Europa fehlt eine Strategie im Umgang mit der Krise in der Ukraine

Putin ist nicht beeindruckt

Die US-Regierung hat Europa das Krisenmanagement in der Ukraine überlassen. Zufrieden ist sie mit dem Ergebnis nicht.

Die Szenen vor dem Treffen in Minsk vorige Woche erinnern an einen schlechten Film. Während die Europäer versuchten, eine diplomatische Einigung mit Russland zu erreichen, spielten die USA den bösen Polizisten und drohten mit Waffenlieferung an die ukrainische Zentralregierung. Wenig später begrüßte US-Präsident Barack Obama zwar das neue Abkommen und lobte die Bundeskanzlerin für ihre Mühe. Von dem Enthusiasmus, mit der deutsche Medien Angela Merkel als europäische Führungsfigur bejubelten, war bei ihm jedoch wenig zu spüren.
Die Arbeitsteilung mit den Europäern hatte sich die US-Regierung sicherlich anders vorgestellt. Es ist noch nicht lange her, dass sie ihre europäischen Verbündeten, allen voran Deutschland, vehement dazu drängte, mehr Verantwortung zu übernehmen, notfalls auch militärisch. In Libyen führten die USA zwar noch die ersten Luftangriffe aus, doch dann gaben sie die Initiative an die davon wenig begeisterten europäischen Nato-Mitglieder weiter. Auch aus anderen Konflikten, wie im Irak und Afghanistan, zogen sich die USA in den vergangenen zwei Jahren zurück. Europa sollte künftig für sich selbst sorgen.
Der Abzug erfolgte vor allem aus ökonomischem und strategischem Kalkül. Obama wurde gewählt, um die scheinbar endlosen Kriege zu beenden und um die Rezession im eigenen Land zu bekämpfen. Nach dem Finanzcrash im Jahr 2009, just nachdem Obama in das Weiße Haus eingezogen war, gingen in den USA monatlich durchschnittlich bis zu 800 000 Jobs verloren und die Wirtschaft schrumpfte um acht Prozent. Zugleich kosteten die unpopulären Kriege bislang schätzungsweise fünf bis sechs Billionen US-Dollar und Tausende Tote. Hinzu kamen die erbitterten innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Demokraten, die zeitweise zu einem bizarren Konflikt um den Haushalt und zu umfangreichen Kürzungen führten, selbst beim bis dahin tabuisierten Militäretat.
Das US-Militär muss nun in den nächsten zehn Jahren rund 900 Milliarden Dollar einsparen. Kostspielige Interventionen sind seitdem nicht mehr ansagt. Statt Bodentruppen wurden Drohnen oder maximal die Air Force eingesetzt. Die neue Ausrichtung zahlt sich aus – die Luftangriffe in Libyen kosteten die USA nur knapp eine Milliarde Dollar.

Die Abkehr Obamas von der Globalstrategie seines Amtsvorgängers Georg W. Bush und dessen »Krieg gegen den Terror« entsprach daher sowohl den ökonomischen Erfordernissen wie auch der Stimmung in der Bevölkerung. Wenn überhaupt, dann zielten Obamas Ambitionen nach Asien. In der wirtschaftlich wichtigsten Region der Welt, wo perspektivisch intensive politische und militärische Spannungen erwartet werden, soll künftig der außenpolitische Schwerpunkt liegen. Dem »Pivot to Asia« ordnete Obamas Regierung die strategische Ausrichtung der US-Außenpolitik unter, insbesondere in Bezug auf den Mittleren Osten und auf Europa.
Dafür sollten die Beziehungen zu Russland verbessert werden, weshalb Obama auch bereit war, Zugeständnisse zu machen. So wurde der Aufbau einer Raketenabwehr in Tschechien und Polen, die von der Regierung in Moskau vehement abgelehnt wurde, stillschweigend eingestellt. Doch statt der erhofften Kooperation nahmen nach dem Sturz des libyschen Präsidenten Muammar al-Gaddafi und mit dem Bürgerkrieg in Syrien die Spannungen zu.
Der Konflikt um das EU-Assoziierungsabkommen in der Ukraine kam daher für die USA so überraschend wie ungelegen. Die Regierung in Washington überließ das Krisenmanagement zwar den Europäern, verlor aber schon bald die Contenance. »Fuck the EU« schimpfte die US-Diplomatin Victoria Nuland in einem abgehörten Telefonat, als sie sich im Februar vergangenen Jahres mit dem US-Botschafter in Kiew wortreich über die ihrer Ansicht nach zu lasche Haltung der Europäer gegenüber Russland beschwerte.
Denn während die USA auf scharfe Sanktionen drängten, zögerten die Europäer. Zu der unterschiedlichen Haltung tragen auch die divergierenden wirtschaftlichen Interessen bei. Das russisch-europäische Handelsvolumen beträgt rund 340 Milliarden Euro, jenes der USA mit Russland gerade mal 40 Milliarden. Über 75 Prozent aller Auslandsinvestitionen in Russland werden von den europäischen Staaten getätigt, der US-Anteil beläuft sich hingegen auf lediglich 15 Prozent.
Die Europäer sind sich wiederum über ihre Vorgehensweise uneinig. Die östlichen EU-Mitglieder, mit Ausnahme von Ungarn, fordern eine starke Reaktion inklusive Waffenlieferungen.an die Ukraine. Deutschland und die westeuropäischen Staaten setzten hingegen auf diplomatischen Druck und möchten eine weitere Eskalation unbedingt vermeiden. Eine kohärente Strategie, wie die europäischen Staaten mit dieser Krise umgehen sollen, existiert nicht. Ein Problem, das bereits in dem 2009 von der EU initiierten Programm »Östliche Partnerschaft« auftauchte. Die wirtschaftliche Integration der Ukraine, der Republik Moldau und anderer osteuropäischer Staaten in die EU sollte zwar durch ein »tiefes und umfassendes Freihandelsabkommen« voran­getrieben werden. Das Verhältnis zu Russland blieb dabei allerdings unklar, insbesondere nachdem die russische Regierung begann, die Sepa­ratisten militärisch zu unterstützen. Die EU-Staaten, allen voran Deutschland, treten seitdem als Schutzmacht der Ukraine auf, ohne das Land jedoch tatsächlich schützen zu können. Die Sankti­onen, zu denen sich die Europäer mühsam durchgerungen haben, zeigen bislang nicht die erwünschte Wirkung. Putin hat schnell erkannt, dass er sich vor den Europäern nicht zu fürchten braucht.

Das Treffen in Minsk war daher die letzte Chance für Merkel, die Initiative zu behalten. Scheitert das Abkommen, ist die US-Regierung bereit, in den Konflikt zu intervenieren. Die bereits angedrohten Waffenlieferungen sind dabei nicht von entscheidender Bedeutung. Auch die US-Regierung weiß, dass der Transport und vor allem die Ausbildung ukrainischer Soldaten Wochen oder sogar Monate dauern könnte – eine kleine Ewigkeit in einem Krieg, in dem die militärisch über­legenen Separatisten zusammen mit der russischen Armee schnell neue Fakten schaffen ­können.
Langfristig wichtiger ist die Frage, ob die US-Regierung ihre strategische Ausrichtung revidieren wird. In den vergangenen zwei Jahren ist es den USA erstaunlich schnell gelungen, sich von der Finanzkrise zu erholen und Wachstumszahlen zu erzielen, die deutlich über jenen von Europa liegen. Wesentlich dazu beigetragen haben neue Technologien, die es ermöglichen, vormals nicht erreichbares Erdöl und Gas im eigenen Land zu fördern. 2015 werden die USA voraussichtlich zum weltweit größten Ölexporteur aufsteigen. Die geostrategischen Folgen dieser Entwicklung sind erheblich. Die USA sind damit in der historisch einmaligen Situation, die enormen Einkünfte aus den Rohstoffreserven zusätzlich zu ihrer weiterhin weltweit führenden Wirtschaft nutzen zu können.
Noch zögert die Regierung in Washington, die ungewohnte Rolle strategisch einzusetzen und beispielsweise Verbündete gezielt mit Rohstoffen zu beliefern. Das könnte sich jedoch ändern, wenn der Konflikt mit Russland weiter eskaliert. Gut möglich, dass es den USA gelingt, die Rohstoffpreise dauerhaft niedrig zu halten und als globaler Energieversorger einzusteigen. Die ­Folgen wären für Russland, das ökonomisch vollständig vom Rohstoffexport abhängig ist, vermutlich dramatisch. Für die Europäer wäre hingegen die Zeit eigener Führungsansprüche wohl endgültig vorbei. Den Machtspielen Putins sind sie schließlich auch kaum gewachsen.