Auftakt der G20-Proteste in London

Rainbow in the City

Seit dem Wochenende kommen immer mehr Leute nach London, die den G 20-Gipfel mit verschiedenen Aktionen stören wollen. Aber es ist noch nicht einmal sicher, dass bei diesem Treffen etwas beschlossen wird.

Die Protestierer seien »hochintelligent« und »gewaltbereit«, beteuert die Londoner Polizei seit Wochen und füttert dabei die Presse mit Geschich­ten über die in dieser Woche zu erwartenden Ausschreitungen. Am Wochenende wurde sogar Bankangestellten geraten, auf dem Weg zur Arbeit keine Anzüge zu tragen, um die Gipfelgegner »nicht zu provozieren«. Der Auftakt der Proteste gegen den G 20-Gipfel verlief am Samstag ohne Überraschungen. Banker mit Schlips waren am Wochenende zwar kaum unterwegs, aber vermut­lich lag das nicht an der Warnung der Polizei. 35 000 Teilnehmer marschierten entlang der Them­se zum Parlament in Westminster und bogen dann in die Downing Street ab, wo die Regierung sitzt. Das Polizeiaufgebot war groß, doch abgesehen von der deutlich erhöhten Lautstärke der Sprechchöre blieb auch vor dem Büro von Premierminister Gordon Brown alles ganz friedlich.
Eine neue Basis-Bewegung entstehe mit diesem Protest, sagten die Sprecher von Put People First, einem Bündnis aus mehr als 150 Ge­werk­schaf­ten, Umweltgruppen und Hilfsorganisationen, die in einer »Rainbow Alliance« unter dem Motto »Arbeit, Gerechtigkeit, Klima« demons­trier­ten. »Wir wollen die G 20-Staaten darauf aufmerk­sam machen, dass die Finanzkrise nun zur huma­nitären Krise wird«, sagte Claire Melamed von der Hilfsorganisation Action Aid begeistert und traf mit ihrem Statement den Grundton der Veranstaltung. Obwohl es an radikalerer Kritik nicht fehlte, hatte das Sammelsurium aus linksradikalen Gruppen und Miniparteien insgesamt wenig Neues zu sagen.
Die Gewerkschaften und ihr Dachverband TUC haben bisher eine radikale Kritik an der Regierung Brown vermieden. Auch Rücktrittsforderun­gen stellten sie nicht. Dabei hatte Brown als Finanzminister jahrelang die Forderungen nach einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte zurückgewiesen und trägt somit direkte politische Verantwortung für die Krise. Doch an einem frühen Ende der Regierung Brown haben die Gewerkschaften offenbar kein Interesse. Brown gehört der Labour-Partei an, unter ihm haben sie immerhin mehr Einfluss als unter einer konservativen Regierung.
Darüber hinaus hat Brown seit Beginn der Krise eine Wende vom Neoliberalismus zum Neo-Keynesianismus vollzogen. Mit Milliarden Pfund ist dabei nicht nur die britische Finanzindustrie unterstützt und de facto verstaatlicht worden. Durch die Senkung der Mehrwertsteuer und der Leitzinsen wurden zudem private Haushalte entlastet. Am Sonntag kündigte Finanzminister Alistair Darling eine mögliche Erhöhung des Arbeitslosengelds sowie Finanzhilfen für ein­kom­mens­schwache Familien im neuen Haushaltsplan an, der Ende April vorgestellt wird.
Andererseits hat Browns Ausgabenpolitik zu einer derart umfangreichen Neuverschuldung geführt, dass neben den Konservativen und dem bri­tischen Industrieverband inzwischen sogar der Notenbankchef der Regierung, Mervyn King, vor weiteren Ausgaben warnt. Die Neuverschuldung wird in diesem Jahr nach Schätzungen der EU-Kommission auf 9,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansteigen, was dem Dreifachen der Obergrenze in den Stabilitätskriterien des Euro entspricht. In der vergangenen Woche war es der britischen Notenbank nicht gelungen, alle Staats­anleihen zu verkaufen, weil es zu wenig Nach­frage gab. Solche Verkäufe sind normalerweise eine Routineangelegenheit. Das Scheitern macht deutlich, dass das Vertrauen in die britische Regierung sinkt.

Angesichts seiner schwierigen innenpolitischen Lage richtet Brown seine Ambitionen auf die Rolle des globalen Krisenmanagers. Dass er London als Treffpunkt für den Gipfel der G 20-Saaten gewählt hat, ist symbolisch. Damit stellt er eine Beziehung zu einem anderen Gipfeltreffen in Lon­don und zu einer anderen Krise her. 1933 fand in der britischen Hauptstadt ein Gipfeltreffen statt, das die Auswirkungen der damaligen Weltwirtschaftkrise bekämpfen sollte. Doch 1933 scheiter­te die Konferenz vor allem am Unwillen der USA, sich multilateral zu binden. Die Welt fiel daraufhin in eine protektionistische Phase, der internationale Handel brach zusammen.
Beim G 20-Treffen geht es in dieser Woche nicht zuletzt darum, eine solche Auswirkung der Wirtschaftskrise zu vermeiden. Allerdings warnten einige Staats- und Regierungschefs bereits vor dem offiziellen Beginn des Treffens vor allzu großen Erwartungen an die Londoner Tagung. Angela Merkel sagte im Interview mit der Financial Times, »die Gespräche über eine neue internationale Finanzmarktarchitektur« könnten mit dem Treffen in London nicht abgeschlossen werden. »Wir werden uns bestimmt wieder treffen müssen.« Kevin Rudd, der australische Premierminister, sagte, die Entscheidung, wie viel Unterstüt­zung die Weltwirtschaft im kommenden Jahr brauche, liege beim Internationalen Währungsfonds. Vor allem die britische Regierung versuchte, die Ziele des Gipfels bereits vorher zu definieren und dabei die Erwartungen der Öffentlichkeit zu dämpfen. »Es ging nie darum, über nati­onale Budgets zu entscheiden«, sagte der britische Außenminister David Miliband. Auch Schatz­ministerin Yvette Cooper machte deutlich, dass nationale Budgets beim Gipfeltreffen kein Thema sein werden.

Viel Lärm um nichts also? Nicht für die Globalisierungskritiker, Kapitalismusgegner und Klimaschützer, die nach London gekommen sind, um den Gipfel zu stören. Dabei profitieren sie strategisch von der Wahl Londons als Tagungsort. Seit den Ausschreitungen in Genua im Jahr 2001 wurden die großen Treffen immer abseits der europäischen Großstädte auf dem Land abgehalten, wo man Demonstranten besser auf Abstand halten konnte. Das Konferenzzentrum Excel, in dem die G 20-Staaten in dieser Woche tagen, liegt zwar abgelegen in den Ostlondoner Docklands und ist relativ leicht abzuschotten. Doch die Delegationen müssen durch die Stadt transportiert werden, und neben dem Konferenzzentrum selber gibt es eine Reihe von anderen »sensiblen Zielen«, wie zum Beispiel die City, das Finanzzentrum der Stadt.
Der neue Chef der London Metropolitan Police, Paul Stephenson, möchte zeigen, dass er der richtige Mann für den Job ist. Rund 10 500 Polizis­ten sind im Einsatz, einige von ihnen sind mit Taser-Waffen ausgestattet. Die Londoner Polizei bestätigte, dass diese Art von Waffen zum ersten Mal während der G 20-Proteste im Zusammenhang mit Demonstrationen eingesetzt wird. Die Organisatoren mussten bereits vor dem Beginn der Proteste Repressalien hinnehmen. In der vergangenen Woche hatte die Polizei verschiedene bekannte Protestgruppen kontaktiert und sie vor Ausschreitungen gewarnt. Man sei »up for it«, hieß es bei der Polizei.
Chris Knight, Professor für Anthropologie an der Universität von East London und Mitbegründer des Protestnetzwerks »G 20 Meltdown«, wurde indes von seiner Universität suspendiert, nachdem er in einem Zeitungsinterview gesagt hatte, Banker könnten von ärgerlichen Protestlern gelyncht werden.