Die Medienpolitik in Argentinien

Kampf um die Kanäle

Die argentinische Regierung hat im Konflikt mit dem einflussreichen privaten Medienunternehmen Clarín eine juristische Niederlage erlitten. Viele Argentinier fürchten ein staatliches Medienmonopol.

Der 6. Dezember war ein ereignisreicher Tag in Buenos Aires. Am Vormittag entwichen Pestizide aus einem Container im Hafen. Die Feuerwehr ging von einem Brand aus und löschte mit Wasser. Aufgrund der folgenden chemischen Reaktion legte sich eine riesige, stinkende und leicht toxische Gaswolke über die gesamte Innenstadt. Am Nachmittag kam es zu starken Regenfällen, die den Norden der argentinischen Hauptstadt unter Wasser setzten. Im Fernsehen waren Bilder davon zu sehen, wie Menschen in den überfluteten Straßen Kajak fuhren oder sich im Windsurfen versuchten. Diese beiden Ereignisse schafften es jedoch am folgenden Tag nicht auf die Titelseiten der Tageszeitungen. Diese waren von den Meldungen über eine Gerichtsentscheidung vom Vortag dominiert: Eine einstweilige Verfügung wurde verlängert, die es dem Medienkonzern Clarín erlaubt, weiterhin mehr Sendelizenzen zu halten als gesetzlich vorgesehen. Für die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner stellt dieses Urteil eine Niederlage dar.

Eigentlich hatte die Regierung den 7. Dezember zum Stichtag in ihrem seit 2008 andauernden Konflikt mit Clarín erklärt. Zuvor hatte das Oberste Gericht die einstweilige Verfügung, die eigentlich bis Herbst 2013 gelten sollte, bis zum 7. Dezember befristet. Die Regierung initiierte daraufhin eine Kampagne, die auf den »7-D« ausgerichtet wurde, wobei sie erklärte, dass der Buchstabe nicht nur für »Dezember«, sondern auch für »Demokratie« und »Diversität« in der nationalen Medienlandschaft stehe. Clarín ist der mit Abstand einflussreichste Medienkonzern des Landes, der neben der gleichnamigen Tageszeitung auch zahlreiche Fernsehsender und Radios betreibt. Das 2009 beschlossene Mediengesetz sieht vor, dass jedes Unternehmen maximal 24 Radio- und Fernsehkanäle betreiben darf, Clarín hält bislang noch 237. Es legt außerdem fest, dass jeweils ein Drittel der Lizenzen für private, staatliche und gemeinnützige Anbieter reserviert wird. Der Konzern, dessen Vormachtstellung hierdurch in Frage gestellt wird, vertritt die Position, Teile des Gesetzes seien verfassungswidrig, da es die Pressefreiheit und das Recht auf Privateigentum einschränke. 2010 gelang es Clarín, eine einstweilige Verfügung zu erwirken, bis über diese Frage juristisch entschieden werde.
Während sich der Konflikt in den vergangenen Wochen zuspitzte, hat der Kirchnerismus an Popularität eingebüßt. Die hohe Inflationsrate von über 20 Prozent macht den Argentinierinnen und Argentiniern zu schaffen. Es mindert die Unzufriedenheit nicht, dass die Regierung die tatsächliche Inflationsrate nicht anerkennt und stattdessen einen weitaus geringeren Wert angibt.
Unter anderem wegen dieses Problems kam es am 13. September und am 8. November im ganzen Land zu Massendemonstrationen gegen die Regierung, allein in Buenos Aires gingen Hunderttausende Menschen auf die Straße (siehe Interview Seite 20). Neben der negativen wirtschaftlichen Entwicklung beklagten sie das anwachsende Unsicherheitsgefühl und einen selbstherrlichen Regierungsstil. Augenscheinlich nahmen vor allem Menschen aus der Mittelschicht an den Demonstrationen teil. Von der Regierung wurde darauf hingewiesen, dass hier für den Erhalt von Privilegien demonstriert werde. Auch wenn dies sicherlich nicht vollkommen falsch ist, so blendet diese Erklärung doch aus, dass die Anhängerinnen und Anhänger des Kirchnerismus keineswegs nur unter den Armen und Prekären zu finden sind, sondern auch in der Mittelschicht. Diese ist, wie auch andere Teile der argentinischen Gesellschaft, in der Frage uneins, ob man seine Interessen eher durch den Staat, die Wirtschaft oder gar nicht vertreten sieht.

Beim Konflikt um das Mediengesetz stehen sich die gleichen politischen Fraktionen gegenüber. Am 20. November gab es einen landesweiten Generalstreik. Dazu aufgerufen hatten unter anderem die beiden größten oppositionellen Gewerkschaften, CGT und CTA. Neben diesen existieren noch zwei Verbände gleichen Namens, die der Regierung nahestehen. Doch nicht nur diese Gewerkschaften, auch die meisten sozialen Bewegungen sind in der Frage der Loyalität zur Regierung gespalten. Beim Generalstreik wurden vor allem die Anrechnung der realen Inflation auf staatliche Leistungen und die Steuergesetze gefordert. Um zusätzlichen Druck auszuüben, blockierten die beteiligten Gewerkschaften und ihnen nahestehende Organisationen zahlreiche Straßen im ganzen Land.
Schon vor der Entscheidung der bundesstaat­lichen Zivil- und Handelskammer vom 6. Dezember über die Verlängerung der Verfügung hatte die Regierung die Integrität eines der beiden Richter der Kammer öffentlich in Frage gestellt. Ihm wird vorgeworfen, an einer Reise zu einem Kongress in Miami teilgenommen zu haben, die unter anderem von Clarín finanziert worden war. »Ein Teil der argentinischen Justiz ist nicht bereit, sich mit den Konzernen anzulegen, weil er okkupiert wurde und deren Interessen vertritt«, sagte der Regierungsmitarbeiter Martín Sabatella, der für die Umsetzung des Mediengesetzes zuständig ist. Die regierungsnahe Tageszeitung Página/12 zitierte den Staatssekretär Gustavo López mit den Worten: »Dieses Urteil erinnert an die wirtschafsliberale Justiz der neunziger Jahre. Leider gibt es immer noch korrupte Strukturen, eng verbunden mit Teilen der Wirtschaft.«
Die Nationale Kommission zur Verteidigung der Unabhängigkeit der Justiz kritisierte solche Äußerungen in einer Presseerklärung und mahnte an, das »Recht auf Kritik auf einer argumentativen Grundlage auszuüben«, ohne »persönliche Beleidigungen und die Unterstellung von Vergehen gegen die Moral oder kriminellen Handlungen, welche schließlich im Sande verlaufen, aber auf die Betroffenen und ihre Familien hochgradig verletzend wirken«. Die Opposition begrüßte die Entscheidung des Gerichtes einhellig. Der Sozialist Hermes Binner sagte, dies sei »eine Entscheidung, die die Justiz innerhalb ihrer verfassungsgemäßen Funktion gefällt habe«, und forderte eine »Entdramatisierung der Situation«. Die Regierung kündigte an, die Entscheidung durch das Oberste Gericht überprüfen zu lassen.

Während nun schon seit langer Zeit der Streit zwischen Clarín und der Regierung im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, wird anderen Aspekten viel weniger Beachtung geschenkt. »Der ganze Konflikt rund um den 7. Dezember berührt nur einen kleinen Teil der ganzen Diskussion um die Mediendiversität«, sagt Franco Ciancaglini vom selbstverwalteten Medienkollektiv Lavaca aus Buenos Aires der Jungle World. Er weist darauf hin, dass die gemeinnützigen Medienschaffenden die ihnen gesetzlich zugebilligten Rechte bislang nur ansatzweise in Anspruch nehmen können. Einen gemeinnützigen Fernsehsender legal auf Sendung zu bringen, sei zum Beispiel überaus schwierig. Um nur an den Ausschreibungen teilnehmen zu können, müsse man Zehntausende Pesos (10 000 Pesos entsprechen 1 600 Euro) zahlen. »Das ist ein enormer Betrag für ein selbstverwaltetes Projekt«, betont er.
Außerdem sei überhaupt nicht klar, wie über die Teilnahme an den Ausschreibungen entschieden werde. Bislang könnten aufgrund dieser und anderer Hindernisse nur sehr wenige der für gemeinnützige Projekte reservierten Lizenzen in Anspruch genommen werden. Viele befürchten, dass überwiegend solche Projekte Lizenzen erhalten werden, von denen bekannt ist, dass sie gegenüber der Regierung loyal sind. Am Ende des Konfliktes könnte dann der Austausch eines privaten gegen ein staatliches Medienmonopol stehen. Dies wäre sicherlich nicht im Sinne von Demokratie und Diversität.