Der neue Gesetzentwurf zur Prozesskostenhilfe

Waffengleichheit vor Gericht

Bund und Länder wollen an der Prozesskostenhilfe sparen. Betroffen sind davon vor allem Geringverdiener.

Wenn man einen Rechtsstreit gewinnt, kommt man billig davon. Die Gerichtskosten und die Anwaltshonorare muss dann die Gegenseite bezahlen. Ob man gewinnt, weiß man allerdings nicht vorher. Weil Rechtsschutz nicht davon abhängen darf, ob man sich ein Risiko von ein paar tausend Euro leisten kann, gibt es die Prozesskostenhilfe: Alle Kosten für die eigene Rechtsverfolgung, also den eigenen Anteil an den Gerichtskosten und den eigenen Anwalt, übernimmt der Staat.
Doch den Ländern, die die Prozesskostenhilfe tragen, wird das zu teuer. Sie zahlen rund 500 Millionen Euro im Jahr und fordern seit langem Einsparungen. Die Bundesregierung hatte bisher verfassungsrechtliche Bedenken – schließlich gehört es zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, dass jeder in der Lage sein muss, seine Rechte vor Gericht zu verteidigen. Nun will die Bundesregierung mit einem neuen Gesetzentwurf den Forderungen der Länder nachkommen, ohne Ärger mit dem Bundesverfassungsgericht zu riskieren: Die Prozesskostenhilfe soll auf das verfassungsrechtliche Mindestmaß gekürzt werden.

Der Kreis der Empfänger soll verkleinert werden, die Eigenbeteiligung soll steigen. Betroffen sind davon vor allem Geringverdiener wie Minijobber und Selbstständige mit geringem Einkommen. Nach Angaben der Bundesregierung wurden bisher jährlich in rund 630 000 Fällen Gerichtskosten und Anwaltsgebühren vollständig ersetzt, demnächst sollen es rund 20 Prozent weniger sein. Wer nicht vollständig befreit ist, sondern die Prozesskosten in Raten bezahlt, erhält höhere monatliche Sätze – und zahlt länger. Nicht nach vier, sondern erst nach sechs Jahren sollen die restlichen Kosten erlassen werden. Der Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wurde Ende Januar im Bundestag beraten. Dort gab es scharfe Kritik seitens der Opposition. Der rechtspolitische Sprecher der Linkspartei, Jens Petermann, sprach von einer »Zweiklassenjustiz«, der Zugang zu den Gerichten dürfe »nicht an der Größe des Geldbeutels scheitern«. Ingrid Hönlinger, Bundestagsabgeordnete der Grünen, warnte, die geplanten Einschränkungen »verschieben die Chancen der Rechtsverfolgung zugunsten des finan­ziell Bessergestellten«. Die Gewerkschaft Verdi hatte bereits Ende vorigen Jahres eine Unterschriftenkampagne initiiert und auch Juristenverbände wie die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnen die Änderungen zum größten Teil ab.

Klar ist, dass es in Fällen mit Prozesskostenhilfe selten um Lappalien geht. Viele Verfahren finden vor Sozial- oder Arbeitsgerichten statt. Den weitaus größten Anteil machen allerdings Familienrechtssachen aus, etwa Streitigkeiten um den Unterhalt oder Scheidungsverfahren. Doch gerade hier sieht die Bundesregierung eine »Überversorgung«. Bisher gilt nämlich, dass sich ein Ehepartner immer dann einen Anwalt nehmen kann, wenn die Gegenseite auch einen hat – damit herrscht »Waffengleichheit« vor Gericht. Künftig sollen die Anwaltskosten jedoch nur noch dann übernommen werden, wenn es im Einzelfall erforderlich scheint, dass ein weiterer Anwalt beteiligt wird.
Das wird selbst in den Reihen der Koalition kritisiert. Die Rechtsanwältin und CDU-Abgeordnete Ute Granold bemerkte in der Bundestagsdebatte: »Ich mache das seit 30 Jahren: Nach meinem Dafürhalten gibt es kein einfa­ches Scheidungsverfahren.« Im Gesetzentwurf wird die geplante Änderung vor allem damit begründet, dass in Verfahren ohne Prozesskostenhilfe häufig nur ein Anwalt beteiligt wird: Der Ehepartner, der den Scheidungsantrag einreicht, lässt sich anwaltlich vertreten, der andere erklärt sich einverstanden. In diesen Fällen sind die Streitfragen aber meist schon vorher geklärt worden, etwa bei einer außergerichtlichen Mediation. Das jedoch können sich Ehepaare mit geringem Einkommen in der Regel nicht leisten – zumal es keine Mediationskostenhilfe gibt.

Gespart werden soll auch an der Beratungshilfe. Hier geht es nicht um Gerichtsverfahren, sondern um die anwaltliche Beratung vor einem möglichen Prozess. Künftig soll jedoch nicht nur seltener Beratungshilfe gewährt werden, die Bundesregierung will vor allem die Ratsuchenden selbst stärker in die Pflicht nehmen. So würden Empfänger von Beratungshilfe zu oft den folgenden Schriftverkehr dem Anwalt überlassen. Das sei etwa bei »einfachen Auseinandersetzungen mit dem Vermieter oder einem Gläubiger« nicht notwendig. Wenn sich die Gegenseite jedoch einen Anwaltsbriefkopf leisten kann, dürfte es oft gar nicht so einfach sein, sich durchzusetzen – auch außergerichtlich müsse »Waffengleichheit« herrschen, betonen BRAK und DAV.
Zudem sollen die Gerichte generell mehr Möglichkeiten bekommen, Anträge auf Beratungs- und Prozesskostenhilfe zu überprüfen. Der Rechtsanwalt Philip Rusche, der in Berlin häufig Mandanten mit Prozesskostenhilfe vertritt, hält das für problematisch: »Es ist jetzt schon gerade für Menschen in prekären Verhältnissen gar nicht so einfach, ihre Situation nachzuweisen«, sagt er. »Ab einem bestimmten Grad der Desorganisierung des eigenen Lebens werden eben nicht alle Unterlagen ordentlich abgeheftet.«
Die Bundesjustizministerin verteidigte den Entwurf in der Bundestagsdebatte damit, die »begrenzten staatlichen Mittel« müssten »denje­nigen zukommen, die sie wirklich benötigen«. Im Gesetzentwurf heißt es dazu, die Änderungen sollten »ungerechtfertigte« Bewilligungen vermeiden und Missbrauch entgegenwirken. Inwiefern es in der Praxis zu Missbrauch kommt, ist allerdings unklar. Ingrid Hönlinger kritisiert, dass dazu keine Zahlen vorliegen: »Wenn man gestiegene Kosten auf Missbrauchsfälle zurückführt, muss man das auch begründen.« Auf ihre schriftliche Frage ließ die Bundesregierung lediglich mitteilen, angesichts erhöhter Ausgaben gingen die Länder davon aus, »dass die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Prozesskosten- und Beratungshilfe einer von mehreren maßgeblichen Faktoren ist«.
Tatsächlich sind die Gesamtausgaben der Länder für die Prozesskostenhilfe seit dem Jahr 2005 nur um etwa vier Prozent gestiegen, im internationalen Vergleich liegt Deutschland im Mittelfeld. Der Deutsche Juristinnenbund, ein Verein von Juristinnen und Wirtschaftswissenschaftlerinnen, sieht darin sogar »eher eine rückläufige Entwicklung«, wenn man die gestiegenen Lebenshaltungskosten berücksichtigt. Zudem ist nicht klar, ob die Länder nach der Gesetzesänderung wirklich weniger zahlen müssten. Die Bundesregierung geht davon aus, dass durch die erweiterte Kontrolle zunächst die Personalkosten der Gerichte steigen. »Vorsichtig geschätzt«, heißt es in der Gesetzesbegründung, könnten dann rund 16 Millionen Euro für die Länder übrig bleiben.
Jens Petermann warf der Regierung im Bundestag daher vor, andere Ziele zu verfolgen: »Je weniger Prozesskostenhilfe, umso weniger Klagen und Verfahren und desto weniger Personalbedarf bei den Gerich­ten.« Wer sich den Gang zum Gericht gar nicht erst leisten kann, kommt dem Staat natürlich auch billiger.