Spanien vor den Wahlen

Sozialisten ohne Zukunft

Am 20. November finden in Spanien vorgezogene Parlamentswahlen statt. Sie stehen im Zeichen der Wirtschaftskrise. Die sozialdemokratische Regierung hat mit ihren Versuchen der Krisenbewältigung auf Kosten von Lohnabhängigen und Bedürftigen ihre Basis verprellt.

Im Mai 2010 brach der sozialdemokratische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero nicht nur ein Wahlversprechen, sondern erklärte sein ganzes Wahlprogramm zur Makulatur. Hatte er zuvor stets versichert, dass für die Folgen der Wirtschaftskrise nicht diejenigen zahlen sollten, die nicht an ihr schuld seien und nur über geringe finanzielle Ressourcen verfügten, änderte er nun seine Politik. Seither gibt es Ausgabenkürzungen auf Kosten der Bevölkerung bei Bildung, Gesundheit, den Renten und den Löhnen im öffentlichen Dienst. Der Kündigungsschutz wurde gelockert, Arbeitnehmerrechte wurden geschwächt. Andererseits wurden Stützungskredite für Banken und Steuererleichterungen für Unternehmen gewährt. Die Folgen dieser Austeritätspolitik sind im Alltag überall zu spüren. Seine seither stetig wachsende Unbeliebtheit brachte Zapatero im Mai dazu, seinen Rückzug aus der Politik nach den kommenden Wahlen anzukündigen. Seiner Partei half er im Wahlkampf damit nicht. Die Arbeitslosigkeit, für die auch sie die Verantwortung trägt, ist mit 21,5 Prozent die höchste in der EU.

Seit der Finanzkrise stieg die Anzahl der Arbeitslosen in Spanien, die vorher bei zwei Millionen lag, bis Anfang 2009 auf 3,6 Millionen. Anfang 2010 lag sie bei über vier Millionen. Im Mai zeichnete sich eine leichte Entspannung ab, weil viele Arbeitskräfte im Tourismus gesucht wurden. Zapatero ergriff die Gelegenheit und zog die Wahlen um vier Monate vor – in der Hoffnung, dass sich bis November eine Verbesserung abzeichnen würde. Aber in den vergangenen beiden Monaten ist die Arbeitslosigkeit erneut stark gestiegen, auf offiziell 4 360 926 Arbeitslose. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 45,8 Prozent. Infolge der Krise verschlimmert sich durch die staatliche Sparpolitik die Situation der ohnehin Benachteiligten, insbesondere für die 1,7 Millionen Arbeitslosen, die keine staatliche Unterstützung erhalten. In 1,5 Millionen Familien sind alle Mitglieder ohne Arbeit. 6,3 Millionen Rentner müssen trotz gestiegener Preise ohne Rentenerhöhung auskommen. 21,8 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, 2010 waren es 20,7 Prozent. Im Bericht des Nationalen Statistik-Instituts vom Oktober wurde die Armutsgrenze für Allein­lebende auf ein Jahreseinkommen von 7 500 Euro, für Zweipersonenhaushalte auf 11 300 Euro festgelegt. Das Pro-Kopf-Einkommen ging innerhalb eines Jahres um 3,8 Prozent auf durchschnittlich 9 400 Euro zurück.

In der für Spanien wichtigen Bauindustrie gibt es weitere Entlassungen. Bis 2008 stiegen die Preise für Eigentumswohnungen, seither ist der Markt zusammengebrochen. Viele Arbeitslose können die Zinsen für die Hypotheken nicht mehr zahlen – mangels Alternativen wohnt in Spanien fast jeder in einer Eigentumswohnung. Seit 2008 wurden zwischen 300 000 und 500 000 Menschen Opfer einer Zwangsräumung. Nach einer solchen gehört die Wohnung der Bank, aber die Hypothek läuft dennoch weiter und muss abgezahlt werden. Aus diesem Grund hat die Bewegung der »Empörten« begonnen, Widerstand gegen Zwangsräumungen zu leisten. Am Donnerstag vergangener Woche kam es bei einer Zwangsräumung in Hortaleza, einem Stadtteil von Madrid, zur Verhaftung von zwei der 60 Protestierenden. »Sie kamen mit Helm, maskiertem Gesicht und mit Gewehren, die mit Gummigeschossen geladen waren«, beschreibt eine Aktivistin der Stadtteilversammlung das Vorgehen der Polizei.
Initiiert wurde die Räumung von der Region Madrid, in der die rechte Volkspartei PP regiert. Deren Regionalvorsitzende Esperanza Aguirre führt vor, welche Art der Krisenbewältigung unter einer Zentralregierung des PP in ganz Spa­nien zu erwarten ist: Gespart wird im staatlichen Gesundheitssektor, während private Einrichtungen entlastet werden. Ähnlich ist die Lage an den Schulen. Seit 2007 gingen die Investitionen in die öffentlichen Schulen um 42 Prozent zurück, während die in Privatschulen um 11 Prozent stiegen. Derzeit kämpfen die Lehrkräfte an Madrids staatlichen Schulen gegen eine Erhöhung der Arbeitszeit, wegen der bereits 3 000 von ihnen arbeitslos geworden sind.
Der Spitzenkandidat des PP, Mariano Rajoy, tritt anders als seine Parteikollegin Aguirre auf. Er gibt sich sozial und spricht nicht gerne darüber, was die Forderungen im Wahlprogramm »Mehr Gesellschaft, bessere Regierung« konkret bedeuten. Das zahlt sich aus. Am Montag vergangener Woche stand ihm während eines Fernsehduells der Spitzenkandidat des PSOE, der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens, Alfredo Pérez Rubalcaba, gegenüber, dessen bisherige politische Funktion sein größter Nachteil ist: Bis zum Sommer war er Innenminister im Kabinett seines Parteikollegen Zapatero. So nimmt es ihm kaum jemand ab, wenn er nun höhere Steuern für Banken und Spitzenverdiener fordert oder sagt, man dürfe nicht zu viel sparen und damit der Binnennachfrage schaden.
Der PSOE hat sich so weit von seinem sozialdemokratischen Programm entfernt, dass Rajoy im Fernsehduell die soziale Ungleichheit unter Zapateros Regierung kritisieren konnte. Rubalcaba konnte ihm kaum widersprechen. Die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung verfügen in Spanien über ein fast sieben Mal so hohes Einkommen wie die 20 ärmsten Prozent. Rajoy warf Rubalcaba auch vor, dass die PSOE-Regierung die stärksten Kürzungen beim Arbeitslosengeld vorgenommen habe – und zwar bereits 1992, unter Ministerpräsident Felipe González. Rubalcaba konterte, er werde sich für eine Ausweitung der Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosengeld einsetzen. Um das Wahlprogramm des PP grundlegend zu kritisieren, fehlte ihm die Glaubwürdigkeit.
Allen Prognosen zufolge wird der PP die Wahl hoch gewinnen – mit mehr als 45 Prozent der Stimmen, was für eine absolute Mehrheit reichen würde. Denn das Wahlrecht bevorzugt große Parteien. Auch dagegen hat die Bewegung der »Empörten« protestiert. Geändert hat sich nichts, weshalb sich viele von ihnen nun für einen Wahlboykott aussprechen. Vermutlich werden die meisten aber doch die neue Grüne Partei Equo oder die linksrepublikanische IU wählen. Auf beiden Listen kandidieren Protagonisten der Bewegung der »Empörten«. Und Cayo Lara, Sprecher der IU, klingt wie ein parlamentarischer »Indignado«, wenn er gegen einen Wahlboykott geltend macht, dass eine starke Fraktion nötig sei, um »der neoliberalen Politik von Angesicht zu Angesicht entgegenzutreten.«
Der Wahlkampf hat bei vielen in der Bewegung »Echte Demokratie jetzt!« die Ablehnung des »PPSOE« verstärkt, wie die Bewegung der »Empörten« die beiden Parteien PP und PSOE nennt, um auf ihre Austauschbarkeit hinzuweisen. Bei dem Fernsehduell gab es für Chema Ruiz von der »Plattform der Hypothekengeschädigten« keine Wahloptionen. Als Sieger sieht er Emilio Botín, den Vorsitzenden der Banco Santander, ein Feinbild vieler »Indignados«: »Wie immer haben die Märkte gewonnen, der IWF, die EZB, Botín, die Spekulanten, die Bauwirtschaft.« Pablo Padilla, aktiv bei der »Jugend ohne Zukunft«, der Gruppe, die die Bewegung der »Empörten« initiierte, fasste zusammen: »Das ist ein Zirkus. Sie sprechen von 5 Millionen Arbeitslosen, aber nicht davon, dass diese hohe Quote durch die neoliberale Politik verursacht wurde. Wir erwarten nichts von ihnen.«