Der Ökonomenstreit. Deutschlands Niedriglohnpolitik in der Kritik

Ökonomen in der Arena

Die Bundesregierung setzt in der Eurokrise nicht auf eine Stärkung der Binnennachfrage, sondern auf Niedriglöhne und einen drastischen Sparkurs. In Deutschland wird die internationale Kritik an dieser Wirtschaftspolitik erst seit kurzem öffentlich wahrgenommen.
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In der Welt der Wirtschaftswissenschaftler wird heftig gestritten. Dazu sei es aber auch an der Zeit, finden einige und hoffen darauf, dass der Keynesianismus nun in die Diskussionsrunden zurückkehrt und die wirtschaftstheoretische Hegemonie der Neoliberalen sich dem Ende nähert. Paul Krugman, Ökonomie-Nobelpreisträger und Wirtschaftsberater des amtierenden Präsidenten der USA, übte in einem Gespräch mit dem Handelsblatt harte Kritik am vorherrschenden neoliberalen Kurs in der Wirtschaftspolitik.

Deutsche Wirtschaftswissenschaftler dürften sich durch Krugmans Äußerungen provoziert gefühlt haben, schließlich widersprachen diese explizit ihren Grundüberzeugungen. »Wenn die Deutschen 80 Milliarden Euro weniger ausgeben, spürt man das auch in den Nachbarländern«, sagte Krugman. Mit dieser Einschätzung lancierte er einen Seitenhieb auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die derzeit versucht, mit einem strengen Sparprogramm den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Aber natürlich zielte die Kritik des Nobelpreisträgers auch auf deutsche Volkswirtschaftler, die diesen Kurs der Kanzlerinmit ihren Theorien wisenschaftlich flankieren und als alternativlos darstellen. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) wurde nicht geschont, Krugman verwies auf deren letzten Bericht. »Der empfiehlt Zinserhöhungen, obwohl Deflation heute eine größere Gefahr darstellt als Inflation.« Diese Empfehlung der OECD sei einfach nur verrückt, befand Krugman. Noch wesentlich drastischer fiel sein Urteil über Axel Weber aus. Der Präsident der deutschen Bundesbank ist designierter Anwärter für das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). »Weber ist ein Risiko für das Schicksal des Euro«, sagte Krugman und machte ihn mit dieser Bewertung für ein mögliches Scheitern der europäischen Gemeinschaftswährung vorab verantwortlich.
Krugmans Kritik verfehlte ihre Wirkung nicht. Wolfgang Franz, Vorsitzender des sogenannten Rats der Wirtschaftsweisen, des höchsten wirtschaftlichen Beratergremiums der Bundesregierung, reagierte umgehend. »Wie wäre es mit Fakten, Herr Krugman?« So lautete der Titel seiner Antwort, die im Handelsblatt veröffentlicht wurde. »Das ist schon starker Tobak, was seit mehreren Wochen an konjunkturpolitischen Empfehlungen aus den Vereinigten Staaten an die Adresse Europas, speziell an Deutschland, gerichtet wird.« Empfindlich reagierte Franz vor allem darauf, dass Krugman die Abwertung des Euros als Ergebnis der deutschen Sparpolitik ansieht. Der Wirtschaftsweise begegnete der Kritik mit einem historischen Vergleich und verwies auf eine Bemerkung, die US-Finanzminister John Connally im Jahr 1971 machte, als vergleichbare Klagen von europäischer Seite über die amerikanische Wirtschaftspolitik geäußert wurden. »Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.« Dies sei zwar lange her, konzedierte Franz, nur um im Anschluss lapidar festzustellen, nun sei »es halt mal andersherum«.

Der Streit über die richtige ökonomische Theorie und die daraus resultierende wirtschaftspolitische Richtung in Zeiten der Krise hat in den vergangenen Wochen an Dynamik gewonnen. Auch George Soros schaltete sich in die Debatte ein. Berühmt wurde Soros, der auch unter dem Titel »The man who broke the Bank of England« bekannt ist, mit seinen Spekulationen gegen das britische Pfund. Im Verlauf dieser Spekulation erwirtschaftete er einen Milliardengewinn und Großbritannien musste aus dem Europäischen Währungssystem aussteigen. Soros weiß also, wovon er spricht. Mit einer Gastkolumne in der Financial Times Deutschland unterstützte er Krugmans Position. »Der Euro steckt in der Krise, und Deutschland ist dabei der Hauptakteur.« Die der Eurozone aufgezwungene Politik stehe im direkten Widerspruch zu den Lehren aus der Großen Depression von 1929 und berge die Gefahr sozialer Unruhen in sich, argumentierte Soros. Der öffentlich ausgetragene Disput der Ökonomen offenbart nicht nur die Differenzen, die es im Hinblick auf eine wissenschaftliche Analyse der Finanz- und Wirtschaftskrise gibt. Beim G20-Gipfel in Toronto konnte man beobachten, wie diese unterschiedlichen Wirtschaftstheorien die politischen Akteure spalten. Während Bundeskanzlerin Merkel versuchte, die anderen Staaten auf ihren neoliberalen Sparkurs einzuschwören, bemühte sich US-Präsident Barack Obama darum, die Europäer dazu zu bewegen, mehr Konjunkturhilfen aufzulegen. Das alte Deutungsmuster, dass von einer Dominanz des neoliberalen Denkens bei US-amerikanischen Ökonomen ausging und deutsche Volkswirte eher als Vertreter des Keynesianismus wertete, funktioniert nicht mehr.
Genau genommen ging es Obama nicht um ein europäisches Konjunkturprogramm, sondern vor allem um die Erhöhung der deutschen Lohnzahlungen. Denn es sind diese niedrigen Löhne, die zum einen deutsche Waren so günstig machen und zum anderen die Zurückhaltung deutscher Käufer bedingen. »Keine Nation sollte annehmen, dass wir ihr über Exporte weiter den Weg zum Wohlstand bahnen. Ich habe meinen Kollegen deutlich gemacht, dass wir aggressiv um Jobs und Zukunftsmärkte konkurrieren werden.« In dieser Äußerung Obamas zeigt sich auch der eigentliche Streitpunkt zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Lager der Wirtschaftstheoretiker. Ein Großteil der deutschen Exporte wird auf dem europäischen Markt abgesetzt, Obama möchte der US-Wirtschaft die EU als Exportmarkt öffnen. Deutschland hat sich durch eine einseitige Absenkung der Kosten, mit niedrigen Löhnen und geringen Lohnstückkosten, einen deutlichen Vorteil vor den Amerikanern verschafft. Die dadurch erwirtschafteten deutschen Gewinne flossen in Form von Subprime-Krediten auf den amerikanischen Immobilienmarkt. Dieses Ungleichgewicht der Handels- und Finanzströme wurde in den USA jahrelang nicht als Problem wahrgenommen. George W. Bush förderte sogar diese Politik, mit der die amerikanischen Konsumwünsche leicht und billig befriedigt werden konnten. Seit dem Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank funktioniert diese Finanzierung für Amerika nicht mehr. Die Amerikaner haben über Jahre hinweg ihre eigene Industrie abgebaut und sehen sich nun mit der Rechnung für ihre schuldengetriebene Wirtschaftspolitik konfrontiert. Ohne eigene Exporte dürfte den USA die Begleichung ihrer Schulden schwer fallen. Die Staaten jedoch, die über entsprechende Absatzmärkte verfügen, weigern sich, Amerika einen Zugang zu diesen zu verschaffen.

Zu Beginn der Krise gab die Bundeskanzlerin ein aufschlussreiches Interview. Sie wolle nicht nur dafür sorgen, dass Deutschland einfach nur durch die Krise komme. Vielmehr sei ihr Ziel, dass Deutschland am Ende der Krise besser dastehe als zuvor. In Toronto hat sie versucht, diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Denn nur, wenn Amerika sich weiterhin aus der globalen Produktion von Waren heraushält, kann Deutschland seine Marktanteile halten und damit auch seine Gewinne. Bei der Auseinandersetzung zwischen Neoliberalen und Keynesianern geht es jedoch nicht um das bessere Konzept, sondern um entsprechende Zugänge zu wirtschaftlich interessanten Märkten. Die Theorie ist hauptsächlich das Feigenblatt für eigene wirtschaftliche Interessen. Hinter jeder Theorie steht eine entsprechende politische Praxis. Und bei dieser zählt eben nur, was am Ende in der Kasse ist.