Die Flüchtlingspolitik des Vatikans

Unser täglich Brötchen

Während sich der Papst öffentlich für eine bessere Unterbringung von Flüchtlingen in Italien einsetzt, macht die katholische Kirche mit ihren zahlreichen Immobilien lieber Profit. Auch eine Laienorganisation, die Abschiebegefängnisse verwaltet, steht in der Kritik.

Als Papst Franziskus Anfang Juli auf Lampedusa eine Totenmesse für die mehr als 20 000 Flüchtlinge hielt, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Mittelmeer ertrunken sind, reagierte Ita­liens Rechte ungehalten: »Was der Papst sagt, juckt uns nicht«, tönte Erminio Boso von der Lega Nord, »ich freue mich über jeden Flüchtlingskahn, der untergeht.« Auch vermeintlich gemäßigte Abgeordnete der rechten Regierungspartei PDL schimpften, dass die illegale Einwanderung nicht mit »religiösen Sonntagsreden« zu bekämpfen sei. Jahrelang hatten die Obersten der vatikanischen Hierarchie die Immigrationspolitik der Rechtsregierungen nicht öffentlich kritisiert. Im Austausch für ihr Stillhalten war dem Heiligen Stuhl die Wahrung eigener, vor allem ökonomischer und moraltheologischer Interessen garantiert worden. Mit seiner im Zeichen der Buße unternommenen Reise auf die Mittelmeerinsel schien Franziskus den Pakt zu brechen. Er bat um Vergebung für die »globalisierte Gleichgültigkeit« und forderte den Mut, all jene aufzunehmen, die ein besseres Leben suchten. Anders als sonst machten sich die vatikantreuen Rechtspolitiker die päpstliche Botschaft nicht zu eigen. In der katholischen Presse wurden sie für ihr beredtes Schweigen gerügt. Franziskus selbst wollte den Vorwurf, nur schöne Worte zu predigen, nicht auf sich sitzen lassen.
Vergangene Woche besuchte er im römischen Stadtzentrum das vom jesuitischen Flüchtlingsdienst organisierte Centro Astalli. Neben der Mutterkirche des von Ignatius von Loyola gegründeten Jesuitenordens unterhält das Hilfswerk eine Mensa und einen medizinischen Notdienst. Außerdem werden den Asylsuchenden Rechtshilfe und Sprachkurse angeboten. In seiner Ansprache rief der Papst, selbst Jesuit, dazu auf, die drei Losungsworte des Ordensbegründers, »Dienen, Aufnehmen, Verteidigen«, in der Flüchtlingshilfe in die Tat umzusetzen: »Die leeren Konvente unserer Kirche sind nicht dazu da, in Hotels umgewandelt zu werden und damit Geld zu verdienen.« Stattdessen sollten Flüchtlinge aufgenommen und ihr Recht auf ein Leben in Freiheit und Würde solle verteidigt werden.

Mit diesem Vorschlag trifft Franziskus die ökonomischen Interessen der römischen Kurie. ­Offiziell werden in der Hauptstadt in religiösen Einrichtungen 5 000 Touristenbetten angeboten, mit denen jährlich mindestens 150 Millionen Euro umgesetzt werden. Insgesamt besitzt die katholische Kirche etwa 20 Prozent des italienischen Immobilienvermögens, allein der Bestand in Rom hat einen geschätzten Marktwert von neun Milliarden Euro. Verwaltet wird das Immobilienimperium von der ursprünglich ebenfalls von Jesuiten gegründeten »Kongregation für die Evangelisierung der Völker«, bekannt auch unter ihrem früheren Namen »Propaganda Fide«. In den vergangenen Jahren ermittelte die italienische Staatsanwaltschaft gegen deren Leitung im Zusammenhang mit korrupten Baugeschäften. Außerdem wird seit Jahren darüber gestritten, in welchem Umfang die kirchlichen Einrichtungen von der Bezahlung der italienischen Immobiliensteuer befreit bleiben sollten. In diesem Sommer wurden Dokumente veröffentlicht, die belegen, dass es Verhandlungen zwischen dem Vatikan und Silvio Berlusconis letzter Rechtsregierung gab, um eine von der Europäischen Kommission angedrohte Strafe wegen unerlaubter staatlicher Hilfen an die katholische Kirche abzuwenden. Über die Höhe der Einnahmen, die dem italienischen Staat aufgrund der erlassenen Immobiliensteuer pro Jahr entgehen, kann nur spekuliert werden, allein für Rom wird die Summe auf mehr als 25 Millionen Euro geschätzt.
Während die Missstände in der Kurienverwaltung nur langsam aufzuarbeiten sein werden, könnte die Forderung Franziskus’ nach »wahrer Barmherzigkeit«, die den Flüchtlingen zur Chance verhelfen müsse, ein eigenständiges Leben zu führen, schneller erfüllt werden. »Es reicht nicht, ein Brötchen zu verteilen«, mahnte er. Tatsächlich häufen sich nämlich die Vorwürfe gegen die katholische Laienorganisation der Barmherzigen Brüder, die für die Leitung zahlreicher Aufnahmeheime und Abschiebegefängnisse in Italien verantwortlich ist, die Flüchtlinge nicht mit ausreichenden Essensportionen oder mit bereits verdorbenen Lebensmitteln zu versorgen.

Auch wenn in diesem Sommer in der internationalen Presse nicht die üblichen Bilder von »Flüchtlingstragödien« im Mittelmeer zu sehen sind, ist die Situation für Migrantinnen und ­Migranten, die in Süditalien ankommen, miserabel. Noch immer steuern die meisten Flüchtlingsboote Lampedusa an, sie werden dabei fast alle auf See von der Küstenwacht abgefangen und in den Hafen eskortiert. Doch mit den neuen Flüchtlingen aus Syrien ändern sich die Schlepperrouten. Seit diesem Sommer landen fast täglich Boote mit jeweils mehreren hundert Flüchtlingen an den nähergelegenen Küsten von Kalabrien und Sizilien. Anfang August ertranken sechs junge Männer, deren Boot auf einer Sandbank aufgelaufen war, beim Versuch, den Stadtstrand von Catania schwimmend zu erreichen. Zwei Wochen später bildeten Badende am Strand von Syrakus eine Menschenkette, um mehreren hundert Flüchtlingen von ihrem Boot an Land zu helfen. Die ostsizilianischen Hafenstädte trifft die steigende Zahl von Flüchtlingen unvorbereitet, die wenigen zur Verfügung stehenden Aufnahmeplätze in den Erste-Hilfe-Zentren und Aufnahmeeinrichtungen sind längst überbelegt.
Sowohl auf Lampedusa als auch in Catania traten Flüchtlinge aus Protest gegen die Dublin-II-Verordnung in den Hungerstreik. Demnach müssten sie ihren Asylantrag in jenem EU-Mitgliedsland stellen, in dem die erste Einreise nach Europa erfolgte. Viele der Ankommenden möchten dagegen nach Nordeuropa zu ihren Verwandten, auch, um den Lagerbedingungen in Italien zu entkommen.

Aus Catania berichten antirassistische Gruppen, dass die Identifizierung von den italienischen Behörden teilweise mit Gewalt erzwungen wird. Im kalabrischen Abschiebegefängnis (CIE) in Isola Capo Rizzuto brach Mitte August eine Revolte aus, nachdem dort ein 31jähriger Flüchtling unter bisher nicht geklärten Umständen zu Tode gekommen war. Erst im Dezember vergangenen Jahres waren drei Immigranten freigesprochen worden, die 2010 in der Einrichtung Feuer gelegt hatten. Der Richter erklärte, die Insassen des CIE hätten keine andere Möglichkeit gehabt, gegen die unzumutbaren sanitären Zustände zu protestieren und deshalb aus »Notwehr« gehandelt. Auch im norditalienischen Gradisca d’Isonzo rebellierten Flüchtlinge gegen ihre monatelange Abschiebehaft. Während eines verzweifelten Fluchtversuches über das Dach stürzte einer der Insassen und liegt seither im Koma.
Luigi Manconi, Vorsitzender des Senatsausschusses für Menschenrechtsfragen, forderte nach seinem Besuch in Gradisca die sofortige Schließung des CIE. Schon Tage zuvor hatte er verlangt, das gesamte System der Abschiebegefängnisse abzuschaffen, da alle Einrichtungen defizitär und unnötig kostspielig seien, überdies könnten sie den Schutz der Menschenrechte nicht garantieren. Integrationsministerin Cécile Kyenge kündigte an, im Herbst einen Runden Tisch zur Änderung des Einwanderungsgesetzes einzuberufen. Beide Politiker haben jedoch nur wenig institutionellen Einfluss, die Macht ihrer Ämter ist eher symbolisch. Kyenge, die seit ihrem Amtsantritt einer rassistischen Hetzkampagne ausgesetzt ist, wertet die päpstlichen Auftritte als Unterstützung für ihre Politik. Doch auch Franziskus ist nur ein prominenter Zeuge der Anklage. Dass seinen Worten seitens der vatikanischen, italienischen oder europäischen Institu­tionen politische Taten folgen werden, wird wohl ein frommer Wunsch bleiben.