Glaube, Libor, Hoffnung

Wenn Banken als »Kathedralen des Kapitals« bezeichnet werden, handelt es sich meist um ein moralisierendes Bonmot: Götzendienst! Wer aber weder Gott noch dem Mammon dienen will, kann die Angelegenheit distanzierter betrachten und sich der kapitalistischen Theologie widmen. Welche spezifischen Glaubens- und Kultformen prägen den Kapitalismus? Wie und warum verändern sie sich? Gesellschaftliche Krisen gehen ja meist mit Veränderungen des religiösen Lebens einher. Wenden wir uns also den Reaktionen auf die Prüfung zu, der unser Glauben durch den unergründlichen Willen des Marktes unterworfen wird.
Seit Max Weber gilt der Kapitalismus als protestantisch, und eine puritanische Tendenz ist in jüngerer Zeit wieder klar hervorgetreten. Ein moderner Manager ist eher im Fitnessstudio als im Bordell anzutreffen, die Gläubigen minderen Ranges werden dazu angehalten, diesem Vorbild zu folgen. Doch brachte bereits Adam Smith ein mystisches Element ein, denn eine »unsichtbare Hand« sorgt dafür, dass sich ungeachtet aller Widersprüche der Heilsplan erfüllt. Auch die Mystik gewinnt wieder an Einfluss, etwa durch die Lehre vom Aufstieg, mit dem sich der Mensch aus der selbstverschuldeten Armut befreien kann. Der Aufstieg ist ein Glaubensakt, er beginnt mit der Läuterung (Abkehr von den schlechten Gewohnheiten des Hartz-IV-Empfängers) und führt über die Erleuchtung (Erkenntnis des Marktgesetzes) zur Vereinigung mit der Gottheit (Erwerb des ersten Finanzderivats). Ketzerische Gemüter mögen sich angesichts der modernen Arbeitswelt allerdings an die Offenbarung des Johannes erinnert fühlen: »Der Rauch ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht.«
Dem Puritanismus und der Mystik ist gemeinsam, dass sie dem Gläubigen viel Engagement abverlangen. Doch obwohl die meisten Menschen die Glaubensprüfung mehr oder minder freudig auf sich nehmen, muss festgestellt werden, dass ohne den pia fraus, den frommen Betrug, der Wille der Gottheit nicht mehr zur Geltung kommen kann. Da sich die Bernankesche Schenkung, die Überweisung von über drei Billionen Dollar durch den Vorsitzenden der US-Notenbank, als unzureichend erwiesen hatte, mussten die führenden Kathedralen jahrelang den Referenzzinssatz Libor manipulieren. Dieser gibt an, zu welchen Bedingungen sie untereinander die Gaben der Gottheit austauschen. Eigentlich wollten sie kaum noch etwas austauschen, denn einer traute dem anderen nicht mehr. Doch um die einfachen Gläubigen nicht zu verwirren, schummelte man ein bisschen. Nun muss Buße getan werden, UBS wird wohl 450 Millionen Dollar opfern müssen. Doch dem Glauben tut das keinen Abbruch, ein weiterer Beweis für das segensreiche Wirken der unsichtbaren Hand.