Die Panik um die angeblich niedrige Geburtenrate

Dann lieber aussterben

Deutsche Politiker sorgen sich um die geringe Zahl der Geburten, aber nicht um die geringe Höhe der Löhne.

Die Deutschen sterben aus! Diese regelmäßig und stets im Ton einer Weltuntergangsankündigung vorgetragene Prognose ist beinahe so alt wie das Gebilde Deutschland selbst. Doch noch immer sind Deutsche übrig, und diesen verkündete das Statistische Bundesamt kürzlich, 2011 seien hierzulande so wenige Kinder geboren worden wie nie zuvor.
Auf der Suche nach Schuldigen ist Volker Kauder, der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, schnell fündig geworden. Das politische Sommertheater beginnt nun mit einer Debatte über Sinn oder Unsinn des Elterngelds sowie der damit verbundenen Nörgelei über die Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Nun kann man der Ministerin vieles vorwerfen – zum Beispiel einen brechkonservativen politischen Hintergrund und ihren Kreuzzug gegen Feminismus und »Linksextremismus« –, und eigentlich ist schon aus Gründen der Schadenfreude alles zu begrüßen, was ihr Ärger macht. Leider muss man sie im vorliegenden Fall jedoch vor der Kritik in Schutz nehmen.

In der Diskussion geht es nämlich nur um absolute Zahlen. Da die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter rückläufig ist, wundert es nicht, dass auch weniger Kinder zur Welt kommen. Die Geburtenrate ist dagegen beinahe unverändert geblieben. An einem wird dabei ohnehin nicht gerüttelt: an dem Glauben, dass unbedingt mehr kleine Schreihälse in die Welt gesetzt werden müssen. Diejenigen, die neben verhinderten Groß­eltern und denen, die das »deutsche Volk« ohnehin für einen Selbstzweck halten, am lautesten über angeblich verwaisende Spielplätze jammern, sind die Volkswirtschaftler. Schließlich, so die gängige Lehre, benötigten die Renten- und sonstigen Sozialkassen stetigen Nachschub an künftigem »Humankapital«.
Zu den wenigen, die dieses Dogma in Frage stellen, gehört Gerd Bosbach, Professor für Statistik, Mathematik und Empirie und Autor des Buchs »Lügen mit Zahlen«. Bosbach weist seit Jahren darauf hin, dass die rückläufigen Geburtenraten der vergangenen Jahrzehnte durch die wachsende Produktivität ausgeglichen werden. Der Statistiker sieht nicht mangelnden Vermehrungseifer, sondern den wachsenden Niedriglohnsektor als Hauptgrund für die fehlenden Einnahmen des Sozialsystems.

Damit dürfte man auch auf der richtigen Spur in der Frage sein, woher der Unwille zum Kinderkriegen kommt. Während die Meldung des Statistischen Bundesamts zum großen Aufreger wurde, blieb eine fast zur selben Zeit veröffentlichte Statistik beinahe unbeachtet: Laut einer Studie der IG Metall ist hierzulande ein Drittel aller Erwerbstätigen unter 35 Jahren prekär beschäftigt. Der Anteil derjenigen in dieser Altersgruppe, die weniger als 2 000 Euro brutto verdienen, liegt sogar bei 55 Prozent. Wer nicht weiß, ob der befristete Arbeitsvertrag verlängert wird oder wie er oder sie überhaupt die nächste Miete zahlt, überlegt sich selbstverständlich zweimal, sich auch noch dem Armutsrisiko »Elternfreuden« auszusetzen.
Den einzigen Niederschlag, den diese Tatsache in der Debatte findet, ist die elitäre und nicht nur von Thilo Sarrazin vorgetragene Forderung, dass nicht einfach irgendwelche Kinder in die Welt gesetzt werden sollen, sondern möglichst Qualitätsnachwuchs von Akademikereltern. Hartz-IV-Blagen sind dagegen nicht so gerngesehen, weshalb arme Familien mit »Bildungsgutscheinen« statt angemessener Unterstützung abgespeist werden, während das Elterngeld in erster Linie der Subventionierung Besserverdienender dient, denen niemand unterstellt, sie gäben das Geld eh nur für Prädikatswein und Havannas aus.
Und damit die Elitegören später auch wirklich ihr ganzes Potential dem Standort Deutschland zur Verfügung stellen, anstatt sich ins Koma zu saufen, hat Schröder nun eine ganz neue Idee vorgebracht, mit der man den Sprösslingen neben dem Turboabitur und dem Geigenunterricht den letzten Rest Spaß am Leben verderben kann: eine Sperrstunde ab 20 Uhr für unter 16jährige bei Veranstaltungen mit Alkoholausschank.