Über »Nachrichten vom Vesuv. Briefe, Blitze, Lästereien« von Ferdinando Galiani

Der schmutzigste Mensch des Jahrhunderts

Einer der wunderlichsten Geister des 18. Jahrhunderts wurde spät wiederentdeckt: der Gelehrte und Satiriker Ferdinando Galiani.

Ferdinando Galiani war Gelehrter, Ökonom, Diplomat, Freigeist, Schriftsteller, Satiriker und nicht zuletzt ein begnadeter Unterhalter von Tischgesellschaften. Nietzsche nannte den 1728 in den Abruzzen Geborenen den »tiefsten, scharfsichtigsten und vielleicht auch schmutzigsten Menschen seines Jahrhunderts«. Goethe dagegen, der während seiner Italienreise den greisen Galiani besuchte, berichtet von einem »wunderlichen Greis«, der unaufhörlich plapperte und »unmäßig derbe Anekdoten« zum Besten gab.

Bereits als 16jähriger produzierte Galiani seinen ersten Skandal. In Neapel, wo er studierte, hatte ihm eine honorige Akademie die Aufnahme verweigert. Den Stil der damals üblichen Lobreden der Akademien auf ihre verstorbenen Mitglieder imitierend, verfasste Galiani einen Nachruf auf den toten Stadthenker. Die Satire machte Furore und trug Galiani die Gunst seines späteren Gönners ein, des mächtigen Reformministers Bernardo Tanucci. Mit 22 ver­öffentlichte Galiani sein Hauptwerk, die ökonomische Untersuchung »Della Moneta« (Über das Geld), die ihn in ganz Italien bekannt machte. Als Belohnung erhielt er vom König von ­Neapel die Pfründe zweier Abteien; aber um diese entgegennehmen zu können, waren die niederen Weihen erforderlich. So wurde aus dem Freigeist und Possenreißer der »Abbé Galiani«.

1759 ernannte Tanucci seinen Protegé zum Sekretär der neapolitanisch-spanischen Gesandtschaft in Paris. Dort blühte Galianis Talent als Unterhalter und Satiriker auf. Er fand Anschluss an die Kreise der Enzyklopädisten, befreundete sich mit Diderot, Melchior Grimm und d’Alembert und verbrachte seine Zeit in den einschlägigen Salons der Madames d’Épinay, Lespinasse, Necker und Geoffrin. Als er zehn Jahre später wegen eines diplomatischen Unfalls wieder aus Paris abberufen wurde, traf ihn dies schwer. Von Neapel angeödet, suchte er Trost im lebhaften Briefwechsel mit seinen Pariser Freunden – allen voran der fast wöchentliche mit der Schriftstellerin und Salonnière Louise d’Épinay. »Ich amüsiere alle Welt, nur mich selbst nicht«, schrieb er resigniert.

Seine gegen die einflussreiche ökonomische Schule der Physiokraten gerichtete Schrift »Dialoge über den Getreidehandel«, die er kurz nach seiner Abreise aus Paris vollendete, er­regte auch ihres ungewöhnlich satirischen Stils wegen die Gemüter. Auf die Kritik, die ihm von seinen Briefpartnern kolportiert wurde, reagierte er vor allem mit Witzen über den drögen Stil seiner Gegner und deren pedantisch-schulmeisterliche Art und meinte im Übrigen: »Auf Ehre und Gewissen, sie sind zu dumm; es ist vollkommen unmöglich, ihnen eine einzige Zeile zu antworten.«

Die beständig geäußerte Hoffnung Galianis, nach Paris zurückkehren zu können, erfüllte sich nicht. Er starb 1787 in Neapel, in Gesellschaft seiner Angorakatzen, nachdem er bereits die meisten seiner Pariser Freunde überlebt hatte. Der unlängst gegründete Verlag Galiani Berlin muss natürlich unter seinen ersten Veröffentlichungen einen Band seines Namenspatrons führen. Zu diesem Behufe wurden, unter dem etwas abgeschmackten Titel »Nachrichten vom Vesuv – Briefe, Blitze, Lästereien«, neben einer Auswahl aus den Briefen des Abbé Galiani kurze Auszüge aus seinen Hauptwerken »Über das Geld« und »Dialoge über den Getreidehandel« sowie aus den unvollendet gebliebenen »Horazstudien« versammelt, ergänzt um sechs Seiten so genannter »Blitze und Splitter«.

Es ist verdienstvoll, den weitgehend vergessenen Galiani überhaupt wieder zugänglich zu machen. Die Briefe sind unterhaltsam, oft wunderbar pessimistisch und misanthropisch, voller Sarkasmus und Selbstironie und behandeln unterschiedlichste Themen von Politik über Religion bis hin zu Alltagsproblemen und Abgelegenem wie etwa der Sprache der Katzen.

Wie leider nicht unüblich, bieten die »Nachrichten vom Vesuv« nur eine schmale Auswahl von Briefen Galianis an verschiedene Empfänger aus vier Jahrzehnten – und kaum eine Zeile von den Briefpartnern. Diese ohnehin fragwürdige Praxis steht einer Galiani-Ausgabe besonders schlecht zu Gesicht. Denn Galiani betont wiederholt, wie unersetzlich ihm der Austausch mit seinen Pariser Korrespondenten ist: »Ich versichere Ihnen, ich habe in Neapel kein anderes Vergnügen, als im Geiste nicht hier zu sein.« Auch zu lesen habe er keine Lust mehr, denn alleine zu lesen, »ohne einen Menschen zu haben, mit dem man sprechen oder streiten, vor dem man sein Licht leuchten lassen, den man anhören oder von dem man sich anhören lassen kann – das ist unmöglich.« Für den Leser aber bleiben die für Galiani so essentiellen Beiträge der Briefpartner unsichtbar. Aus ihrem Zusammenhang herausgerissen, verkümmern die ­Schreiben Galianis zu stilistischem Schaulaufen und isolierten Gedankenfetzen über unzusammenhängende Themen. Daran können auch die spärlichen Anmerkungen, die die erwähnten Namen und Ereignisse erläutern, nicht viel ändern. Man liest eben keinen Briefwechsel, sondern vereinzelte Briefe ins Nichts. Überdies gibt die editorische Notiz keinerlei Aufschluss über die Kriterien, nach denen die Brie­fe ausgewählt wurden. Die vorliegende Neuausgabe ist allerdings, neben der Faksimile-Ausgabe einer umfangreicheren Auswahl von 1907 in Frakturschrift, die einzige derzeit lieferbare, die die Briefe überhaupt auf Deutsch zugänglich macht.

Die Auszüge aus den Werken (die zusammen weniger als ein Drittel des Bandes füllen) sind in ihrer Kürze erst recht witzlos. Die gut 20 Seiten aus »Della Moneta« beispielsweise sollen erklärtermaßen nicht »die ökonomische Weltsicht Galianis zusammenhängend darlegen«, sondern einem »breiten Publikum« Galianis stilistische »Qualitäten illustrieren«. Der Verlag will seiner Selbstdarstellung zufolge »an allem interessiert – und nie langweilig« sein und versucht wohl zu beweisen, sich dafür den richtigen Namen geborgt zu haben. Das leere, an der Sache desinteressierte Show-off von »geistreichem Witz« illustriert aber weniger Galianis Schriftstellerei als den oberflächlichen Feuilletonistengeist des zeitgenössischen Buchbetriebs.

In den »Blitzen und Splittern« schließlich hat der Herausgeber das zusammengestellt, was er wohl für die besten Aphorismen Galianis hält. Nicht nur wegen der abgedroschen-blumigen Überschrift ist dieser Abschnitt paradigmatisch für die Mängel der Ausgabe. Hier werden für den Teil des »breiten Publikums«, der sogar für die Lektüre des vorliegenden Bandes zu faul ist, ihn aber des hübsch-fleckigen Einbands und des bildungsbürgerlichen Distinktionsgewinns wegen als Coffee Table Book erworben hat, Kalendersprüche aneinandergereiht, die vollends das Ziel verfehlen, die Scharfsinnigkeit des Autors unter Beweis zu stellen. Besonders sinnlos erscheint es, dass viele der »Aphorismen« aus im Band selbst enthaltenen Schriften stammen. So beispielsweise: »Furcht und Habgier sind die Ursachen der Grausamkeit.« (Aha.) Oder: »Steuern sind die rheumatischen Schmerzen der Staaten, eine Alterskrankheit.« Der Gedankengang, der zu dieser These führt, fehlt gänzlich, und somit auch alles, was hier interessant oder geistreich sein könnte. Wer das letztgenannte Zitat im Kontext nachlesen will, muss eigentlich nur Seite 101 des vorliegenden Bandes aufschlagen. Da aber das »breite Publikum« auf Quellenangaben bekanntlich ebenso allergisch reagiert wie auf mathematische Formeln, ist man für diese Entdeckung auf das eigene Gedächtnis angewiesen. Reine Platzverschwendung sind die über jedes der oft nur zwei Zeilen langen Zitate geklebten Überschriften.

Bleibt zu hoffen, dass der neu gegründete Verlag Galiani in seinem restlichen Programm dem Namensgeber mehr Ehre macht. Und dass sich irgendjemand einmal an die Aufgabe wagt, eine umfassende, ordentlich edierte Gesamtausgabe der Briefwechsel Galianis zu publizieren.

 

Ferdinando Galiani: Nachrichten vom Vesuv. Briefe, Blitze, Lästereien. Galiani-Verlag, Berlin 2009. 304 Seiten, 24,95 Euro