Urteil gegen den letzten argentinischen Diktator

Späte Gerechtigkeit

Der letzte Chef der argentinischen Militärjunta ist zu einer hohen Haftstrafe ver­urteilt worden. Dass Verantwortliche der Diktatur ins Gefängnis müssen, ist in ­Argentinien neu.

Als das Urteil verkündet wurde, hielt der ehema­lige General Reynaldo Bignone an argentinischen Gebräuchen fest. Er setzte sich mit den anderen Angeklagten gemeinsam an einen Tisch in einem Nebengebäude des Gerichts und schlürfte Mate-Tee. Die beruhigende Wirkung dieses Gemeinschaftsrituals wird er nötig gehabt haben. Marta Milloc, die Vorsitzende Richterin des Bundesgerichts von San Martín, verurteilte den letzten Herrscher der argentinischen Militärdiktatur, die von 1976 bis 1983 herrschte, zu 25 Jahren Haft. Sechs weitere Militärs erhielten hohe Haftstrafen. Zudem sollen die Angeklagten, die seit Prozessbeginn unter Hausarrest stehen, in staat­liche Gefängnisse verlegt werden. Das ist ein Novum in einem Land, in dem betagte Militärs sonst während ihrer Haftstrafe in den Garten ihrer Villa zum Grillen einladen können.
Der 82jährige Bignone, der in den Jahren 1976 bis 1978 als Kommandant des Armeestützpunkts Campo de Mayo im Westen von Buenos Aires diente, soll für das gewaltsame Verschwindenlassen und die Ermordung von 56 Personen verantwortlich sein. Campo de Mayo war neben Esma, der ehemaligen Mechanikerschule der Marine, eines der berüchtigsten Folterzentren der Diktatur. Schätzungsweise 5 000 Menschen wurden dort gefangen gehalten, nur 50 überlebten. Zudem wurden im angegliederten Militärkrankenhaus viele der etwa 500 Kinder geboren, die gefangenen Frauen vor ihrer Ermordung weggenommen und an Familien, die der Junta nahe standen, zur Adoption freigegeben wurden. Viele dieser Kinder wissen bis heute nichts über ihre Herkunft.
»Mein Vater wäre sehr glücklich, wenn er wüsste, dass die Verbrecher endlich ins Gefängnis kommen«, begrüßte Francisco Scarpatti gegenüber der argentinischen Tageszeitung Clarín das Urteil. Sein Vater überlebte die Gefangenschaft im Campo de Mayo und konnte im vergangenen Jahr noch Zeugnis ablegen. Er starb jedoch, bevor der Prozess zu Ende ging.
Über 20 Jahre konnte Bignone straffrei leben. Als letzter Präsident während der Diktatur hatte er zwar ab 1982 die ersten Schritte zu einer Rückkehr Argentiniens zur Demokratie eingeleitet, vor der Machtübergabe an den ersten daraufhin gewählten Präsidenten Raúl Alfonsín hatte er jedoch noch zwei Dekrete erlassen. Sie sahen die Straffreiheit für alle »während des Kriegs gegen die Subversion begangenen Handlungen« sowie die Vernichtung aller staatlichen Dokumente über Verschleppung, Folter und Ermordung von Oppositionellen vor.
Im ersten Prozess gegen die Junta, der im Jahr 1985 begann, setzte die Regierung Alfonsín die Amnestie der Militärs außer Kraft, Bignone wurde jedoch nicht angeklagt. Später schützten ihn das Schlusspunkt- und das Befehlsnotstandsgesetz vor einer Verurteilung. Erst als die argentinische Justiz diese Gesetze im Jahr 2003 für verfassungswidrig erklärte, wurden die Verfahren neu aufgerollt. Gegen 1 464 zivile und militärische Funktionäre wird derzeit ermittelt. Doch nicht alle Verfahren sind so erfolgreich wie der Prozess gegen Bignone. Oft dauert es sehr lange, bis es zur mündlichen Verhandlung kommt. Nach Informationen des Menschenrechtszentrums Cels sitzen gegenwärtig nur neun Prozent der Verdächtigen auf der Anklagebank. Bisher wurden erst 68 Personen zu Haftstrafen verurteilt. Hinzu kommt der mangelnde Zeugenschutz. Nach dem bis heute ungeklärten Verschwinden von Julio López im Jahr 2007 ist vor einem Monat die Zeugin Silvia Suppo in der Provinz Santa Fé tot aufgefunden worden. Angeblich wurde sie in dem Geschäft, in dem sie arbeitete, überfallen und ermordet.