Die Lage in Syrien und die internationale Politik

Nur gucken, nicht eingreifen

Während schiitische und sunnitische Jihadisten sich zur Schlacht um Syrien rüsten, zögern die westlichen Regierungen.

Bashar al-Assad hat ihnen wieder einmal gezeigt, wie man Politik macht. Denn im Gegensatz zu den in Irland versammelten Regierungschefs der G8-Staaten weiß der Diktator auf Abruf immerhin, was er will, nämlich solange es geht an der Macht bleiben. Also gewährt er dem braven Stichwortgeber der FAZ ein Interview, in dem er rechtzeitig den sieben zaudernden westlichen Regierungschefs, die sich gerade mit seinem Waffenlieferanten Wladimir Putin abmühen, eine Mahnung zukommen lässt: Zu seiner Herrschaft gebe es für die europäischen Regierungen keine Alternative, wenn nicht alles im Chaos versinken soll, und Waffenlieferungen an die Rebellen bedeuteten in letzter Konsequenz Terrorexport nach Europa. Das eigentlich bizarre an dieser devot geführten Diktatorenbefragung ist der Umstand, dass Assad eigentlich dasselbe erzählt wie all die mahnenden und warnenden Politiker und Kommentatoren zwischen Washington und Berlin.

Die Sache mit Syrien ist schon kurios: Der britische Premierminister David Cameron sprach vor dem G8-Gipfel davon, mit Putin »einen klärenden Moment« herbeiführen zu wollen, was allerdings bloß zu einer gemeinsamen Pressekonferenz führte. Die Stimmung wurde in den Medien übereinstimmend als »eisig« beschrieben. US-Präsident Barack Obama dagegen befand nach seinem Treffen mit Putin, man habe in Hinblick auf Syrien »differierende Ansichten«, aber das gemeinsame Ziel, die Gewalt dort zu vermindern. Alle tun so, als würden sie ernsthaft an die Möglichkeit einer Verhandlungslösung glauben, die es aber nicht geben kann, weil Assad keinen Verhandlungsspielraum hat. Entweder ist er Diktator oder nicht. Ohne seine Person bräche das zentralistische System der Ba’ath-Diktatur vermutlich umgehend auseinander. Es geht eigentlich nur um die Frage, wann die USA, Großbritannien und Frankreich massiv intervenieren werden. Die andere Seite – der Iran, die Hizbollah und Russland – interveniert sowieso längst ganz offen, und sie hat klargemacht, dass sie darüber nicht einmal reden will. Die projektierten Syrien-Verhandlungen »Genf 2« sind eine Chimäre, hier geht es bloß darum, Entscheidungen weiter und weiter hinauszuschieben.
Obama hat angekündigt, nun an die Aufständischen Waffen zu liefern, da Assad in geringem Umfang Giftgas eingesetzt habe. Man wird den Verdacht nicht ganz los, dass Obamas viel belächelte »rote Linie« nun so plötzlich als übertreten gilt, weil alle Welt sich über das Internetüberwachungsprogramm Prism aufregt. Aber die Änderung der bisher so seltsam passiven amerikanischen Haltung zu den Vorgängen in Syrien hat sich bereits mit der jüngsten Berufung von Susan Rice zur Sicherheitsberaterin angekündigt. Der offizielle Kriegseintritt der Hizbollah auf Seiten Assads war ebenfalls ein Umstand, den auch ein gutwilliger US-Präsident nicht mehr hinnehmen konnte.
Mit der Eroberung des an der libanesischen Grenze gelegenen Städtchens Kusayr hat die Allianz Assads, der Iraner und der Hizbollah einen fatalen Erfolg errungen. Trotz der Überlegenheit der Regierungsseite dauerte es bis zum Sieg über einen zusammengewürfelten Haufen Rebellen, die auch noch untereinander völlig uneins waren, nicht die erwarteten Tage, sondern Wochen, und damit scheint der Höhepunkt der Offensive der syrischen Regierungsarmee auch schon überschritten. Als voraussehbare Gegenreaktion wird Saudi-Arabien nun erst voll in diesen Konflikt einsteigen. Das so offen verkündete Eingreifen der Hizbollah, darauf hat jüngst ein syrischer Twitterer hingewiesen, nimmt die saudische Führung persönlich. Ob man einen konfessionellen Dreißigjährigen Krieg im Nahen Osten nun für wahrscheinlich halten mag oder nicht, die Jihadisten auf beiden Seiten bereiten sich auf die Schlacht vor.

Auf schiitischer Seite boomen Bücher über die Apokalypse und den schiitischen Kämpfern, die nach Syrien ziehen, wird die Ankunft des Mahdi, des Erlösers, versprochen. Längst kämpfen gegen die sunnitischen Jihadisten dieser Welt auf Seiten der syrischen Regierung neben iranischen Revolutionswächtern und libanesischen Hizbollah-Milizionären schiitische Afghanen, Jemeniten und Iraker. Auf der Gegenseite hat nun ein von hochkarätiger sunnitischer Prominenz unter der Führung des prominenten Predigers Yusuf al-Qaradawi besuchtes Treffen zur Teilnahme am Jihad in Syrien aufgerufen.
Gegen solche Entwicklungen die fortwährenden Mahnungen etwa eines deutschen Außenministers zu stellen, zeugt von dem hilflosen Wunschdenken westlicher Politiker, dass schon alles irgendwie vorbeigehen werde, wenn man nur ausdauernd genug abwarte. Doch es wird nur schlimmer. Die westliche Ignoranz verdeutlicht nichts besser als die Reise des Tatort-Darstellers Jan Josef Liefers nach Aleppo. Nach seiner Rückkehr hat er festgestellt: »Der Westen hat gezögert einzugreifen, um einen Flächenbrand und die Radikalisierung der Kämpfer zu verhindern – und dadurch genau das erreicht.« Liefers Plädoyer für eine westliche Intervention mag man aus diesen oder jenen Gründen nicht teilen oder kritisieren, doch seine Äußerungen sind gehaltvoller als alles, was der Bundesregierung zu Syrien bisher eingefallen ist. Von der Empathie mit der geschundenen syrischen Bevölkerung einmal ganz zu schweigen.
Die Syrerinnen und Syrer hat keiner gefragt, ob sie damit einverstanden sind, ihr staubiges Stück Land als Terrain für Endzeitschlachten bereitzustellen. Sie wollten eigentlich nur ihre Diktatur loswerden. Schade, dass es nun keine gut ausgerüsteten, ausgebildeten und einheitlich operierenden Oppositionskräfte gibt, die den Apokalyptikern und Jihadisten Paroli bieten können. Es hätte sie geben können.