Britische Spitzel in der linken Szene in Deutschland 

Teatime bei deutschen Autonomen

Der britische Spitzel »Mark Stone« wurde im Auftrag deutscher Behörden auch hierzulande in der linken Szene eingesetzt. Möglicherweise war er nicht der einzige verdeckte Ermittler aus Großbritannien, der in Deutschland im Einsatz war.

»Der ist uns aus dem Ruder gelaufen.« Mit diesen Worten wurde Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), zitiert, nachdem er vergangene Woche dem Innenausschuss des Bundestags in einer vertraulichen Sitzung seine Erkenntnisse über den Einsatz des britischen Spitzels Mark Kennedy alias »Mark Stone« in Deutschland offengelegt hatte. Ziercke habe einen peinlich berührten Eindruck gemacht, berichteten Teilnehmer. Nach bisherigen Informationen war Kennedy von 2003 bis zu seiner Enttarnung 2010 in über 20 Ländern als verdeckter Ermittler in ökologischen, linksradikalen und globalisierungskritischen Gruppen aktiv.

Offenbar waren deutsche Behörden nicht nur über den Einsatz informiert. Vielmehr soll das BKA den Spitzel sogar auf Antrag zweier Landeskriminalämter angefordert haben. In mindestens zwei Bundesländern, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg, sei Kennedy im Auftrag der Landesbehörden zur Ausforschung der linken Szene eingesetzt worden, wie der Innenausschuss bekanntgab. Dabei ging es um die Vorbereitung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 sowie die Nato-Tagung in Strasbourg 2009. Der Einsatz sei mit britischen Stellen vertraglich geregelt gewesen.
Peinlich ist dabei vor allem die Tatsache, dass Kennedy an der Planung und Durchführung militanter Aktionen beteiligt gewesen sein soll. Der in Berlin lebende Amerikaner Jason Kirkpatrick berichtete dem Guardian, dass Kennedy ihn einmal gefragt habe, ob er von Orten in Deutschland mit »Nazi-Problemen« wisse, und behauptet habe, er kenne eine »Crew« in England, die vorbeikommen und sich um die Nazis kümmern könnte. In verschiedenen Trainingscamps soll Kennedy zudem Teilnehmer im Anketten an Fahrzeuge und Gebäude unterwiesen haben. Mehrfach ist der verdeckte Ermittler wohl auch persönlich mit Kollegen in Konflikt geraten. Ziercke bestätigte im Innenausschuss die Teilnahme Kennedys an einer Blockade während des G8-Gipfels in Heiligendamm sowie eine Festnahme während einer Demonstration für »Freiräume« in Berlin, bei der der Spitzel beim Anzünden eines Müllcontainers erwischt wurde. Das Verfahren wurde eingestellt, von seiner Tätigkeit als verdeckter Ermittler sei den Behörden jedoch nichts bekannt gewesen, gab der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch an.
Die deutschen Behörden geraten auch wegen der offenherzigen Aussagen in Bedrängnis, die Kennedy nach seiner Enttarnung in verschiedenen Zeitungen gemacht hat. Wenn seine Angaben stimmen, war er während des G8-Gipfels in Heiligendamm sogar in höchste Entscheidungsgremien eingebunden. Per SMS habe er aus einer Demonstration heraus einen geplanten Polizeieinsatz abgebrochen und dadurch nach eigener Aussage »Blutvergießen« verhindert: »Die Polizei wollte hart durchgreifen, aber ich wusste, dass die Menge sich verstreuen wollte. Ich gab diese Information durch und die Aktion wurde abgebrochen«, berichtete er der britischen Tages­zeitung Daily Mail. Der Wahrheitsgehalt solcher Aussagen wird sich wahrscheinlich nie klären lassen. Dass Kennedy seine Geschichten mittlerweile für horrende Summen an die Medien verkauft, spricht nicht gerade für seine Glaubwürdigkeit.

An seinem Einsatz als verdeckter Ermittler in Deutschland gibt es aber wegen der Aussagen verschiedener Aktivisten und des Eingeständnisses von BKA-Präsident Ziercke keine Zweifel mehr. Die Frage ist, welchen Einfluss seine Tätigkeit sowohl auf Demonstrationen und sonstige Protestaktionen als auch auf die Arbeit der Ermittlungsbehörden tatsächlich hatte. Kennedy soll bereits Monate vor dem G8-Gipfel in der linksradikalen Szene Berlins an der Vorbereitung der Proteste beteiligt gewesen sein. Inwieweit die großangelegte Razzia gegen linke Organisationen im Mai 2007 mit Kennedys Engagement in der Hauptstadt zusammenhängt, wird aber ebenfalls schwer festzustellen sein.
Die verantwortlichen Stellen berufen sich auf ihre Geheimhaltungspflicht. »Auf Anfragen zu konkreten Einsätzen von VE (verdeckten Ermittlern) werden aus einsatztaktischen Erwägungen weder Negativ- noch Positivauskünfte erteilt«, antwortete die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko von der Linkspartei. Nun wird darüber diskutiert, das Thema dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorzulegen, dem Ausschuss zur Überwachung der Geheimdienste, wie Hunko berichtet.
Dem Boulevardblatt BZ zufolge entsprach Kennedy »ganz und gar dem Klischee des gewaltversessenen linken Autonomen: eine Haarmähne, die bis auf die Schultern fällt, eine schwarze Sonnenbrille im unrasierten Gesicht, stählerne Ringe in den Ohrläppchen und ein fieses Grinsen auf den Lippen«. Es ist davon auszugehen, dass deutsche Sicherheitsbehörden ein etwas realistischeres Bild der linksautonomen Szene haben als die Journalisten der BZ. Die Gründe für die Entscheidung, Kennedy auch in Deutschland einzusetzen, lagen wohl weniger in seiner äußeren Erscheinung. Auf deutsche Initiative hin hatte sich der Rat der Europäischen Union 2007 mit dem Austausch von Undercover-Beamten auf europäischer Ebene beschäftigt und die »Intensivierung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Schwerkriminalität durch den vereinfachten grenzüberschreitenden Einsatz von verdeckten Ermittlern« gefordert. Die Erfahrung habe gezeigt, dass »unter gewissen Umständen ausländische verdeckte Ermittler leichter in kriminelle Vereinigungen eingeschleust werden können«, betonte die deutsche Ratspräsidentschaft im Mai 2007 bei der Vorstellung der Initiative. Auch das Risiko der Enttarnung könne dadurch verringert werden. Beachtenswert ist, dass diese Initiative in der Zeit vorgebracht wurde, in der die deutsche Linke die letzten Vorbereitungen für den G8-Gipfel in Hei­ligendamm traf und Kennedy in Deutschland im Einsatz war.

Der Brite war möglicherweise nicht der einzige verdeckte Ermittler aus Großbritannien, der in Deutschland eingesetzt wurde. Ein weiterer mittlerweile enttarnter Spitzel mit dem Decknamen »Marco Jacobs« soll gemeinsam mit Kennedy vor dem Gipfel in Heiligendamm ein Planungstreffen in Polen besucht haben und an der Vorbereitung des autonomen Camps in Reddelich beteiligt gewesen sein, wie etwa das Cardiff An­archist Network in einer Stellungnahme schrieb. Auch zu den Protesten gegen die Nato-Tagung 2009 in Strasbourg seien sie gemeinsam angereist, Jacobs habe einige Tage in einem autonomen Zentrum im Süden Deutschlands übernachtet.
Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, stellt nun die verdeckten Ermittlungen in linken Kreisen grundsätzlich in Frage: »Nicht der Spitzel Mark Kennedy alias Mark Stone ist aus dem Ruder gelaufen, sondern das Ausmaß staatlicher Schnüffelei.« Für Hunko wird an dem Einsatz ein grundlegendes Problem deutlich: »Die demokratische Logik wird ad absurdum geführt, wenn staatliche Angestellte die Richtung zivilgesellschaftlicher Bewegungen beeinflussen und die zentrale Organisation bei Aktionen übernehmen.«
Wie schon beim Fall der französischen Polizisten, die während des Castor-Transports handgreiflich Amtshilfe leisteten, speist sich die öffentliche Aufregung jedoch hauptsächlich aus dem Umstand, dass ein ausländischer Spitzel gegen deutsche Aktivisten eingesetzt wurde. »Was den Einsatz von ausländischen V-Männern angeht, haben wir eine massive rechtliche Grauzone«, kri­tisierte zum Beispiel der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz und forderte »klare Regeln«. In einem Kommentar in der Taz hieß es, nicht die Straftaten des Spitzels seien der Skandal, sondern dass »nationale Polizeien bei Bedarf ungeniert schnell mal eben Beamte anderer Länder ausleihen können«. Dass in Protestbewegungen, die vom Terrorismus so weit entfernt sind wie »Mark Stone« von James Bond, überhaupt verdeckte Ermittler eingesetzt werden, wird jedoch nicht kritisiert.