Über Schüler, die Börse spielen

Das Spiel lernen

Die Sparkasse lässt seit 27 Jahren Schüler mit fiktivem Kapital Börse spielen. Im Wesentlichen sind die Spielregeln dieselben geblieben, auch nach der Finanzkrise. Aber eine Änderung hat es doch gegeben.
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Ein Player zu sein, ein Spieler, das gilt normalerweise als wenig seriös. Spieler sind süchtig, verjubeln ihr Geld, saufen, rauchen, gehen fremd, leben in den Tag hinein und vertrauen dem Glück statt einer vernünftigen Lebensplanung. Wer jedoch an der Börse spielt, der hatte, so war es jedenfalls in früheren Zeiten, einen Ruf als einer, der etwas vom Geld versteht. Einer, dem man gerne seine Tochter anvertraut. Heute gelten Aktienhändler, Broker und Banker als gemeine Spekulanten und Abzocker. Oder sie sind Loser. Das Spekulieren an der Börse ist jedenfalls längst kein Spiel mehr. Oder doch?

Es gibt unzählige Börsenspiele, bei denen man mit fiktivem Kapital dabei sein kann auf dem Finanzmarkt. Das Börsenspiel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist mit über 200 000 angemeldeten Spielern eines der größten. Die FAZ wirbt dafür mit dem Slogan: »Lassen Sie sich vom Börsenfieber anstecken! Laden Sie Freunde ein und messen sich untereinander im Kampf um die höchsten Kursgewinne.« Als Teilnehmer kann man aus über 25 000 Wertpapieren und Optionsscheinen, die alle 15 Minuten aktualisiert werden, wählen – und so versuchen, sein Spielgeld zu vermehren. Allerdings waren die Teilnehmerzahlen in den vergangenen Monaten rückläufig, erzählt der Online-Redaktionsleiter der FAZ, Kai N. Pritzsche. Denn beim Börsenspiel spielen vor allem Leute mit, die auch an der echten Börse mit echtem Geld handeln, und die, sagt Pritzsche, hätten nach all dem Frust der letzten Zeit offenbar auch am Spielen den Spaß verloren. Inzwischen sei die Talsohle allerdings durchschritten, und es gehe langsam wieder aufwärts. Pritzsche: »Der Spaß kommt wieder.« Neue Spielregeln hat es angesichts der Umwälzungen an den Finanzmärkten allerdings nicht gegeben.
Auch bei einem ganz anderen Börsenspiel nicht, das weniger als Freizeitspaß für Banker gedacht ist, vielmehr als Bildungsangebot für Jugendliche. Das »Planspiel Börse« wird seit 1983 von der Sparkasse veranstaltet und richtet sich an Schülerinnen und Schüler ab der 9. Klasse, die man als künftige Sparkassen-Kunden gewinnen möchte. Die Teams, bestehend aus mindestens drei Schülerinnen und Schülern, erhalten 50 000 Euro fiktives Startkapital und müssen versuchen, diese Summe innerhalb von rund zwei Monaten zu vermehren. 175 Wertpapiere stehen zur Auswahl, darunter Aktien, Fonds und festverzinsliche Wertpapiere. Das ganze ist ein Wettbewerb zwischen den einzelnen Teams um den am Ende höchsten Depotwert. Ein Wettbewerb, der auf Stadtebene, auf Landesebene und auch international ausgetragen wird. Im vorigen Jahr hatten sich insgesamt 45 000 Teams in Europa beteiligt, 500 davon kamen aus Berlin.
Auf der Homepage zum Planspiel Börse heißt es: »Finanzkrise, Wirtschaftskrise und Schuldenkrise machen hoffentlich jedem klar, wie wichtig ein verantwortungsvoller Umgang mit Geld ist. Ziel des Planspiels Börse ist es, zukunftsorientiertes und sinnvolles Handeln schon bei jungen Leuten zu fördern. 2010 dreht sich hier alles um Geld und Nachhaltigkeit in Zusammenhang mit eigener Geldanlage und Finanzplanung.«
Das klingt eher sparkassenmäßig nach »Geld zusammenhalten« als nach Glücksrittertum mit Aktien. Doch die Spielregeln sind auch nach all den Turbulenzen auf den echten Märkten unverändert geblieben, erklärt Ulrich Engel von der Berliner Sparkasse. Fast! Die Wette auf den Euro Stoxx sei abgeschafft worden, berichtet Engel. Bisher gab es als Zusatzspiel eine Wette auf den Wert des Dow-Jones-Euro-Stoxx-50-Kursindex zur letzten Abrechnung am letzten Börsentag. Darauf wird in diesem Jahr erstmals verzichtet. »Ich finde das gut, dass dieser Wettbewerb eingestellt wurde«, sagt Engel. »Denn solche Wetten haben wenig mit Strategie zu tun.« Und schließlich habe man ja eine pädagogische Verantwortung.
»Wir wollen von der Zocker-Mentalität wegkommen«, sagt Engel. Zwar hätten während der Finanzkrise im vorvergangen Jahr die späteren Gewinner des Wettbewerbs ihren größten Erfolg durch das Ankaufen und Abstoßen von VW-Aktien zum richtigen Zeitpunkt gehabt, aber meistens zeige sich beim Planspiel Börse, dass man mit reinem Zocken nicht weit komme. »Man muss wirklich genau den Markt beobachten, man muss manchmal Sitzfleisch haben und eine Durststrecke aussitzen, das Depot entsprechend gestreut aufbauen – das sind die Dinge die man lernen kann«, erklärt der Sparkassen-Mann. Neben einem Preisgeld für die Siegerteams gebe es vor allem eines zu gewinnen: »Lebenserfahrung«. Nämlich die, dass man im Aktiengeschäft »viel gewinnen, aber auch viel verlieren kann«.
Wie viele der teilnehmenden Schüler später in ihrem Leben überhaupt die Gelegenheit, sprich das nötige Kapital haben werden, diese Erfahrung auch in der Realität zu machen, kann Herr Engel nicht sagen. Er sieht bei seinen Schülern offenbar auch nicht lauter spätere Aktienhändler am Werk, sondern macht sich eher Sorgen um deren ganz normale private Haushaltslage. »Ich hoffe, dass sie lernen, vorsichtig mit ihrem Geld umzugehen, denn ich sehe immer diese ganzen Familieninsolvenzen und wie alle den Euro drei Mal ausgeben, der nur einmal da ist. Viele haben plötzlich Schulden, weil sie alles auf Kredit kaufen und nicht einkalkulieren, dass man mal seinen Job verlieren oder krank werden kann.« Verantwortungsvolles Wirtschaften statt Zocken – das sei das Lernziel.

Benötigt man ökonomische Kenntnisse also vor allem, um nicht zu verarmen? Oder können sie doch dazu nutzen, eventuell einmal reich zu werden? »Sicher kann man durch Marktbeobachtung reich werden«, sagt Engel. Ihm selbst ist das jedoch nicht gelungen, er hat es auch nicht versucht. Er betreibt ein ganz kleines Depot, weit entfernt von den Summen, mit denen die Schüler beim Planspiel um sich werfen. Dafür allerdings mit echtem Geld. Zurzeit mache auch ihm der Markt erhebliche Sorgen, sein Depot liege unter dem Ausgangswert. So gehen Spiel und Realität Hand in Hand. Im vergangenen Jahr habe das beste Berliner Planspiel-Team sein Ausgangskapital nur um knapp zehn Prozent erhöhen können, im Jahr davor hatte das Sieger-Team – dank der VW-Aktie – einen Gewinn von 80 Prozent. Engel: »Das hängt mit der Finanzkrise zusammen.«
Das Börsenspiel der Sparkasse ist an vielen Schulen fester Bestandteil des Unterrichts. An manchen Schulen werden nachmittags Arbeitsgemeinschaften eingerichtet, in denen das Sparkassen-Spiel betrieben wird. Die Sparkasse bietet Wirtschafts-Spiele für Schüler übrigens nicht nur im Bereich der Zirkulationssphäre an. Im Rahmen des Deutschen Gründerpreises gibt es für Schüler ebenfalls ein Planspiel, bei dem man fiktiv eine Firma gründet. Von der Geschäftsidee, dem Unternehmensaufbau bis zum Marketing sollen die Kids hier das Unternehmertum üben. Manche stellen sogar Prototypen von Waren her. »Ich erinnere mich da zum Beispiel an eine von innen beleuchtete Damenhandtasche«, erzählt Ulrich Engel. Auch hier findet ein bundesweiter Wettbewerb unter den Teilnehmern statt. Ohne Wettbewerb kein Kapitalismus, auch das sollen die Schüler wohl lernen.
Während die Sparkasse erklärt, »von der Zocker-Mentalität wegkommen« zu wollen, können Spiele-Hersteller wie die Firma Hasbro sich das nicht wünschen. Und in der Tat erweist sich das Spiel Monopoly auch im 75. Jahr am Markt als »krisenfest«, wie Hasbro-Sprecherin Rafaela Hartenstein erklärt. Die Absatzzahlen seien in den vergangenen zwei Jahren sogar leicht gestiegen. Dass die Edition »Börse« nicht mehr produziert wird, hat jedoch nichts mit dem schlechten Ruf der Aktienmärkte zu tun. Schließlich sei die neue Edition »Banking«, bei der es statt Spielgeld nur noch Kreditkarten gibt und statt Häusern Appartements gebaut werden müssen, nach wie vor sehr beliebt, sagt Hartenstein, gerade bei Jugendlichen. Erwachsene bevorzugen eher die klassische Edition und das gute alte Bar-, äh Spielgeld.