Rechtsextreme und Konservative in Frankreich konkurrieren um Wähler

Werben und abwerben

Die französischen Konservativen und die Rechtsextremen des Front National wenden sich an die gleiche Wählerschicht, verbünden wollen sie sich derzeit nicht.

Nicht alle Wünsche werden wahr. Diese Erfahrung musste nun auch die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen machen. Dabei hatte die Parteivorsitzende des Front National (FN) es sich so schön ausgemalt: Erst würde das französische Verfassungsgericht die von ihr angefochtene Parlamentswahl vom Juni in ihrem Wahlkreis, rund um die frühere Bergwerkstadt Hénin-Beaumont in Nordostfrankreich, aufheben. Erforderlich wären dann Neuwahlen, und da auch in einigen anderen Wahlkreisen erneut abgestimmt werden müsste, könnten weitere Kandidatinnen oder Kandidaten des FN gute Ergebnisse erwarten.
Die Hoffnung schien berechtigt, denn bei den französischen Konservativen herrscht ein heilloses Chaos, seit diese versuchten, durch eine ­demokratische Urwahl aller Mitglieder der UMP am 18. November einen neuen Vorsitzenden zu bestimmen. Zwei Kandidaten standen zur Wahl, der frühere Premierminister François Fillon und der bisherige Generalsekretär der Partei, Jean-François Copé. Beide nehmen für sich in Anspruch, mit einem Ergebnis von knapp über 50 Prozent gewonnen zu haben, und beschuldigen sich gegenseitig des Betrugs. In beiden Fällen trifft dies vermutlich zu. Die Parlamentsfraktion der Partei ist gespalten, zum Sitz der UMP kamen Gerichtsvollzieher – geschickt vom offiziellen Wahlverlierer François Fillon – und beschlagnahmten Unterlagen. Fillon und Copé dürften derzeit zu den unpopulärsten Politikern Frankreichs zählen.

Angesichts der Zustände bei der konservativen Konkurrenz reibt man sich beim Front National die Hände. Die junge FN-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen behauptet, ihre Partei verzeichne derzeit 600 Beitritte täglich, viele der neuen Mitglieder seien enttäuschte Anhänger der UMP. Die Zahl mag übertrieben sein, und Louis Aliot, der Vizepräsident der offiziell 60 000 Mitglieder zählenden Partei, äußert sich in den Medien weitaus vorsichtiger. Dennoch gibt es eine reale Tendenz zum Parteiübertritt, die dem FN zugute kommt. Auf der anderen Seite profitiert auch die neue Mitte-Rechts-Partei UDI (Union der Demokraten und Unabhängigen), die Ende Oktober vom ehemaligen Umweltminister Jean-Louis Borloo gegründet wurde, von der Krise der wichtigsten Partei des bürgerlichen Lagers.
Da wäre es Marine Le Pen nur allzu recht gewesen, hätte sie gerade in dieser Situation zu neu ausgeschriebenen Wahlen in Hénin-Beaumont antreten können. Im Juni war sie dort mit 49,9 Prozent knapp dem Sozialdemokraten Philippe Kemel unterlegen, und Gründe zur Anfechtung der Wahl gab es in ihren Augen einige. Doch am Freitag vergangener Woche entschied das französische Verfassungsgericht gegen eine Annullierung der Wahl in Hénin-Beaumont.

Da sie so an einer spektakulären Kandidatur gehindert wurde, behauptete Marine Le Pen noch am gleichen Tag, das hohe Gericht habe gegen eine Neuwahl entschieden, weil es ihre Person als »erste Opponentin des Systems« fürchte. Schwerer als die Entscheidung der Verfassungsrichter wiegt aus Sicht der Parteiführung des FN allerdings das schlechte Ergebnis in drei Wahlkreisen am Sonntag. Dort hatten Nachwahlen für einzelne Parlamentssitze stattfinden müssen. Zwei der betroffenen Gegenden liegen im Pariser Umland, der dritte Sitz ist die südfranzösische Stadt Béziers.
Dort machte sich die FN-Kandidatin France Jamet – die Tochter eines schon vor Jahrzehnten aktiven Parteikaders und früheren Fallschirmjägers während des Algerienkriegs – ernsthafte Hoffnungen. Doch sie wurden enttäuscht. Zwar erhielt sie 23,4 Prozent der Stimmen, knapp ein Prozentpunkt mehr als im Juni. Dieses Ergebnis reichte jedoch anders als im Frühsommer nicht aus, um sie für den zweiten Wahlgang zu qualifizieren. Denn dazu muss eine Kandidatin vom einem Achtel der eingeschriebenen Stimmberechtigten – nicht derer, die tatsächlich ihre Stimme abgaben – im ersten Durchgang gewählt werden. Wegen der geringen Wahlbeteiligung erreichte Jamet diesen Anteil nicht. Stattdessen siegte dank der Unpopularität der sozialdemokratischen Regierung in Béziers und den anderen Wahlkreisen die konservative Rechte.
Auch weiterhin wird Marine Le Pen also mit der UMP rechnen müssen. Entgegen ihrer Hoffnung dürfte sich die stärkste Kraft der Rechten nicht auflösen oder in zwei Parteien spalten, von denen eine sich an der politischen Mitte orientiert und die andere sich mit der extremen Rechten verbündet.
Unter Jean-François Copé geht die UMP unterdessen selbst auf einen scharfen Rechtskurs, ein Zeichen dafür, dass sie dieselben Wähler wie der Front National ansprechen möchte. Im Gegensatz zu Fillon steht Copé für eine derartige politische Radikalisierung, dass längerfristig auch eine Allianz mit dem FN denkbar wäre. Allerdings konkurrieren derzeit beide Parteien miteinander, da sie im Falle einer Allianz der Rechten die Hegemonie beanspruchen wollen. Copé wirbt erklärtermaßen um Wähler, aber auch Mitglieder und Kader, die vom FN kommen, wie der neue Jung­star der Partei, Guillaume Peltier. Dennoch lehnt Copé eine Allianz mit dem Apparat des FN bislang ab.

Umgekehrt will auch Marine Le Pen offiziell von Copé so wenig wissen wie von seinem moderateren Herausforderer François Fillon, vielmehr bezeichnet sie beide als skrupellose Karrieristen. In ähnlicher Weise wie der FN es seit Jahren tat, appelliert sie stattdessen an die »Basis« der UMP, in der es auf der Grundlage »ehrlicher Überzeugungen« weitaus mehr Gemeinsamkeiten mit ihrer Partei gebe als unter den »korrupten Berufspolitikern« an ihrer Spitze. Im Hinblick auf die Kommunalwahlen im März 2014 will Marine Le Pen so die unteren und mittleren Ränge der UMP ansprechen.
Auf beiden Seiten könnte die offizielle Ablehnung eines Bündnisses eines Tages hinfällig werden. Auch Nicolas Sarkozy wollte erklärtermaßen nur die Wähler, nicht aber den Apparat des FN an seiner Seite haben. Aber zwischen Ende April und Anfang Mai, während der beiden Durchgänge der französischen Präsidentschaftswahl, wurde in Sarkozys engstem Beraterstab unter anderem darüber diskutiert, Marine Le Pen das Innenministerium anzubieten. Die Idee wurde verworfen, doch zeigt die damalige Debatte, dass nicht politische Prinzipien, sondern taktische Erwägungen einer Zusammenarbeit mit der ex­tremen Rechten im Weg stehen.