Es gibt keine Unschuldigen

Wenn sich ein Vorwurf der Staatsanwaltschaft als falsch erweist, sollte der Beschuldigte eigentlich freigelassen werden. Dann hätte auch der Ägypter Alber Saber nach einigen gefährlichen Tagen aufatmen können. Am 13. September hatte ein Mob die Wohnung in Kairo belagert, in der er mit seiner Mutter lebt, und gedroht, beide zu töten. In der Nachbarschaft war die Behauptung verbreitet worden, der 27jährige Saber habe über Facebook den Film »Innocence of Muslims« zugänglich gemacht. Als die Polizei eintraf, blieb der Mob unbehelligt. Saber hingegen wurde verhaftet, nach Abgaben seines Anwalts Ahmed Ezzat hetzten Polizisten Mitgefangene gegen Saber auf, der mit einer Rasierklinge verletzt wurde. Bei der Hausdurchsuchung und der Prüfung seines Facebook-Accounts stellte sich heraus, dass der Vorwurf unbegründet war. Nun wurde die Anklage modifiziert. Saber wird »Beleidigung von Islam und Christentum« sowie »Leugnung der Existenz Gottes« vorgeworfen. Das vage gehaltene ägyptische Blasphemiegesetz gestattet eine solche Anklage, als Höchststrafe sind fünf Jahre Gefängnis vorgesehen. Atheist oder zumindest Religionskri­tiker ist der aus einer koptischen Familie stammende Blogger tatsächlich. »Er ist nur ein Bürger, der anders denkt und seine Meinung zum Ausdruck bringt«, sagte sein Anwalt Ezzat. Saber wurde zwölf Stunden lang über seine religiösen Ansichten vernommen. Er ist weiterhin inhaftiert, und auch einige seiner Unterstützer haben mittlerweile Morddrohungen erhalten. Mehrere Gruppen fordern jedoch seine Freilassung, auch der prominente Blogger Mahmoud Salem (Sandmonkey) setzte sich für ihn ein.
Da Saber als Islamismuskritiker hervorgetreten ist, kam der Verdacht auf, es handele sich um gezielte politische Verfolgung. Wie selektiv das Blasphemiegesetz angewendet wird, belegt der Fall des islamistischen Fernsehpredigers Khaled Abdel Allah, der tatsächlich Ausschnitte aus »Innocence of Muslims« gezeigt hatte, aber unbehelligt blieb. Dennoch scheint Saber eher das Opfer fortbestehender institutioneller Zwänge und der Konfessionalisierung der Politik geworden zu sein. Unschuldige Dissidenten gibt es aus der Sicht des unter Hosni Mubarak geschulten Polizei- und Justizpersonals nicht, es kann nur darum gehen, ein passendes Vergehen zu finden. Zudem hat mit der Regierungsübernahme der Muslimbruderschaft erneut ein Wettbewerb um Glaubensstrenge eingesetzt, so dass kaum jemand sich dem Vorwurf religiöser Toleranz aussetzen will.