Die spinnen, die Finnen

Was soll man von einem Politiker halten, der als Hobby »Schießen (Pistolen und Gewehre)« angibt? Die Rede ist nicht von Sarah Palin, sondern von Jussi Halla-aho, einem der rechtspopulistischen »Wahren Finnen«, die am Sonntag ins Parlament gewählt wurden. Als Gelehrter hat Halla-aho auch literarische Interessen: »Alles, was J.R.R. Tolkien geschrieben hat.« Halla-aho promovierte über die altslawische Kirchensprache, doch die Vorliebe für Tolkien geht wohl nicht nur auf sein Interesse für das Frühmittelalter zurück. Tolkien war ein, milde ausgedrückt, konservativer Autor, dessen Stärke nicht die differenzierte Darstellung von Charakteren war. In seinem Hauptwerk »Herr der Ringe« gibt es die Guten, das sind Menschen, Elben und Hobbits, und die Bösen, vornehmlich Orks, die man besser früher als später erschlägt.
Tolkien produzierte unterhaltsamen Schund, aber wenn jemand ihn ernst nimmt und überdies noch gerne schießt, ist das schon ein wenig verdächtig. Allerdings kann Tolkien als ein passendes Idol für »Wahre Finnen« gelten, die, Halla-ahos Appell folgend, die Nationalromantik wiederbeleben wollen. Es wäre zwar, zumal Nokia, der einzige finnische Weltkonzern, Marktanteile verliert, sehr nützlich, wenn die Finnen endlich ihren Sampo wieder auftreiben könnten, ein magisches Gerät, das Luft in Getreide, Salz und Gold umwandelt und einst beim Kampf zwischen dem Helden Väinämöinen und der bösen Louhi verlorenging. Es ist allerdings unklar, ob der Betrieb eines Sampo den EU-Regeln entspräche, mit »Richtlinien zur Durchführung der Intervention von Weichweizen« mussten sich Väinämöinen und Louhi noch nicht plagen. Deshalb mögen »Wahre Finnen« die EU nicht. Bedauerlicherweise beschäftigen sie sich nicht nur mit schrulliger Mythenforschung. Sie glauben, die Migranten, insbesondere die Muslime unter ihnen, seien die Orks unserer Zeit, unheimliche Wesen, mit deren Ankunft eine Epoche der Finsternis beginnt. Man kann Halla-aho, der einen migrantenfeindlichen Blog betreibt, wohl nicht unterstellen, dass er die von Tolkien beschriebenen rabiaten Methoden selbst anwenden will. Vorerst geht es nur ums Geld, die »Wahren Finnen« lehnen den »Rettungsschirm« für die verschuldeten süd­europäischen Staaten ab.
Dennoch ist die Renaissance der Nationalmythologie nicht nur eine Kuriosität. In ähnlicher Weise wird sie von der rechtskonservativen Regierung Ungarns gefördert, deren Sampo die »heilige Krone« ist, unter der man nicht die real existierende Stephanskrone, sondern ein heiliges Prinzip, das spirituelle Wesen der Nation, versteht. Ihm sind laut der neuen Verfassung alle Bürger verpflichtet. Die Nationalromantik wird so, um es mit den Worten Tolkiens zu sagen, zu einem Mittel, »sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden«.