Danke für diese schöne Urwahl
Was sagt es über die Grünen aus, dass sie in ihrer Urwahl neben Jürgen Trittin ausgerechnet Katrin Göring-Eckardt zur Spitzenkandidatin gewählt haben? Die frischgekürte oberste Wahlkämpferin ist als Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) so etwas wie die Verwaltungsratschefin der EKD und, abgesehen vom fehlenden Fusselbart, ein archetypisches Gewächs der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung, deren piefige Theologen vom Bündnis 90 durch die Fusion mit den westdeutschen Grünen jenen finalen Rechtsruck einleiteten, an dessen Ende auch die letzten Linken die Partei verließen. Das Kirchenamt lässt Göring-Eckardt bis zur Bundestagswahl zwar ruhen, dafür darf sich das Wahlkampfpublikum aber schon einmal auf betont wertkonservative Predigten einstellen.
Wer die evangelische Kirche aus eigener Anschauung kennenlernen musste, kann sich für die Grünen kaum eine passendere Aberglaubensrichtung vorstellen. Menschen, die von sich behaupten, mit göttlichen Wesen zu sprechen, sollte man zwar grundsätzlich mit Skepsis begegnen. Während aber Katholiken ihren Visionen noch mit cannabinoidhaltigen Dämpfen nachhelfen, erwecken Protestanten zumeist den Eindruck, als glaubten sie selbst nicht so recht an ihre eigenen Hirngespinste. Und schon ist man wieder bei den Grünen, die auf ihrem Parteitag am Wochenende eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes von 374 auf 420 Euro forderten, wohl wissend, dass diese Idee in einer angestrebten rot-grünen Koalition schnell vergessen sein dürfte. Dass der Spiegel diesen bescheidenen Wunsch als »tiefgreifende Sozialreform« bezeichnen kann, ohne allgemeines Hohngelächter zu ernten, sagt einiges über die Geistesverfassung einer Gesellschaft nach einem Jahrzehnt »Agenda 2010« aus.
Wozu die Grünen eigentlich Spitzenkandidaten benötigen, wissen nur sie allein. Aber eine Urwahl macht sich nun einmal gut in den Medien, vor allem, wenn dabei eine so herzerwärmende Show abfällt wie die der Verliererin Claudia Roth. Ein »Candystorm«, ein tränchenschwangerer Rücktritt vom Rücktritt und zu guter Letzt die Wiederwahl zur Parteivorsitzenden mit Spitzenergebnis – das war so nett und so menschlich wie auf dem Evangelischen Kirchentag. Roths Drohung nach ihrer Wiederwahl, sie werde »weiter nerven«, löste denn auch Begeisterung statt Schrecken aus, und dass die einstige Managerin einer Band, die »Keine Macht für niemand« forderte, mehr Macht für Frauen versprach, kam ebenfalls gut an. Man ist schließlich eine moderne, bürgerliche Partei, wie man nicht müde wird zu beteuern.
Nach dem Sieg Göring-Eckardts kamen auch schnell wieder Spekulationen über eine schwarz-grüne Bundesregierung auf. Die Parteiführung wies dies umgehend von sich, auf dem Parteitag wurde die Ablösung der Regierung Merkel als offizielles Ziel proklamiert. Wie die Politik der Partei des Radikalopportunismus zu diesem Thema nach der Bundestagswahl aussehen wird, dürfte aber vor allem von deren Ergebnis abhängen. So unüberbrückbar, wie die Grünen nun eifrig betonen, sind die Differenzen schließlich nicht. Das wird nicht zuletzt am prominentesten Vertreter der ostdeutschen Protestanten deutlich: Joachim Gauck war der Wunschpräsident der Grünen – ein verdienter Kommunistenfresser, von dem aus seiner Zeit als Pastor in Rostock kein Wort zu den rassistischen Pogromen von 1992 überliefert ist, der es sich aber nicht nehmen ließ, 20 Jahre danach ausgerechnet eine deutsche Eiche am Tatort zu pflanzen.
Wer nun hofft, angesichts der schleichenden Unterwanderung der Gesellschaft durch den Protestantismus könnte wenigstens der Reformationstag als gesetzlicher Feiertag eingeführt und dann endlich unbeschwert Halloween gefeiert werden, sei gewarnt. Wer unter der Herrschaft der Gaucks und Göring-Eckardts am 31. Oktober mit Kürbis oder Hexenkostüm erwischt wird, dem droht wahrscheinlich als Strafe eine Woche Bibelarbeit mit Margot Käßmann.