Der Verfassungsschutz beobachtet Abgeordnete der Linkspartei

Feinde basteln leicht gemacht

Die Kritik am Verfassungsschutz wegen der Beobachtung von Abgeordneten der Linkspartei bedeutet nicht, dass dieser seinen Begriff von Linksextremismus in Frage stellen würde.

Man hat es derzeit nicht leicht als Verfassungsschützer. Mal wird einem Versagen – wenn nicht Schlimmeres – vorgeworfen, weil man offenbar jahrelang eine winzigkleine Nazi-Terrorzelle übersehen hat; macht man aber seinen Job mal gründlich und kümmert sich intensiv um ein Kommunistennest im Bundestag, meckern auch wieder alle.
Man kann also verstehen, dass Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm etwas eingeschnappt reagierte, als vergangene Woche nicht zum ersten Mal berichtet wurde, dass seine Untergebenen Politiker der Linkspartei »beobachten« – was offenbar nicht nur das Gucken von Talkshows und das Archivieren von Pressemitteilungen und Redemanuskripten meint, sondern, zumindest auf Länderebene, auch das klassische Bespitzeln mit geheimdienstlichen Mitteln. Schließlich macht Fromms Behörde damit nur, wozu sie gegründet wurde, also die herrschende Ordnung vor allem zu schützen, was auch nur den Verdacht erweckt, sich links des Godesberger Programms zu bewegen.

Verwunderlich ist allerdings schon, dass mit Leuten wie Gregor Gysi, Dietmar Bartsch oder Gesine Lötzsch solche Vertreter der Partei unter Beobachtung stehen, deren politisches Programm sich kaum von dem der SPD unmittelbar vor Gerhard Schröders Kanzlerschaft unterscheidet; und auch Sahra Wagenknechts Positionen sind, ungeachtet ihrer Herkunft aus der sogenannten Kommunistischen Plattform, in etwa so marxistisch wie Willy Brandts Regierungsprogramm von 1972.
Das scheint sogar Dirk Niebel bewusst zu sein, der sich als einer der ersten schützend vor seine linken Parlamentskollegen stellte, obwohl für die FDP doch bekanntermaßen der Stalinismus schon mit der Einführung gesetzlicher Mindestlöhne beginnt. Vielleicht war das aber auch nur ein verzweifelter Versuch Niebels, daran zu erinnern, dass es seine Partei noch gibt. Und als Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in der zum Thema anberaumten Aktuellen Stunde im Bundestag vor der durch die Linkspartei drohenden Diktatur des Proletariats warnte, erntete er Erheiterung statt erschrockenes Raunen im Plenarsaal. Selten hatte die Linke im Parlament so viele Freunde wie an diesem Tag.

Die Freundschaft ging allerdings nur so weit, die »Verhältnismäßigkeit« des geheimdienstlichen Handelns in Frage zu stellen, da doch ausgerechnet solche Abgeordnete ins Visier geraten waren, die bisher in erster Linie durch systemkompatibles Wohlverhalten aufgefallen sind. Zum Zeitpunkt der Debatte war noch von 27 Beobachteten die Rede – im Laufe des Wochenendes wurde bekannt, dass es vermutlich sogar 42 sind, also mehr als die Hälfte der Fraktion. Wer die staatsfeindlichen Kräfte sein mögen, die weiterhin der Beobachtung bedürfen, blieb nebulös. Zwar findet auch ein blindes Huhn mal ein Korn, und FDP-Abgeordnete sagen, sei’s auch aus parteitaktischen Gründen, mal etwas Richtiges – in diesem Fall über antisemitische Tendenzen und die Liebe zum iranischen und syrischen Regime in Teilen der Linkspartei. Dies sind jedoch nicht die Dinge, die den Verfassungsschutz sonderlich interessieren. Für ihn ist es offenbar viel bedenklicher, dass sich im Parteiprogramm der Begriff »demokratischer Sozialismus« findet. Dass dieses Ziel, von den Genossen gerne mit Beispielen wie der Verstaatlichung der Deutschen Bank veranschaulicht, etwas ganz schlimm Verfassungsfeindliches sein muss, lässt sich ja nachlesen, nämlich im: Verfassungsschutzbericht.
Um dessen Herausgeber ging es auch beim nächsten Tagesordnungspunkt der Plenarsitzung, der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zur Zwickauer Terrorzelle. Ein Ergebnis dürfte dabei schon feststehen, bevor das Gremium überhaupt seine Arbeit aufgenommen hat: Erhellendes darüber, wieso der »Nationalsozialistische Untergrund« unbehelligt von den Behörden jahrelang Morde und Anschläge begehen konnte, ist nicht zu erwarten. Die wirklich interessanten Fragen werden wohl bestenfalls hinter den verschlossenen Türen des Parlamentarischen Kontrollgremiums erörtert werden.
Aber keine Sorge, Nazis werden es künftig schwer haben in unserer schönen freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Denn vergangene Woche tagte nicht nur der Bundestag, es wurde auch eine Institution gegründet, die jeden Nazi vor Angst erzittern lässt: das »Informations- und Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus«, eine Kreation von Innenminister Friedrich und Familienministerin Kristina Schröder (CDU).
Diese beiden haben sich in der Vergangenheit bekanntlich eher durch ihren Eifer hervorgetan, vor der unterschätzten Gefahr des Linksextremismus zu warnen. Schröder zeigt ein Sendungsbewusstsein, das sie immer wieder über die Zuständigkeit ihres Ministeriums hinaus in den Revieren der Innen- und Bildungspolitik wildern lässt, zuletzt in Form der bereits vielbelachten Unterrichtsbroschüre »Linksextremismus bekämpfen«. Man könnte den beiden selbstverständlich wohlwollend unterstellen, dass sie das Erschrecken über die Nazimorde dazu gebracht habe, ihre Prioritäten zu überdenken. Das würde allerdings nichts daran ändern, dass »Kompetenzzentrum« die neudeutsche Variante der altbekannten Devise ist: »Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis.« Denn was das »Kompetenzzentrum« eigentlich leisten soll, blieb bei der Vorstellung im Dunkeln. »Wissen über Rechtsextremismus bündeln« und irgendetwas mit Vernetzung war noch das Klarste, was in Erfahrung zu bringen war.
Nun wäre es sicher wünschenswert, wenn sich die oftmals zerstrittenen Antifagrüppchen landauf, landab zu mehr Einigkeit durchringen könnten. Dass das aber nicht gemeint war, machten beide Minister auch gleich deutlich: An der berüchtigten »Extremismusklausel« soll nicht gerüttelt werden. Initiativen gegen rechts werden also auch weiterhin ein Bekenntnis »gegen Extremismus« ablegen müssen, wenn sie etwas von den ohnehin knappen staatlichen Fördergeldern abbekommen möchten. Wie praktisch, dass Friedrich, Schröder und der Verfassungsschutz die Definition gleich mitliefern, was hierzulande als »linksextremistisch« gilt.

Zweierlei lässt sich lernen aus der Überwachung der »Linken« und der »Extremismusklausel« ­einerseits sowie der fragwürdigen Rolle der staatlichen Organe im Zusammenhang mit der Zwickauer Zelle und Friedrichs bzw. Schröders Inkompetenzzentrum andererseits. Erstens: Kaum etwas führt den desolaten Zustand einer radikalen Linken, die diesen Namen verdienen würde, so deutlich vor Augen wie die Tatsache, dass der Staat sich sein Feindbild »Rote Gefahr« mittlerweile selbst basteln muss. Und zweitens: Das der Totalitarismusthese entsprungene Dogma vom »Extremismus von links und rechts«, was ja irgendwie sowieso das gleiche sei und entsprechend gleichermaßen bekämpft gehöre, wird durch das staatliche Handeln selbst ad absurdum geführt. Wer eine nazistische Mordserie nicht als solche erkennt oder erkennen will, regelmäßig die Statistik rechter Gewalttaten schönrechnet, zugleich einen Popanz namens »Linksextremismus« aufbaut und die Arbeit antifaschistischer Initiativen durch »Extremismusklauseln« und Kriminalisierung behindert, beweist, dass für sie oder ihn links und rechts offenbar keineswegs gleichwertig sind – und welcher Seite man im Zweifelsfall den Vorzug gibt.