Über Leiharbeit

Eine Woche gegen Menschenmakler

Leiharbeit bedeutet: weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Gewerkschaften und Arbeitsämter tragen ihren Teil zu diesem Umstand bei. Die FAU fordert, Leiharbeit abzuschaffen.

»Bisher konnten diese Menschenmakler ihrem anrüchigen und lukrativen Gewerbe in aller Ruhe nachgehen, weil keine Behörde, kein Unternehmerverband und kein Betriebsrat es wagte, gegen die als harmlose Einzelfirmen getarnten Vermittlungsbüros einzuschreiten.« So beschrieb der Spiegel 1957 das System der Leiharbeit. Es sei ein »zwielichtiges Vermittlergeschäft« zur Ausbeutung von »beschäftigungslosen Flüchtlingen, Urlaubern, entlassenen Strafgefangenen« und Arbeitslosen. Mittlerweile ist die Leiharbeit als Teil der »Agenda 2010« ein staatlich geförderter, immer größer werdender Sektor des Arbeitsmarktes. Im vergangenen Jahr waren 800 000 Menschen darin beschäftigt, seit Beginn der Krise wurden allerdings 300 000 von ihnen entlassen.

Die »gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung« war in Deutschland lange Zeit verboten. 1967 hob das Bundesverfassungsgericht das Verbot auf und schuf so einen »Freiraum wirtschaftlicher Betätigung«, wie es damals in der Begründung hieß. Mit den Hartz-Gesetzen wurden die Bestimmungen zur Leiharbeit modifiziert und die Vermittlung von Arbeitskräften wurde erleichtert, angeblich mit dem Ziel, Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Firmen sollten ihr Personal in Leiharbeit »testen« können, ohne mit den zuvor gültigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen konfrontiert zu sein.
Der angestrebte so genannte Klebe-Effekt blieb aber weitgehend aus. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge bekommen nur 15 Prozent der Leiharbeiter im Anschluss eine feste Stelle, der DGB vermutet, dass der »Klebe-Effekt« »in der derzeitigen Krise gegen Null geht«. Statt ein erster Schritt zu einem festen Job zu sein – sofern man den haben will –, reicht diese Art der Arbeit bei vielen noch nicht einmal aus, um den Lebensunterhalt zu sichern. Jeder achte Leiharbeiter ist trotz Vollzeitbeschäftigung auf ergänzende Leistungen nach Hartz IV angewiesen. Gleichzeitig werden Festanstellungen immer seltener, viele Firmen entlassen Mitarbeiter, um sie bei Bedarf temporär und zu schlechteren Bedingungen wieder anzumieten.
Zwar wurde zum Schutz der Leiharbeiter der Grundsatz »Equal Pay – Equal Treatment« im Gesetz festgeschrieben, der gleichen Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Arbeitsbedingungen sicherstellen soll – was im übrigen als Artikel 23 längst in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu finden ist. Jedoch wurde im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ein Passus hinzugefügt, der es erlaubt, mit Tarifverträgen von diesem Grundsatz abzuweichen. »Dadurch bekommen die Leute generell Dumpinglöhne, die weit unter dem liegen, was ihnen laut Gesetz zusteht. Was als Ausnahmemöglichkeit im Gesetz verankert wurde, ist mittlerweile die Norm«, sagt Kersten Cohrs von der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) Frankfurt der Jungle World.
Um sich bei der Ausarbeitung der Tarifverträge nicht auf die sozialdemokratischen Gewerkschaften verlassen zu müssen, wurde zu der Zeit, als die Hartz-Gesetze eingeführt wurden, die »Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit und Personalserviceagenturen« (CGZP) gegründet. Diese handelte in den vergangenen Jahren Tarifverträge zu äußerst schlechten Bedingungen für die Leiharbeiter aus. Im Frühjahr wurde ihr vom Amtsgericht Berlin deswegen die »Tariffähigkeit« aberkannt. Sollte der Beschluss in zweiter Instanz bestehen bleiben, dürfen sich viele Leiharbeiter auf kräftige Nachzahlungen freuen, da dann die Tarifverträge ungültig würden und die Arbeiter rückwirkend Anspruch auf gleiche Bezahlung hätten.

Die FAU geht die ganze Sache grundsätzlicher an. »Leiharbeit abschaffen« lautete das Motto ihrer Kampagne, in deren Rahmen vorige Woche in mehreren Städten Aktionen stattfanden. »Nach der Gesetzeslage, die wir haben, bedeutet gleicher Lohn für gleiche Arbeit das Ende der Leiharbeit. Unter diesen Bedingungen würden die Kundenunternehmen keine Leiharbeiter mehr anfordern«, erklärt Cohrs. Was diese Einschätzung angeht, sind sich die anarchosyndikalistische Gewerkschaft und die Branchenverbände ausnahmsweise einig. »Die Tarifverträge wurden auch deshalb notwendig, weil Kundenbetriebe infolge des Equal-Treatment-Grundsatzes auf den Einsatz von Zeitarbeitnehmern verzichtet hätten. Die Dienstleistung Zeitarbeit wäre zu teuer geworden«, schreibt der Bundesverband Zeitarbeit auf seiner Homepage. »So können Leiharbeiter um die Gleichbehandlung betrogen werden, wenn willige Gewerkschaften mitspielen«, fügt Cohrs hinzu.
Die Leiharbeit bietet den beteiligten Unternehmen große Vorteile. So erwirtschafteten Adecco, Randstad und Manpower, die drei größten Verleiher, 2007 einen Gewinn von zusammen 1,43 Milliarden Euro, wie aus dem »Schwarz-Weiß-Buch Leiharbeit« der IG Metall hervorgeht. Die Entleiherfirmen wiederum verfügen über flexible Arbeitskräfte, die sich wegen ihres prekären Status und den wechselnden Orten, an denen sie arbeiten, kaum gewerkschaftlich organisieren und häufig stillschweigend akzeptieren, wenn geringe Löhne gezahlt werden oder das Urlaubsgeld und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ausbleiben. »Es ist noch schlimmer als normale Lohnarbeit, es ist eine Arbeit zweiter Klasse«, so Cohrs.
Nicht unbedeutend für den florierenden Sektor ist die Bundesagentur für Arbeit (BA), die Arbeitslose häufig unter Androhung von Leistungskürzungen in die Leiharbeit zwingt. So kann die BA ihre Statistiken frisieren, und die Arbeitgeber haben ein Heer an Arbeitskräften zur Verfügung, die keine andere Wahl haben, als die oft miserablen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Dazu gehört bisweilen auch die Teilnahme an Leiharbeitsmessen beziehungsweise »neudeutschen Sklavenmärkten«, wie die Antileiharbeits-Initiative Düsseldorf solche Veranstaltungen nennt. Zwar erhalten Arbeitssuchende nach Angaben der Bundesregierung Einladungen ohne »die Androhung von leistungsrechtlichen Sanktionen«. Jedoch kann die Meldepflicht bei den Bundesagenturen für Arbeit mit dem Besuch dieser Messen verbunden werden, um das »Ziel der Integration« zu erreichen, wie aus einer Antwort auf eine kleine Anfrage hervorgeht.
Fast alle Gewerkschaften fordern gesetzliche Veränderungen. Cohrs von der FAU sieht das Problem grundlegender: »Der Punkt ist, dass du zwei Chefs durchfüttern musst. Der Leiharbeitgeber will verdienen, und die Verleihfirma will profitieren. Das Ergebnis ist, dass Leiharbeiter im Schnitt 30 bis 50 Prozent weniger verdienen als ihre fest angestellten Kollegen.«

Dagegen regt sich Widerstand. In vielen Städten haben sich Initiativen gegründet, die gegen die Bedingungen in der Leiharbeit protestieren. Ende 2005 gab es in Frankfurt den ersten Streik bei einer Leiharbeitsfirma. Die prekäre Arbeitssituation und die häufigen Arbeitsplatzwechsel verhindern jedoch oft eine Organisierung der Leiharbeiter. »Man lässt sich mehr gefallen und hält auch mal die Klappe in der Hoffnung, einen längerfristigen Job zu bekommen. Dazu kennst du deine Kollegen ja nicht. Da ist Widerstand zu organisieren wahnsinnig schwer«, sagt Cohrs. Ziel der Kampagne der FAU sei es, das Thema überhaupt in die Diskussion zu bringen und zu erreichen, »dass sich auch andere politische Gruppen, die sich bisher für soziale Fragen in diesem Bereich nicht so interessiert haben, daran beteiligen«. Langfristig müsse es aber darum gehen, »diese Art der Doppelausbeutung, der Hyperflexibilität und der Prekarität abzuschaffen«.