Panik! Punk! Postmoderne!

Kerstin Stakemeier und Roger Behrens im Gespräch über die Ausstellung »Panic Attack! Art in the Punk Years«, die zurzeit im Londoner Barbican Arts Centre zu sehen ist

Nach »Zurück zum Beton« in der Kunsthalle Düsseldorf 2002, »The Downtown Show« in der Grey Art Gallery der New York University 2006 und »The Secret Public« im Kunstverein München und dem ICA London 2006/07 findet mit »Panic Attack! Art in the Punk Years« im Barbican Arts Centre in London schon die vierte große internationale Ausstellung über Punk, Kunst und Popkultur statt.

In der Schau wird Punk als Zeitgeistphänomen und Beginn der Postmoderne vorgestellt. In den 18 Räumen des Barbican Arts Centre werden Werke gezeigt, die zwischen 1974 und 1984 in den zwei Zentren der Punkbewegung, New York und London, entstanden. Die dem Punk ursprünglich seinen Namen gebende Musik wird nur am Rand beachtet. Im Mittelpunkt steht die Bildende Kunst, also ausgerechnet das ästhetische Medium, das vom Punk eigentlich verlassen, durchbrochen und zerlegt wurde. Kerstin Stakemeier und Roger Behrens haben die Ausstellung gesehen.

 

Kerstin Stakemeier: »Panic Attack! Art in the Punk Years« betrachtet die britische Generation, die sich gegen die nationale Gemeinschaft positionierte. Bis in die siebziger Jahre hinein war der Londoner Osten, wo das »Barbican« steht, gezeichnet von den Spuren der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg, und bis weit in die Sechziger hatte in Großbritannien die nationale Nachkriegskultur den Alltag bestimmt.

Gegen sie war die britische Pop Art in den Fünf­zigern angetreten, die Independent Group, deren architektonischer Arm der Brutalismus war. Ihre Vertreter richteten sich mit massenkultureller Gewalt gegen Tradition und National­empfinden, spielten Low- gegen High-­Culture aus.

Im Gegensatz zu diesen Strömungen wollte Punk nicht mehr in der Kunst gegen die Kultur antreten, keine politische oder kulturelle Alternative anbieten, sondern die Kampfzone auf alle Bereiche der Kultur ausweiten.

Dieser Generalangriff auf die Kultur, der sich ebenso gegen ihre massen- wie gegen ihre hochkulturellen Spielarten wendete, machte Punk nicht nur zum letzten großen Angriff auf das spätkapitalistische Produktionssystem und seine feudalen Restbestände, sondern lässt ihn im Rückblick ebenso als kulturellen Anfang der Postmoderne erscheinen. Das zumindest ist die zentrale These der von Mark Sladen und Ariella Yedgar kuratierten Ausstellung.

Roger Behrens: 1979 veröffentlichte Lyotard »Das postmoderne Wissen«. Wenn man die Postmoderne durch die drei Thesen vom »Tod des Subjekts«, vom »Ende der Metaerzählung« und vom »Bedeutungsverlust qua Sinnvervielfältigung« definiert, dann ist in den späten siebziger Jahren die Postmoderne für die Lebensweise in kapitalistischen Gesellschaften signifikant. Die Postmoderne ist dann als ambivalenter Modernismus zu verstehen, zu dem das »Barbican« ebenso gehört wie der Punk und auch eine bestimmte Kunstentwicklung: als Ausdruck der Krise.

Ich halte die Intention der Ausstellung erst ein­mal für richtig: zu zeigen, dass Punk und »Art in the Punk Years« den Beginn der Postmoderne markieren. Man darf dies nur nicht kulturgeschichtlich isolieren. Die sozialen und kulturellen Ursprünge der Postmoderne und des Modernismus finden sich bezeichnenderweise in den fünfziger Jahren, in denen der Pop entsteht.

Den Hinweis auf die Frage der nationalen Kultur halte ich für entscheidend: Pop löste die enge Bindung von Kultur und Nation auf, die seit der Aufklärung die bürgerliche Gesellschaft kennzeichnete, indem die »Nation« als Thema der Kunst einfach verworfen wurde. Gleichzeitig sind die Gesellschaften der internationalisierten Popkultur aber von einem aggressiven Nationalismus geprägt. Pop als »International Style« funktionierte nicht.

Darauf machte Punk kulturell aufmerksam, ohne dies aber als soziales Problem zu erkennen, das zum Beispiel mit Migration, Rassismus oder dem Asylrecht zu tun hat.

Kerstin Stakemeier: »Stil« ist in diesem Zusammenhang ein wesentliches Stichwort. Punk war zum Zeitpunkt seines ersten Erscheinens kein Stil. Er ließ die Auswirkungen der Pop-Entwicklung in der kulturellen Reproduktion der herrschenden Zustände auf das Subjekt selbst spürbar werden: Desintegration.

Dies ist als zentrales Merkmal der Londoner und der New Yorker Szenen festzuhalten, denn es verbindet David Wojnarowicz und Genesis P-Orridge, Cindy Sherman und Victor Burgin. Sie tragen Indizien der physischen und psychischen Zersetzung einer Generation zusammen, die in der Zeit der ökonomischen Rezession und des politischen Rollbacks »Gegenkultur« wörtlich nahm und nicht, wie im Ausstellungskatalog eingeebnet, als Stilphänomen zelebrierte.

Und darin sind ihre Produktionen von unmit­telbarem, radikalem Interesse: Sie versuchen, das Soziale zu restrukturieren, nicht das Politische, wie Carlo McCormick in seinem Katalogbeitrag schreibt. Der Angriffspunkt hat sich verschoben, ist aber keineswegs aufgelöst worden. Die Desintegration wird nicht melancholisch registriert, sondern im Gegenteil als Waffe gegen die Gesellschaft gerichtet. Diese Aggres­sion scheint sich in »Panic Attack!« in selbstverliebter, postmoderner Differenz und melancholischer Weltvergessenheit zu verlieren.

Roger Behrens: Es ist bezeichnend, dass die Begriffe der Popkultur, der Postmodernismus wie der Modernismus, auch Punk und schließlich Pop selbst, diffus geblieben sind. Auch in der Ausstellung bleiben sie diffus. Soziale Kämpfe wurden zum diskursiven Streit über die Bedeutungsmacht. Es geht nicht mehr um Revolution, sondern um Distinktion. In diesem Kontext ist das zu sehen, was du als »Desintegration« bezeichnest. Die Dialektik des Punk: Er versuchte, diese kulturelle Logik des Spätkapitalismus mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Punk ist der letzte Schritt einer Ästhetisierung der Politik gewesen.

In der Ausstellung lässt sich gut nachvollziehen, inwiefern Punk weniger eine politische als eine ästhetische Provokation darstellte: die Sex-Happenings von Genesis P-Orridge und Cosi Fanni Tutti, die obszönen Selbstdarstellungen von Nan Goldin oder die Homoerotik von Mark Morrisroe. Da sehe ich eine Skandalisierung der bürgerlichen Sexualmoral, aber keinen Angriff auf die kapitalistische Gesellschaft. Wenn man so will, war dies um 1980 bloß eine Panikattacke der Kultur, nicht der Infarkt des Systems.

Diese Problematik scheint mir angemessen in der Ausstellung thematisiert zu sein, wenn etwa mit Kopien oder Zeitungsausschnitten gearbeitet wird. Im Übrigen sehe ich darin auch Punk als »Stil« in Frage gestellt.

Kerstin Stakemeier: Der Umgang der Ausstellung mit ihren Exponaten ist zum einen ahistorisch, die Zuordnung der künstlerischen Produktionen zu ihrem gesellschaftlichen Kontext bleibt ästhe­tizistisch. Zum anderen ist er musealisierend, gerade bei Jamie Reids Sex-Pistols-Covers wirkt die Rahmung hinter Glas unfreiwillig komisch.

Das kann zwar wenig verwundern, wurde aber zum Beispiel in der »Downtown Show« besser gelöst. Dort waren historische Ausstellungen der Siebziger und Achtziger wieder zusammengesetzt worden, und diverse Materialien wie Fanzines, Clubmitgliedskarten, Fotos, Geschirr, Kleidung, Platten, Videos und Live-Mitschnitte wurden zusammengetragen. Sie firmierten zum einen nicht notwendig als Kunst, und zum anderen wurden sie nicht wie in »Panic Attack!« nach dem gegenwärtigen Bekanntheitsgrad ihrer Produzenten geordnet.

Die New Yorker Ausstellung setzte eine Szene zusammen, die an ihrer nur kulturellen Revolution ebenso zu Grunde ging wie an Reagans Politik. Ihr politisches Potenzial wäre in einem genaueren Vergleich zwischen den Bewegungen in New York und London herauszuarbeiten, denn selbst wenn Punk historisch die Gesellschaft nur aus der Kultur angriff, so bestimmt diese ja in der Ästhetisierung ihre Selbstwahrnehmung als Ganzes. So kann jeder Angriff, auch der auf die Sexualmoral, zum Generalangriff ausgebaut werden.

Roger Behrens: Genau daran ist meines Erachtens Punk auch schnell gescheitert.

Bezeichnend ist, und da stimmen wir in der Kritik wohl überein, dass die Ausstellung nicht ausreichend zwischen Punk und Post-Punk unterscheidet und zudem Punk auf Kunst reduziert. Mike Kelley – der mit den Covers für Sonic Youth – ist hier direkt neben Henry Rollins – der von Black Flag – zu sehen. Über Hardcore als soziale Bewegung ist genauso wenig zu erfahren wie über das problematische Verhältnis von Punkkultur zur politischen Linken.

Hinzu kommt, was du schon angesprochen hast: Die ausgestellten Arbeiten haben zum großen Teil nur durch das Datum ihrer Entstehung etwas mit Punk zu tun. Auch diese kuratorische Unschärfe wirkt als politische Entradikalisierung.

Kerstin Stakemeier: So wird eine Kulturalisierung des Widerstands fortgesetzt, der schließlich zum Gegensatz von politischer Radikalität und kultureller Praxis führt.

 

»Panic Attack! Art in the Punk Years«. Barbican Arts Centre, London. Bis 9. September 2007. Der Katalog ist zu beziehen über: www.barbican.org.uk