Angriffe auf die Flüchtlingsunterkunft in Hoyerswerda

Mehr als ein Imageproblem

Seit über drei Monaten sind Asylbewerber im ostsächsischen Hoyerswerda untergebracht. Stadt und Bürger wollten sich nach dem Pogrom von 1991 als gute Gastgeber präsentieren. Mit mäßigem Erfolg.

Noch bevor die ersten Asylbewerber in der Stadt überhaupt ihr Quartier bezogen, gründeten Vertreter von Stadt, Kirche und Zivilgesellschaft ein Netzwerk, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Neuankömmlinge mit Solidaritätsaktionen und Freizeitangeboten zu unterstützen. Für Bürgermeister Stefan Skora (CDU) war dies ein guter Anfang. In einem öffentlichen Forum insistierte er darauf, dass nur ein »breites Bürgerbündnis« in der Lage sei, für eine angenehme Willkommenskultur in Hoyerswerda zu sorgen. Seiner Einschätzung nach seien ein Drittel der Bürger für das Heim, einem Drittel sei es egal, ein Drittel sei dagegen. Ziel seiner Politik sei es, »dass die strikten Gegner keine Deutungshoheit erlangen«. »Ein bisschen Rest­angst« bleibe trotzdem, sagte Skora der Taz.
Zwei Tage nachdem die ersten Bewohner in die Flüchtlingsunterkunft eingezogen waren, ereignete sich tatsächlich der erste rassistisch motivierte Übergriff am helllichten Tag mitten auf dem Markplatz. Das Opfer war ein Marokkaner, der gerade in der Stadt unterwegs war. Ein männlicher Fahrradfahrer verpasste dem Asylbewerber im Vorbeifahren einen Schlag auf den Hinterkopf, kehrte dann noch einmal zurück und schlug ihm in die Nierengegend. Geistesgegenwärtig fotografierte der Nordafrikaner mit seinem Handy den Täter, so dass die Polizei den Angreifer kurze Zeit später identifizieren konnte. Der Staatsschutz ermittelt.

Am folgenden Tag rief das Netzwerk »Hoyerswerda hilft mit Herz« zu einer Solidaritätskundgebung auf, bei der sich etwa 60 Menschen vor dem Flüchtlingsheim versammelten. Auf der Kundgebung berichtete der angegriffene Marokkaner, dass die Polizei ihn nach dem Angriff nicht ins Krankenhaus gebracht habe. Somit wurde ihm keine medizinische Hilfe zuteil, entsprechend kann er auch kein ärztliches Attest für den Angriff vorweisen. Im Gespräch mit dem Webportal netz-gegen-nazis.de berichtete er, in den zwei Monaten zuvor, in denen er in der Erstaufnahmestelle in Chemnitz untergebracht wurde, sei das Leben besser gewesen. In Hoyerswerda dagegen fehlten Freizeitangebote. Auch die Verständigung falle schwer. Einen Kaffee zu bestellen, ist für Flüchtlinge in der ostsächsischen Kleinstadt nicht einfach.
Eine Gruppe Pakistaner berichtete auf der Kundgebung, dass an den Abenden immer wieder Autos vor dem Heim hielten, deren Insassen »Ausländer raus!« riefen. Aber vor allem in der Stadt kommt es immer wieder zu rassistischen Drohungen, Beleidigungen und sogar Übergriffen. Mohsin Rehman aus Pakistan berichtete, dass eine Gruppe kahlköpfiger Neonazis auf offener Straße bedrohlich auf ihn gezeigt habe, weshalb er nicht mehr allein aus dem Heim gehe, erst recht nicht am Abend. Zwei Frauen erstatteten Anzeige, weil sie von »jungen deutschen Männern« bedroht worden waren. Diese hatten eine Libyerin mit dem Auto bedrängt und waren auf dem Bürgersteig auf sie zugefahren, als sie gerade ihren Kinderwagen zum Einkaufscenter schob. Die Frau hatte ein Kopftuch getragen.

Eine wirkungsvolle Drohkulisse dient der Etablierung einer No-Go-Area. Dies ist das erklärte Ziel der ostsächsischen Neonazis. Dazu braucht es meistens keine konkrete Gewaltanwendung, ernst zu nehmende Drohungen reichen oft schon aus. So berichtete Muhammad Afzal Spiegel Online, dass ein Auto mit drei Insassen dicht an ihm vorbeigefahren sei, einer der Männer habe währenddessen mit seiner Hand angedeutet, ihm den Kopf abzuschneiden. »Das hat mir Angst gemacht«, so Afzal. Eine Syrerin wurde ebenfalls von einem Autofahrer bespuckt und beschimpft. Ein 28jähriger Tunesier wurde vor einem Geschäft angepöbelt und angespuckt. Vorausgegangen war der Attacke eine Auseinandersetzung in einem Supermarkt.
Die alltägliche Ablehnung hat einige Bewohner der Flüchtlingsunterkunft im April dazu bewogen, sich in einem offenen Brief an die Bevölkerung von Hoyerswerda zu wenden. Darin entschuldigen sie sich für ihre mangelnden Deutschkenntnisse und bedanken sich zugleich für die bisherige Unterstützung. Am Herzen liege ihnen vor allem ihre Sicherheit, besonders die ihres Nachwuchses. Sie bitten darum, dass »unsere Kinder keine Angst mehr auf dem Schulweg haben müssen« und »die Mütter sich nach den letzten Übergriffen wieder allein zum Einkaufen trauen« können.

Zwei Tage nach der Veröffentlichung des offenen Briefs kam es zu einem ersten direkten Angriff auf die Flüchtlingsunterkunft, in der rund 85 Erwachsene und 32 Kinder untergebracht sind. Um drei Uhr nachts versuchte ein 25jähriger mit einem Hammer eine Fensterscheibe im ersten Stock zu zertrümmern. Das Sicherheitsglas hielt, trotzdem fielen tellergroße Scherben auf das Kopf­ende eines Bettes, das sich hinter dem Fenster befand. Und obwohl das Polizeirevier in unmittelbarer Nähe zum Wohnheim liegt, traf die erste Streife erst 20 Minuten nach dem Notruf ein. Die Bewohner flüchteten vor die Tür ihrer Unterkunft, der Angreifer verschwand. »Vielleicht war es ja auch bloß der Osterhase, der ein paar nette Überraschungen bringen wollte«, höhnten die Betreiber der lokalen »Nein zum Heim«-Facebookseite. Die Initiative, die der NPD nahestehen soll, hat im Internet über 2 300 Fans. Das Netzwerk »Hoyerswerda hilft mit Herz« kommt dagegen gerade einmal auf 249 Unterstützer.
Bei den Befürwortern der Flüchtlingsunterkunft ist das Gefühl entstanden, dass die Neonazis machen können, was sie wollen. Mathias Buchner von der Initiative »Pogrom 91« sieht den »Bürgermeister und die Ordnungsbehörden in der Pflicht«, endlich den Schutz der Heimbewohner zu gewährleisten. Gerade weil die jüngsten Ereignisse zeigten, dass »es trotz der zu begrüßenden Arbeit der Bürgerinitiative ›Hoyerswerda hilft mit Herz‹ viele Menschen in der Stadt gibt, die den Geflüchteten ablehnend gegenüberstehen und auch nicht davor zurückschrecken, sie anzugreifen«, gelte es, den sächsischen Innenminister Markus Ulbig (CDU) daran zu erinnern, dass es Aufgabe der Polizei sei, »die Menschen in Sachsen zu schützen«. Zum Schutz der Flüchtlinge fordern die Antifa-Aktivisten von »Pogrom 91«, die Fami­lien schnellstmöglich dezentral unterzubringen.
Skora treibt dagegen die Sorge um, dass die rassistisch motivierten Übergriffe einiger weniger »uns alle in der Öffentlichkeit« diskreditierten. Im Internet bedient er das Stereotyp, wonach »Medienvertreter« gern von ihren regionalen Problemen ablenkten, indem sie mit dem Finger auf Hoyerswerda zeigten. Pathetisch beendet er sein Statement mit dem Slogan eines jeden Heimatschützers: »Unsere Heimatstadt und ihre Menschen haben das nicht verdient.«