Flüchtlinge aus Myanmar werden nirgends aufgenommen

Festung Südostasien

Malaysia, Thailand und Indonesien haben Bootsflüchtlinge aus Myanmar und Bangladesh zurückgewiesen, darunter viele Angehörige der islamischen Minderheit der Rohingya. Tausende Flüchtlinge werden noch auf offenem Meer vermutet. Nun wurden auch Massengräber in Grenzgebieten gefunden.

Flüchtlinge aus Myanmar erreichen Thailand seit Jahrzehnten und sind dem Land ein ständiger Dorn im Auge. Besonders dramatisch ist die Lage für Flüchtlinge der Bevölkerungsgruppe der Rohingya, einer muslimischen Minderheit in Myanmar. Sie kommen auch über den Landweg nach Thailand, aber meist zu Wasser. Seit Jahren werden Boote vor der Küste Thailands abgefangen und zurück auf hohe See gedrängt, teilweise ohne ausreichend Wasser und Nahrung. Dennoch kommen viele mit Hilfe von sogenannten Schleusern durch.

Jüngst verschärfte Thailand das Vorgehen gegen »Menschenschmuggel« und deckte ein ganzes Netzwerk von Schmugglercamps im Dschungel Südthailands auf. Die Schleuser hielten Flüchtlinge in versteckten Lagern und auf seeuntüchtigen Booten im Meer als Geiseln, um von den Angehörigen Geld für ihre Freilassung zu erpressen. Diejenigen Flüchtlinge, deren Angehörige nicht zahlen konnten, waren der Gewalt der Banden ausgeliefert. Im Dschungel entdeckte die thailändische Polizei auch Massengräber, in denen die Überreste von Rohingya und Migranten aus Bangladesh vermutet werden. Am Sonntag wurde bekannt, dass auch in Malaysia 28 Lager und 139 Gräber gefunden worden seien.

Thailands neue Strategie, das Flüchtlingsproblem durch die Verfolgung von Schleusern zu lösen, hat dramatische Folgen für diejenigen, die sich bereits in den Fängen der Banden befinden. Über Nacht wurden die seeuntüchtigen Flüchtlingsboote von ihren Aufpassern verlassen und auf hoher See zurückgelassen oder die Schleuser versuchten, sie irgendwo an Land auszusetzen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen vermutet, dass sich bis zu 4 000 Flüchtlinge aus Myanmar und Bangladesh auf hoher See befinden. Das Problem ist akut, hat aber eine lange Geschichte.

Myanmar hat seit 2010 eine Transformation hin zu einer militärisch-zivilen Kooperation initiiert. Die gegen das Regime verhängten Sanktionen wurden beendet, die Regierung ließ die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi frei und begann zahlreiche Reformen. International kaum wahrgenommen wird hingegen »969«, eine radikale buddhistische Bewegung, die mit nationalistischen und rassistischen Parolen auftritt. Vergessen ist die stille Macht der Mönche, die 2007 mit gewaltfreien Protesten gegen die Militärregierung demonstrierten. Die 969-Bewegung mit ihrem Anführer Ashin Wirathu, einem buddhistischen Mönch, ist alles andere als still und friedlich, sie hetzt gegen die Muslime im Land und hat mit ihren Forderungen teils auch politisch Erfolg.

Muslime machen in Myanmar gerade einmal vier Prozent der Bevölkerung aus, dennoch wird eine fanatische Angst vor ihnen geschürt. Neu entfacht durch die aggressiv antimuslimische Stimmung wurde die Gewalt gegen Rohingya. Ihnen wird vorgeworfen, illegale Einwanderer aus Bangladesh zu sein, die das Land Arakan, eine Provinz Myanmars, übernehmen und die buddhistischen Arakanesen zur Minderheit machen wollen. Die Aggression gegen Rohingya und Muslime im Allgemeinen steht im Kontext eines historisch umkämpften Nationalgedankens.

Myanmar, das bis 1989 Birma hieß, hat eine gewaltreiche Vergangenheit. In vorkolonialer Zeit war das heutige Myanmar kein Staat, es gab keine festen Grenzen, ob regionale oder ethnische. Arakan war stets sowohl von Indien als auch von Myanmar beeinflusst. Die dortigen Muslime blicken auf eine lange Tradition zurück, die Bezeichnung Rohingya wird jedoch erst in jüngster Zeit verwendet. Die politische Konfrontation zwischen Buddhisten und Muslimen erreichte einen Höhepunkt während der japanischen Invasion im Zweiten Weltkrieg. Japan versorgte buddhistische Arakanesen mit Waffen, um sie gegen Großbritannien kämpfen zu lassen, die Briten wiederum bewaffneten Muslime für Gegenangriffe. Birma erlangte 1948 Unabhängigkeit von Großbritannien. Danach versuchte das Land einen eigenen Weg zu finden, keine nationale Identität vermochte jedoch die verschiedenen ethnonationalistischen Bewegungen, die im Zuge der Kolonialzeit entstanden waren, zu vereinen. Interethnische und interreligiöse Spannungen beherrschen seitdem die Politik im Land. Auch die Rohingya sind eine dieser ethnisierten Gruppen. Im Zuge des Unabhängigkeitskriegs in Bangladesh in den siebziger Jahren nahmen die Spannungen erneut zu. Viele Menschen aus Bangladesh flohen ins Nachbarland.

Doch die Verfolgung der Rohingya ist eine politische Entscheidung. Rebellionen erlebte Myanmar mehr als genug, mit anderen ethnischen Gruppen wurde nicht auf dieselbe Weise verfahren. Muslime wurden in der seit 1961 bestehenden Militärdiktatur vom Militärdienst und damit von der Macht ausgeschlossen. Den Rohingya wurde die Staatsbürgerschaft aberkannt, sie galten fortan als Ausländer oder illegale Migranten. Ethnische Säuberungen durch das Militär lösten in den siebziger und neunziger Jahren die ersten Massenfluchtbewegungen aus. Rohingya waren unerwünschte Personen, bereits die Existenz der Minderheit wird von der Regierung Myanmars bis heute rigoros geleugnet.

2012 kam es erneut zu Pogromen gegen Rohingya. Ganze Stadtteile von Sittwe, der Provinzhauptstadt von Arakan, wurden niedergebrannt, Hunderte Menschen getötet und 100 000 vertrieben. Um die Stadt wurden Lager für die Vertriebenden errichtet, weitere Lager befinden sich in Bangladesh. Die Regierung Myanmars ließ den mordenden Mob tatenlos gewähren. Drei Jahre nach dieser Welle der Gewalt kostet die folgende humanitäre Krise Tag für Tag Leben und die Gewalt nimmt kein Ende. Die Flüchtlingslager in Myanmar werden von Sicherheitskräften bewacht, Rohingya dürfen sie nicht verlassen, sie haben kein Recht auf ein Einkommen und humanitäre Hilfe wird systematisch behindert. Flucht ist für viele der einzige Ausweg.

In der Region versteckt man sich bislang hinter einer strikten Politik der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten der asiatischen Anrainerstaaten, keines der Nachbarländer hat Interesse, mehr Flüchtlinge aufzunehmen; das gilt auch für Malaysia mit seiner muslimischen Bevölkerungsmehrheit und für Indonesien, das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt. Indonesien erklärte, es habe mehr als genug getan, da bereits viele Rohingya-Flüchtlinge dort leben, obwohl das Land die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet hat. Malaysia kündigte strenge Maßnahmen an, mit dem Flüchtlingsproblem umzugehen, inklusive Abschiebung. Dem schloss sich der australische Premierminister Tony Abbott an, der ankündigte, nicht einen Flüchtling aufnehmen zu wollen. Doch viele Malaysierinnen und Malaysier kritisieren das Vorgehen ihrer Regierung und indonesische Fischer retten Bootsflüchtlinge.

Immerhin haben Indonesien, Malaysia und Thailand sich mittlerweile an der Suche und Rettung von Bootsflüchtlingen beteiligt. Indonesien und Malaysia wollen zudem etwa 7 000 Flüchtlinge zumindest temporär aufnehmen.