Prost!

Die junge Frau bestellt noch ein großes Bier am Tresen. An anderen Tagen vielleicht selbstverständlich, kostet dies während der »Sternikonferenz« in der Berliner Szenekneipe Tristeza doch ein wenig Überwindung. Am Humpen zu nippen, während über Leberzirrhose referiert wird, fällt nicht allen leicht. Bierernst wurde der Komplex »Alkohol und Gesellschaft« während der sechstätigen Veranstaltungsreihe aber zum Glück nicht behandelt. Das Programm reichte von Bierbrauworkshops über Kleinkunstdarbietungen bis zu Diskussionen um »Alkohol oder Revolution«. Dass ein Kneipenkollektiv, das eigentlich vom Spaß am Saufen lebt, die kritische Auseinandersetzung mit der allgegenwärtigen Droge Alkohol vorantreibt, mag kontraproduktiv erscheinen. Doch sei das ein wichtiges Anliegen gewesen, nachdem sie beobachten konnten, wie daneben manche sich im Rauschzustand benehmen und wie bedenklich oft sich einige die Kante gäben, erklärt ein Mitglied des Kneipenkollektivs im Anschluss an einen Vortrag über die Arbeiterabstinenzbewegung. Ständig besoffene Genossen galten einst als nicht besonders hilfreich beim Klassenkampf. Wenn es nicht um vom Staat verbotene Rauschsubstanzen geht, schert die heutige Linke sich meist wenig um Diskussionen darüber. Weiter geht es mit einem Vortrag zu den Auswirkungen des Alkohols auf den Körper. Die erhöhte Dopaminausschüttung ist einigen Anwesenden bereits anzusehen – sei es wegen des Alkohols oder der netten Gesellschaft. Das Rotwein trinkende Pärchen prostet sich erleichtert zu, als von der gesundheitsfördernden Wirkung moderaten Alkoholkonsums gesprochen wird. Die Stimmung in der Kneipe ist gut und es wird mit einem gewissen Fatalismus weitergetrunken. »Hast du Alkoholiker im Bekanntenkreis?« fragt eine Freundin. Alkoholkonsum ist nicht immer lustig. Kurze Zeit später trinken wir einen Mexikaner. Schön scharf. Ansonsten bleibe ich an dem Abend bei Kräutertee und Malzbier – nicht aus Überzeugung, sondern wegen einer Erkältung.