Ein linkes Bündnis will gegen die »Krise des Kapitalismus« vorgehen

Forderungen überakkumulieren

Über eine überzeugende Krisenanalyse verfügt es zwar nicht. Dennoch bereitet ein Bündnis verschiedener linker Orga­nisationen unter dem Motto »Wir zahlen nicht für eure Krise« eine Großdemonstration vor.

Die Stunde der Taktik und der Aktion soll schlagen. Denn den Augenblick, in dem das System strauchelt – darf man ihn ungenutzt verstreichen lassen? In einem Protokoll des linken Bündnistreffens »Linke Alternativen zur Krise des Kapitalismus« heißt es: »Da die Linke innerhalb der Krise bisher weitgehend unsichtbar ist, braucht es eine zentrale Aktion ähnlich der Großdemo vom 1.11.2003.« Was aber war noch gleich an dem Tag? Am 1. November 2003 verstarb viel zu früh Erwin Sievers, ein Spielfreund des Spielmannzugs der Schützengilde Ringelheim. Google zufolge fand außerdem die Schweizer Meisterschaft im Natural-Bodybuilding statt. Irgendwo unter den Treffern findet man tatsächlich auch irgendeine Großdemonstration.

Vielleicht wird die nun für den 28. März unter dem Motto »Wir zahlen nicht für eure Krise« ­geplante Bündnisdemonstration einen prominenteren Platz im kollektiven Gedächtnis ergattern, denn das Protokoll der Bündnisplaner zeigt taktisches Gespür. »Hauptstadt: politische Adressaten und internationale Wahrnehmbarkeit; Medienpräsenz«, ist da zu lesen. Außerdem: »Möglichst breites Bündnis, das sich auf die Krisenfolgen konzentriert und die sozialen Auswirkungen mit grundsätzlichen politischen Forderungen verbindet (fünf bis sieben medial vermittelbare und mobilisierbare Schwerpunktforderungen).«
Die »Gruppe soziale Kämpfe«, die das Bündnis aus Gewerkschaften, Attac, der Interventionistischen Linken und diversen anderen Gruppen initiiert hat, betont, dass es bisher »noch keine einheitliche Krisendefinition ›von oben‹« gebe. Da dieses »Interventionsfenster« nicht ewig offen bleibe, sei nun Eile geboten, eine linke Definition zu liefern. Aber auch seitens des Bündnisses steht nicht fest, ob der Verweis auf »Heuschrecken«, ein »Casino« oder den Kapitalismus als solchen eine Krisendefinition hergibt, auch wenn sich die »Überakkumulationsthese« zunehmender Beliebtheit erfreut. Wenn das Kapital vor lauter Akku­mulation nicht mehr weiter wisse, blähe es sich in der Finanzwirtschaft zu Spekulationsblasen auf, die in der Krise platzten – so kurz wäre die These dann wohl »medial vermittelbar«. Manche am Bündnis Beteiligte kommen dann jedoch zu dem Schluss: Der »maßvolle« Kapitalismus mit »gerechten Löhnen« ist vielleicht die Lösung.
»Klar klingt das zum Teil danach, als würde Umverteilung das Problem erledigen. Einige im Bündnis fordern auch die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze statt die Abschaffung derselben«, sagt Julian Benz von der Gruppe soziale Kämpfe und weist auf die Differenzen im Bündnis hin. Aber eine Einigung auf eine Krisendefinition sei auch nicht so wichtig, betont das Protokoll des Bündnistreffens: »Wichtig ist eine überzeugende politische Äußerung der gesellschaftlichen Linken.«

Weil es mit der überzeugenden Krisenanalyse nicht leicht ist, greift das Bündnis zu einer neuen Strategie: möglichst viele Forderungen aufstellen! Gesetzlicher Mindestlohn von 12 Euro, weg mit Hartz IV, 30-Stundenwoche sofort, Rente mit 60 Jahren, Überführung öffentlicher Einrichtungen in gesellschaftliches Eigentum – um nur einen Bruchteil der Forderungen zu nennen. »Ohne Unterschriften immer noch 3 090 Zeichen, aber in dieser Länge auf einer Seite zu layouten«, steht unter dem ausführlichen Forderungskatalog im Internet geschrieben, der wohl für ein Flugblatt gedacht ist. Es ist wahrlich nicht leicht, alle Forderungen auf einer Din-A4-Seite unterzubringen.
Noch schwieriger wird es bei der Frage, von wem das alles einzufordern ist – jedenfalls für den Fall, dass es sich nicht um den Entwurf für ein weiteres »Konjunkturpaket« handeln soll. »Auch wenn das nicht alle im Bündnis so sehen, ist für mich nicht die Bundesregierung der Adressat dieser Forderungen«, sagt Benz, »die Bevölkerung, die sozialen Bewegungen, die radikale Linke selbst soll durch die Forderungen mobilisiert werden, für ihre sozialen Rechte zu kämpfen.« Dass die Forderungen dabei vom Mindestlohn bis zum selbstbestimmten Leben reichen, gehört wohl zur Strategie. »Vielleicht kann man aus dieser Grauzone zwischen realistischen und unrealistischen Forderungen auf Handlungsspielräume und Möglichkeiten aufmerksam machen«, hofft Benz.
Einfacher aber demonstriert es sich, wenn man weiß, gegen wen. Weil die Demonstration kurz vor den geplanten Protesten gegen das Nato-Jubiläum stattfinden wird, bemühen Bündnispartner wie Attac verstärkt den »Zusammenhang von Krise und Krieg«. Und dass »Krise und Krieg« gar »Geschwister« sind, wer würde das bezweifeln? »Zum Beispiel sollte man sich den Bundeswehreinsatz gegen die Piraterie vor Somalia ansehen«, sagt Roland Süß, der im Koordinierungsrat von Attac sitzt und im Bündnis mitarbeitet. Seiner Meinung nach hat der IWF die staatlichen Strukturen Somalias ruiniert, und europäische Fischerflotten haben das Meer vor Somalia leergefischt. »Die Leute, die jetzt Schiffe aufbringen, sind größtenteils ehemalige Fischer, die keine Lebensgrundlage mehr haben – da sieht man, wie die westliche Welt militärisch auf solche Krisen reagiert«, sagt Süß.
Auf Afghanistan, den Irak oder gar Gaza will er sich dann jedoch lieber nicht beziehen. Und auch die klassische Imperialismusthese, derzufolge der Krieg nicht ein Krisensymptom, sondern die Krisenlösung des Kapitals ist, überlässt man zumindest offiziell lieber der Gruppe »Arbeitermacht«, die auch hinter dem Krieg in Gaza mühelos die Interessen des US-Imperialismus entdeckt.

»Imperialismus taucht im Eckpunkte-Papier des Bündnisses nicht auf. Wenn man diesen Begriff benutzen würde, müsste man sich gut überlegen, in welchem Sinne man ihn eigentlich noch verwenden will«, sagt Benz von der Gruppe soziale Kämpfe, der im Gegensatz zu Attac, zur Interventionistischen Linken und anderen Bündnispartnern lieber keine inhaltliche Verbindung zwischen der Krisen-Demonstration und den Protesten gegen die Nato herstellen will. »Wenn man interveniert und Bündnisarbeit macht, wird man natürlich mit Positionen konfrontiert, denen man so nicht zustimmt.« Man könne sich stattdessen auch in »kleine, linke Kritikzirkel zurückziehen«. Das sei zwar interessant, »aber politisch folgenlos«.
Vielleicht ist die geplante Demonstration folgenreicher. Die Beteiligten erhoffen sich selbstverständlich den »Auftakt einer breiteren Bewegung«. Vielleicht findet man in fünf Jahren bei Google für den 28. März 2009 eine Großdemonstration unter dem Motto »Wir zahlen nicht für eure Krise«. Und das nicht etwa weit hinter den Süddeutschen Schwimm-Meisterschaften in Burghausen.