Hat das Protestcamp der Geflüchteten und die Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt besucht

Hungerstreik und Gitterstäbe

Gegen die prekären Lebensbedingungen der Flüchtlinge im brandenburgischen Eisenhüttenstadt regt sich Widerstand.

Eisenhüttenstadt ist eine schrumpfende Stadt. Kurz vor dem Mauerfall lebten noch über 50 000 Menschen hier, heute sind es nicht einmal mehr 30 000. Stahl wird hier noch immer produziert, aber nicht mehr wie früher für das Eisenhüttenkombinat Ost, sondern für Arcelor Mittal, einen Großkonzern mit Sitz in Luxemburg. Weit mehr Aufmerksamkeit jedoch als die Reste der lokalen Industrie bekamen in den vergangenen Wochen die zwei Einrichtungen, die die Zentrale Ausländerbehörde (ZABH) in Eisenhüttenstadt betreibt.
In einer Sackgasse nahe dem südlichen Stadtrand und zu Fuß mindestens eine halbe Stunde von so ziemlich allem entfernt gelegen, wirken die Gebäude zunächst unscheinbar. Was auffällt, sind eher die Zäune, die Anfang der Neunziger nach den Progromen von Hoyerswerda aus Angst vor pogromen Ausschreitungen errichtet worden sind, und die Zelte vor dem Tor. Seit einigen Tagen betreiben einige Flüchtlinge zusammen mit Unterstützerinnen und Unterstützern hier ein Protestcamp – fast schon ein gewohnter Anblick in diesen Tagen, in denen landauf, landab Menschen gegen staatlichen Rassismus und das deutsch-europäische Grenzregime protestieren. Der heutige Freitag ist der letzte Tag des Camps, und zum Abschluss soll es eine Demonstration durch die Innenstadt geben.
Anlass der Proteste in Eisenhüttenstadt ist der Hungerstreik mehrerer Insassen der dortigen Abschiebehafteinrichtung (AHE). Zeitweise waren zehn Menschen daran beteiligt, jetzt sind es nur noch vier und die liegen im Krankenhaus. Bei nur 20 Insassen in der für 108 Gefangene konzipierten und 1999 eröffneten Einrichtung ist das ein ziemlich hoher Prozentsatz. Einer der vier, Munir Usman, sollte schon vor Wochen vom Flughafen Berlin-Tegel aus abgeschoben werden. Proteste und die Zivilcourage eines Passagiers verhinderten dies jedoch. Der Hungerstreik, das Protestcamp und die Demonstration richten sich allerdings nicht nur gegen die Abschiebung der am Streik Beteiligten, sondern gegen das Instrument der Abschiebehaft, mangelnde medizinische und psychologische Betreuung sowie gegen ungerechte Asylverfahren ganz allgemein.
Natürlich ist das kein rein brandenburgisches Problem. Die Lage für Asylsuchende ist hier dennoch eine besondere. Das fängt schon damit an, dass sich die AHE in Eisenhüttenstadt auf demselben Gelände befindet wie die Erstaufnahmeeinrichtung (EAE). Das erste, was Asylsuchende also zu sehen bekommen, während sie darauf warten, auf andere Unterkünfte in den verschiedenen Landkreisen aufgeteilt zu werden, ist der Knast, der ihnen droht, wenn Deutschland sie loswerden will. Es ist schon ein bizarres Bild, wenn Kinder auf der Wiese spielen, während ­andere ihnen, getrennt durch Gitterstäbe und Natodraht, zusehen.
Das Land Brandenburg selbst hat im vorigen Jahr 86 Menschen abgeschoben. In der AHE ­saßen im selben Zeitraum insgesamt 321 Personen, weil die Einrichtung auch Abzuschiebende aus anderen Bundesländern aufnimmt. Wie viele der 86 vom Land selbst Abgeschobenen dort ­zuvor einsaßen, steht den Behörden zufolge in keiner Statistik. Es soll aber eher die Ausnahme als die Regel sein, auch wenn die Zahlen anderes vermuten lassen.

Eine dieser Ausnahmen ist John E. Er sitzt seit sechs Wochen in der AHE und soll dort nach dem Willen der Behörden auch noch bis zu seiner für den 28. August geplanten Abschiebung bleiben. Eine Aktivistin des »Netzwerks Lager Eisenhüttenstadt«, das das Protestcamp und die Demonstration organisiert, konnte mit ihm sprechen. Zehn Jahre habe er in einem Lager in Luckenwalde im Landkreis Teltow-Fläming gelebt, sagte er nach ihren Angaben. Jetzt solle er nach Nigeria abgeschoben werden, obwohl er ein ärztliches Gutachten habe, das sich dagegen ausspricht, weil er an Hepatitis und einer Leberzirrhose leide.
»Wo ist die Demokratie, wenn Menschen, die keine Straftat begangen haben, in Gefangenschaft leben müssen?« fragt einer der Flüchtlinge in ­seinem Redebeitrag bei der Auftaktkundgebung der Demonstration. Auch die Lebensbedingungen in der EAE werfen Fragen auf. Zwar ist eine grundlegende Sanierung in vollem Gange und die bereits sanierten Teile der Einrichtung sehen wirklich viel besser aus, doch die unsanierten Teile der ehemaligen Polizeikaserne sind erschütternd.
Derzeit allerdings ist die Lage noch schlechter als ohnehin schon. In der eigentlich für 500 Menschen konzipierten Einrichtung leben derzeit knapp 700. Mehr als zwei Drittel davon kommen aus Tschetschenien, beinahe die Hälfte sind Kinder. Das Freizeitangebot für sie ist mager. Die Klassenräume für einen Schulbetrieb sind zwar fertig saniert, aber noch nicht in Betrieb genommen und die Räume der Kita sind, wenn 30 ­Kinder sich darin aufhalten, schon überfüllt. An einem sonnigen Tag wie diesem mag das noch gehen. Auf der ausgedörrten Wiese sieht man Kinder sitzen. Einige von ihnen spielen mit Steinen und einer leeren Blechdose. Was sie bei Regen oder Schnee machen, ist wahrscheinlich noch trostloser.

Trostlos sind auch die Bedingungen, unter denen die Menschen leben, die derzeit in den notdürftig aufgestellten Wohncontainern hausen müssen. Jetzt im Sommer ist es darin unerträglich stickig. Im Winter sind sie schwer zu heizen. Dass er Menschen in Containern unterbringen muss, ist auch Frank Nürnberger, seit etwa einer Woche neuer Leiter der ZABH, nicht eben recht – auch und vor allem, weil es ungemein teuer ist. Mehr als 300 Menschen könnten ihm zufolge sofort auf die brandenburgischen Kommunen aufgeteilt werden. Ihre Erstaufnahme ist im Grunde abgeschlossen, doch in Brandenburg fehlt es an Plätzen in geeigneten Unterkünften. Was man in Eisen­hüttenstadt sieht, ist gleichsam nur der Rückstau.
Ausreichend Wohnraum für alle Asylsuchenden zu finden, wäre sicher weniger schwierig, wenn nicht allerorten versucht werden würde, sie in ­lagerartigen Unterkünften zusammenzupferchen, sondern sie dezentral in ganz normalen Wohnungen untergebracht würden. Doch wahrscheinlich ist dafür die Angst zu groß, man könnte sie im Zweifelsfall – das heißt, wenn sie endlich abgeschoben werden – nicht so einfach wiederfinden. Nur weil der deutsche Staat fürchtet, jemand könnte sich der Abschiebung entziehen, gibt es ja Abschiebehafteinrichtungen wie die in Eisen­hüttenstadt oder werden, wie in anderen Bundesländern üblich, Menschen vor ihrer Abschiebung in reguläre Gefängnisse gesteckt. Dass Menschen oft gewillt wären, ein Leben in Angst und Il­legalität dem vorzuziehen, das sie in der vermeintlichen Heimat erwartet, sollte eigentlich zu der Frage veranlassen, ob viele von ihnen nicht zu recht um Leib und Leben fürchten. »Das Problem ist da drinnen, von draußen sieht man es nicht«, sagt Bruno Watara vom Flüchtlingsrat Brandenburg.
Peer Jürgens, Landtagsabgeordneter der Partei »Die Linke«, ist hier, um sich selbst ein Bild zu machen. »Ziemlich flau« fühlt er sich dabei nach eigenem Bekunden. Die Situation seiner Partei in Hinblick auf die hiesige Lage ist schwierig. Als Koalitionspartner in der Landesregierung ist sie für die Situation der Asylsuchenden mitverantwortlich, mit der Linksjugend Solid ist sie aber auch bei der Demonstration vor dem Tor ver­treten. Mit Justizminister Volkmar Schöneburg stellt sie den obersten Dienstherrn der Richterin Heidemarie P., die »Report Mainz« zufolge am Amtsgericht Eisenhüttenstadt Asylsuchende unter anderem als »Asyltouristen« bezeichnet hatte. In ihrem Wahlprogramm ­hingegen spricht »Die Linke« selbst von einer »unmenschlichen Asyl- und Abschottungspolitik«.
»Vergesst nicht, was ihr heute hier seht«, fordert einer der Flüchtlingsaktivisten bei einer der Kundgebungen. Die rund 150 Menschen, die nach Eisenhüttenstadt gekommen sind, um ihre ­Solidarität zu zeigen, werden das wohl beherzigen. Wer jedoch einmal auf der anderen Seite des Zauns war, wird gar nicht anders können.