Saakaschwili redet die Lage in seinem Land schön

Comical Mischa

Der georgische Präsident Michail Saa­kasch­wili, genannt »Mischa«, erinnert derzeit stark an den ehemaligen irakischen Informationsminister, bekannt als Comical Ali, der beim Einmarsch der amerikanischen Armee in Bagdad 2003 verlauten ließ, dass die Amerikaner »nirgendwo« seien. Auch Saakaschwili will seine Bevölkerung glauben machen, dass er den Krieg nicht verloren habe.

Zwar hatte Russland mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands zugesichert, seine Truppen aus Georgien abzuziehen, doch zumindest bis Anfang der Woche war davon kaum etwas zu mer­ken. Im Gegenteil, russische Truppen blieben weit hinter der Grenze von Südossetien und wurden überwiegend in Gori stationiert. Berichten zufolge patrouillierten sie in den Straßen, zündeten Dörfer an, misshandelten die Bevölkerung. In den westgeorgischen Städten Senaki und Sugdidi wurden georgische Militärbasen von rus­sischen Soldaten geplündert, und vergangenen Sonntag wurde die nahe Tiflis gelegene Eisenbahnbrücke und damit die wichtige Verkehrsverbindung zwischen Ost- und Westgeorgien gesprengt.
Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR meldet 110 000 Flüchtlinge, die georgische Regierung spricht von 88 000 auf ihrer Seite. Während jedoch die südossetischen Flüchtlinge unter russischer Obhut wohl ohne viele Probleme in ihre Häuser zurückkehren können, wird die Situation für die georgischen Flüchtlinge immer schwieriger. Denn die jetzt Hinzugekommenen sind nicht die ersten in Georgien. Seit den Sezessionskonflikten Anfang der neunziger Jahre haben zehntausende georgische Flüchtlinge keine Aussicht darauf, in ihre Häuser zurückkehren zu können.

Trotz des internationalen Drucks lässt sich Russland Zeit mit dem Rückzug aus dem so genannten Kerngeorgien. Dass sein Militär die südosseti­schen und abchasischen Territorien aber in absehbarer Zeit wieder verlassen wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Einem Bericht der New York Times zufolge hat das russische Militär am Freitag mehrere Abschussanlagen für Kurzstreckenraketen vom Typ SS-21 nördlich der südossetischen Hauptstadt Zchinwali stationiert. Von dieser Stel­lung aus könnten die Raketen große Teile Geor­giens sowie die Hauptstadt Tiflis erreichen.
Das kann Michail Saakaschwili nicht gewollt haben. Er hat offensichtlich falsch spekuliert, als er vor zwei Wochen der georgischen Armee den Befehl zum Einrücken ins abtrünnige Süd­ossetien und zur Beschießung der Hauptstadt Zchinwali gab. Ein militärischer Beistand blieb sowohl seitens der Nato als auch der EU aus. Den­noch wurde die vermeintlich bedingungslose Unterstützung der USA und der Nato-Mitglieder in den georgischen Medien propagiert. In der ­typisch nationalistischen Manier, die »Reinheit« der eigenen Nation nicht zu beflecken, wurde die Schuld an der Eskalation dem treulosen Westen und dem »Aggressor« Russland in die Schuhe geschoben. Statt über die eigenen Fehler zu disku­tieren und die militärische Niederlage einzugeste­hen, prahlte die georgische Regierung damit, trotz des Ausfallens der westlichen Hilfe hart gekämpft und zehn russische Kampfflugzeuge ­abgeschossen zu haben. Die offiziell mit 200 angegebene Zahl der toten Soldaten und Zivilisten wurde seit den ersten Tagen nicht mehr aktualisiert. Russland hingegen spricht von 1 600 Toten.

Die Rhetorik und die Handlungsweise der Regierung Saakaschwilis ist ein Erbe stalinistischer, voluntaristischer Kategorien. Diese entstanden während der Auseinandersetzungen krimineller Banden in den Straßen Georgiens, wie zuvor im zaristischen Russland. Dort forderte der Patron von seinen Schützlingen unbedingte Loyalität und die Erfüllung der Forderungen. Die Untergebenen erhielten dafür Schutz bei Problemen mit der Polizei, anderen Gangs oder Behörden. Loyalität stand über allem. Diese Tauschbeziehung von Loyalität gegen Schutz wurde im Stalinismus auf den Staatsapparat übertragen. Und ihre Spuren sind auch im heutigen georgischen Staat wirksam. Saakaschwilis Regierung wendete diese Beziehungsform auf Georgiens Verhältnis zu den Nato-Staaten an. Der loyale Schützling Georgien, der mit 2 000 Soldaten im Irak als pflichtbewusster Militärdienstleister gilt und für seine liberalen Reformen von George W. Bush zum »Beacon of Liberty« erhoben wurde, erwartete den militärischen Schutz von den »befreundeten Staaten« im Konflikt mit Russland. Doch die georgische Regierung verkennt die sachlich vermittelten Herrschaftsverhältnisse zwischen den modernen Staaten. Stattdessen glaubt sie daran, dass diese Bedingungen einfach durch guten Willen unwirksam gemacht werden könnten.

Diese geopolitische Selbstüberschätzung speist auch den staatlicherseits forcierten Nationalismus in Georgien. Ein weiterer Bestandteil davon ist der Mythos des Opfers und das Sehnen nach dem »Wiedererstarken« der georgischen Nation. Der Nationalismus wurde seit den Niederlagen in den Konflikten der neunziger Jahre immer stär­ker, insbesondere nach der Macht­übernahme durch Saakaschwili im Jahr 2003. Im seit 2008 vom Verteidigungsministerium betriebenen Fernsehsender Sakartwelo kann man die Radikalisierung des Nationalismus gut beobachten. Dort laufen Magazinberichte, die die Erfolge bei der Ausbildung des georgischen Militärs feiern und oft unmissverständlich den Kampf in den abtrünnigen Gebieten propagieren. Es ist auch ein Werbefilm zu sehen, in dem georgische Ju­gend­liche bei ihrer Einschreibung in die Armee durch die Tore einer Kaserne marschieren, während über dem Bild ein Zitat Adolf Hitlers von 1932 zu lesen ist, nach dem »die verlorenen Ter­ritorien (...) einzig und allein nur durch die Kraft der Waffen« zurückgewonnen werden könn­ten.

Entgegen allen größenwahnsinnigen Prophezeiun­gen hat Georgien nun eine schwerwiegende Niederlage erlitten, deren Folgen vor allem die Be­völ­kerung und die Flüchtlinge zu spüren bekommen. Dennoch bleibt die Selbstverliebtheit der georgischen Regierung unbeirrt. Während das rus­sische Militär das Land besetzt hielt, ließ sie sich auf dem Freiheitsplatz in Tiflis von mehreren Zehntausenden frenetisch bejubeln. Saakasch­wili beteuerte, dass Georgien keinen Quadratmeter eigener Territorien an den russischen »Aggressor« abtreten werde. Dabei werden mit jenen Versprechen, die die realen Kräfteverhältnisse leugnen, und der Fixierung auf den äußeren Feind Russland die wirklichen Probleme übergangen, die Georgien mit den Abchasen und Osseten hat. Anders als im Autonomen Gebiet Adscharien, wo die Georgier die überwiegende Mehrheit stellen, muss in den beiden abtrünnigen Regionen eine Zusammenarbeit und ein vertrauensvoller Umgang mit der Bevölkerung einsetzen, soll eine dauerhafte Lösung der Konflikte und die Rückkehr der alten und der neuen Flüchtlinge überhaupt möglich seien.
Saakaschwili hat schon immer das Zurückholen der abtrünnigen Gebiete und die Wiederherstellung der territorialen Einheit zum Hauptziel seiner Präsidentschaft erklärt. Bei seiner ersten Vereidigung im Jahr 2004 stand er im Kloster Gelati auf dem Grab von David, dem Erbauer, dem König aus dem 11. Jahrhundert, der Georgien von den Seldschuken befreite und die Grenzen des Landes weit in den Kaukasus ausdehnte. Saakaschwili schwor bei David und mit Tränen in den Augen, Georgien wieder zu vereinigen. Es wird sich zeigen, ob die georgische Bevölkerung auch nach dem Abzug der russischen Truppen noch hinter Saakaschwili stehen und ihm seine leeren Heilsversprechen glauben wird.