche Feuilleton respektvoll-spöttisch an den »Dichterfürsten der DDR« und »Marxis­ten von Sanssouci« (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Völlig verfehlt sind diese geläufigen Zuschreibungen nicht. Selbst in der Schlussformel seiner Briefe ist Hacks der konventionellen Form verpflichtet und endet wie ein Freiherr in vorigen Jahrhunderten häufig mit »Ihr ganz ergebener« oder »Stets und durchaus Ihr«. Hacks wirkt nicht nur in diesen Details ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Doch es ist keineswegs der Hochmut des Solitärs, der zum Ausdruck kommt, wenn er Einsendern von unfertiger Lyrik barsch zurückschreibt: »Liebe Dame, ich kann nicht umhin, Ihren Kunstverstand in einigen Zweifel zu ziehen. Was soll ich mit diesen Gedichten?«

Wenn es die Maßgaben der Kunst erforderten, schrieb Hacks gnadenlose Kritiken an seine Kollegen; unabhängig vom Grad der Prominenz und der Bedeutung der Adressaten. Hier schrieb ein Verehrer der Sprache, der boshaft, höflich, todernst, ironisch oder scheinbar paradox, mit grober Polemik oder aufrichtiger Bewun­derung Antworten an seine Kollegen verfasste; dabei immer auch von ihm erkannte Talente wie Schernikau fördernd und kritisierend. Für Hacks war die sorgfältige Kritik selbst noch völlig unbekannter Autoren eine ästhetische Verpflichtung; etabliertere Namen mussten häufig mit Spitzen rechnen.

»Wieso gilt ein mediokres Talent wie Herr Grass bei Ihnen als Papst der Epik, während Arno Schmidt seit guten zwanzig Jahren in der Ecke stehen muss, zur Strafe dafür, dass er Deutsch kann?« schreibt er Ende 1965 an Hellmuth Karasek, der sich zuvor im WDR zum »Fall Peter Hacks« äußerte. Die Briefe an Hans Magnus Enzensberger geben ein beredtes Zeugnis von einstigen literaturpolitischen Kontroversen zwischen deutschen Schriftstellern in beiden Lagern. Die bereits bekannten, hier in Buchform veröffentlichten späten Briefe an Heiner Müller zeugen von einem komplizierten Zerwürfnis der beiden großen Pro­ta­go­nis­ten des DDR-Kulturlebens.

Köstlich ist der Humor, der über Jahrzehnte die Briefe ob aus privaten oder politischen Anlässen auszeichnet. Seinem Rechts­vertreter, dem bekannten DDR-Anwalt Friedrich Karl Kaul, berichtet er 1966 anlässlich eines läppischen Grenzdelikts, in das eine Westverwandte verwickelt war: »Ich habe eine Nichte namens Ameli Hacks. Dieses Kind ist so unschuldig, dass man es acht Wochen in ein Bordell sperren könnte, bevor sie herausfindet, an was für einem Orte sie weilt; deswegen studiert sie auch Jura.« 1959 schrieb er nach Schwierigkeiten mit der Zensur an Kaul: »Ich fürchte, es gibt zwei Grundsünden, die ein Autor im Zeitalter des Sozialistischen Realismus begehen kann: die, ein Sozialist zu sein, und die, ein Realist zu sein.«

Eine Ironie, die in vielen Briefen aufblitzt und die das offizielle Bild des »Staatsdichters« Hacks, für den Walter Ulbricht den Maßstab der Regierungskunst verkörperte, in ein anderes Licht rückt. Denn Hacks blieb trotz seiner inhaltlich bisweilen außergewöhnlich unmöglichen Neigung zur marxistisch-leninistischen Orthodoxie anarchisch und individuell im Sinne Brechts. »Damit der Mensch seinen Spaß haben kann, darum machen wir ja den Kommunismus«, entgegnet er Enzensberger 1958.

Als nach der »Schreckenswende« schließlich der Spaß vorbei war, schrieb er seinem Freund und Kollegen James Krüss: »Es ist bloß die Weltgeschichte, die Unrecht hat.« Diese Ambivalenz zwischen Dissidenz und Dogmatismus macht den Reiz der Briefe aus.

 

Peter Hacks: Verehrter Kollege. Briefe an Schriftsteller. Ausgewählt, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Rainer Kirsch. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2006. 368 S., 19,90 Euro