Die Selektorenlisten der NSA für den BND sollen weiter geheim bleiben

Selektoren in den Giftschrank

Weder die Abgeordneten des Bundestags noch der NSA-Untersuchungsausschuss sollen die Liste mit den Spionagezielen der NSA vorgelegt bekommen. Die Bundesregierung will lediglich einem Sonderbeauftragten Einblick gewähren.
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Hat der Bundesnachrichtendienst die eigenen Bürger ausspioniert und Wirtschaftsspionage für den US-amerikanischen Geheimdienst National Security Agency (NSA) betrieben? Das ist allgemein als Tatsache anerkannt, allerdings fehlt der juris­tische Beweis in Form der sogenannten Selektorenlisten. Als Selektoren werden beliebige von der NSA diktierte Suchbegriffe wie beispielsweise Namen, Adressen oder Telefonnummern bezeichnet, nach denen der Bundesnachrichtendienst (BND) einen großen Teil des Datenverkehrs am Frankfurter Internetknoten DE-CIX filtert. Alles Verdächtige, was in diesem Raster hängen bleibt, darf und soll der BND an den befreundeten Geheimdienst der USA weiterleiten. Die USA verwenden diese Daten zur Auslandsaufklärung und durchaus auch als Grundlage für Drohnenattacken in anderen Ländern. Das alles ist legal, solange es sich nicht um Wirtschaftsspionage handelt und solange dabei keine Daten ausgeliefert werden, die deutsche Staatsbürger betreffen.

Ob diese Einschränkungen eingehalten werden, kann nur anhand der Selektorenlisten bewiesen werden. Nur mit ihnen kann der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags zu einem Ergebnis kommen, das politische oder gar juristische Folgen hat. Der Untersuchungsausschuss, der im vorigen Jahr seine Arbeit aufgenommen hat, soll der Massenüberwachung durch die NSA auf den Grund gehen, die durch die Enthüllungen von Edward Snowden bekannt wurde, auf den Grund gehen. Der Ausschuss soll herausfinden, ob der US-Militärgeheimdienst auch in Deutschland ohne Rechtsgrundlage Telekommunikationsdaten ausgespäht hat, und zudem prüfen, auf welche Weise der BND in die NSA-Spionage verwickelt ist.
Leider wird der Bundestag – oder wenigstens der NSA-Untersuchungsausschuss – keinen Einblick in die Selektorenlisten bekommen. Dafür sorgt die Bundesregierung. Das Kanzleramt bat zunächst die US-Regierung um Genehmigung, die Listen an den Bundestag herauszugeben. Diese Genehmigung wurde und wird natürlich nicht erteilt. Für die USA wäre eine Weitergabe dieser Listen ein Risiko, da sie einigen Aufschluss über Ziele und Operationen der USA liefern dürften. Die Bundesregierung fürchtet einen schweren Schaden für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, sollten solche Daten an die Öffentlichkeit gelangen. Tatsächlich befindet sich die Regierung in einer Zwickmühle: Vertritt sie die Interessen der eigenen Bevölkerung, verstößt sie gegen mehrere bilaterale Verträge mit den USA und der Nato, die teils Jahrzehnte alt sind und genau das regeln und legalisieren: die Spionagetätigkeit der NSA in Deutschland und die Mitarbeit des BND.
Um nicht achselzuckend zur Tagesordnung überzugehen, hat die Bundesregierung einen Plan gefasst, wie sie garantiert folgenlos eine Lösung des Problems simulieren könne: Eine Vertrauensperson soll Einblick in die Selektorenlisten nehmen und dem parlamentarischen Kontrollgremium, der G10-Kommission und dem NSA-Untersuchungsausschuss berichten – allerdings nur das, was die Regierung der Vertrauensperson auch zu berichten gestattet. Im Antrag der Großen Koalition über die Einsetzung der Vertrauensperson heißt es: »Der Untersuchungsausschuss erwartet, dass die von ihm benannte Vertrauensperson für eine Erörterung mit den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses im Rahmen einer förmlichen Anhörung als Sachverständige gemäß Paragraph 28 PUAG eine entsprechende Aussagegenehmigung erhält.« Die Regierung scheint dem Parlament so sehr zu misstrauen, dass es zwei Versionen der Berichte geben wird. Eine vollständige, die nur die Bundesregierung zu sehen bekommt, und eine gekürzte »veröffentlichungsfähige Fassung«. An die Kontrolleure im Bundestag oder gar an die Öffentlichkeit wird also weiterhin nur ein winziger Bruchteil der Tätigkeiten und gegebenenfalls der Skandale des BND gelangen.

Als Vertrauensperson ist derzeit Kurt Graulich im Gespräch. Dieser war von 1999 bis zu seiner Pen­sionierung 2015 Richter beim sechsten Senat des Bundesverwaltungsgerichts, der unter anderem für die Geheimdienste, die Polizei und das Telekommunikationsrecht zuständig ist. Würde Graulich Einblick in die NSA-Spähliste nehmen, müsste er sich zunächst einmal in die komplexen technischen Abläufe der Überwachung des Datenverkehrs und der Nutzung der Selektoren einarbeiten. Wesentlich sinnvoller wäre es, eines der Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses damit zu beauftragen, die seit über einem Jahr entsprechende Akten studieren. Aber bevor eine Vertrauensperson überhaupt die Arbeit aufnehmen kann, muss die Stelle eine gesetzliche Grundlage bekommen ausgeschrieben werden. Das dürfte noch eine Weile dauern.
Die Obleute des NSA-Untersuchungsausschusses wurden nicht über diese Pläne informiert, sie erfuhren davon aus einer Pressemeldung. Dementsprechend empört reagieren die Vertreter der Oppositionsparteien. Konstantin von Notz (Grüne) nannte das Vorhaben »armselig«, Martina Renner, die für die Linkspartei im NSA-Untersuchungsausschuss sitzt, sagte: »Einem Sachverständigen der Regierung soll mehr Vertrauen entgegengebracht werden als gewählten Abgeordneten. Das Parlament wird unglaublich brüskiert und willkürlich entrechtet.« Und die an der Regierung beteiligte SPD? Erst vor wenigen Wochen hatten der Vorsitzende Sigmar Gabriel und andere prominente Politiker der Partei gefordert, die Selektorenlisten müssten dem Parlament zur Verfügung gestellt werden. Diese Forderung wurde nun stillschweigend beerdigt.

Stattdessen veröffentlichte die SPD ein Eckpunktepapier, wie der BND zu reformieren sei – mit »internationaler Vorbildwirkung«, wie es stolz im Untertitel heißt. In diesem Papier findet sich neben durchaus sinnvollen Vorhaben auch Unsinn wie ein Verbot von Wirtschaftsspionage –als sei diese nicht ohnehin schon verboten. Immerhin möchte die SPD neben den deutschen Staatsbürgern auch alle anderen EU-Bürger vor Spionage schützen und den Ringtausch von Ermittlungsdaten verbieten. Der ermöglicht es dem BND, Informationen über Deutsche, die er selbst nicht ausspionieren darf, von ausländischen Diensten gegen Informationen über Ausländer zu tauschen. Außerdem soll künftig ein größerer Stab von Fachleuten der bisher vierköpfigen G10-Kommission helfen, den BND besser zu kontrollieren. Derzeit tagt die G10-Kommission nur einmal im Monat und bekommt lediglich jene Bereiche der BND-Tätigkeit zur Genehmigung vorgelegt, die das Inland betreffen. Einen Bevollmächtigten mit Ermittlungsbefugnissen, der im Fall des Falles vielleicht sogar in die drei Kilometer vom Bundestag entfernte neue BND-Zentrale ­hineinmarschieren und Akten beschlagnahmen könnte, sieht das SPD-Papier hingegen nicht vor.
Die Konsequenzen blieben also bescheiden, dennoch ist die Union wenig begeistert. »3 600 bekannte Terrorgefährder in Europa« hält der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster für »Ziele, die man im Blick behalten sollte«. Während die Fraktionen sich über das Eckpunktepapier streiten, arbeitet die Bundesregierung längst an einer eigenen BND-Reform. Die Auslandsaufklärung soll auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden, was wahrscheinlich heißt, dass die bisherige Vorgehensweise des BND legitimiert werden soll. Der Inhalt des Gesetzesentwurfes ist noch unbekannt. Und die Selektorenlisten, anhand derer sich belegen ließe, ob der BND gegen Gesetze verstößt? Vergessen und vergraben.