Don McMaster im Gespräch über die australische Flüchtlingspolitik

»Die Zustände sind verheerend«

Die australische Regierung erntet seit Jahren wegen ihrer rigiden Flüchtlingspolitik Kritik, vergangene Woche wurde sie auch im UN-Menschenrechtsrat gerügt. Der ehemalige Premierminister Tony Abbott kam 2013 mit dem Versprechen an die Macht, die Ankunft von mit Booten einreisenden Asylsuchenden gänzlich zu stoppen. Im September wurde er von seiner eigenen Partei, der konservativen Liberal Party, wegen anhaltend schlechter Umfragewerte gestürzt. Sein parteiinterner Herausforderer Malcolm Turnbull übernahm das Amt; die nächsten Parlamentswahlen stehen im November 2016 an. Über das australische Grenzregime und mögliche Veränderungen unter Turnbull sprach die Jungle World mit dem Politikwissenschaftler Don McMaster, der an der University of Adelaide zur australischen Flüchtlingspolitik forscht und publiziert.

Vor zwei Jahren gewann Tony Abbott die Parlamentswahlen mit dem Slogan »Stop the Boats«. Gemeint waren die vorwiegend aus dem Irak, Afghanistan und Sri Lanka geflüchteten Asylsuchenden, die versuchten, mit Booten von Indonesien oder Sri Lanka nach Australien zu gelangen. Konnte Abbott sein Wahlversprechen einlösen?

Mit Hilfe der umgehend nach dem Amtsantritt eingeführten »Operation Sovereign Borders« ist es Abbott gelungen, dass inzwischen keine Asylsuchenden mehr auf diesem Weg nach Australien kommen. Die australische Marine fängt die Boote ab und bringt sie zurück in indonesische Gewässer, sehr zum Missfallen der dortigen Regierung. Dazu werden spezielle Rettungsboote verwendet, über die aber nur sehr wenig bekannt ist, da sich die Regierung in Geheimhaltung übt. Ohnehin hat man unter Abbott mit dem normalen Verständnis davon gebrochen, wann eine Regierung die Bürger über ihre Politik informieren muss. Es ist nahezu unmöglich, an Informationen zu kommen. Wir haben eine Situation erreicht, in der die Regierung beschuldigt wird, mit den Marineeinsätzen internationales Recht zu verletzen. Doch gleichzeitig verlautbart der weiterhin amtierende Immigrationsminister Peter Dutton, die die »Operation Sovereign Borders« betreffenden Angelegenheiten seien nicht zu diskutieren – er werde entscheiden, wann er sich zu bestimmten Fragen äußere.

Die Regierung Abbott kürzte überdies die Hilfszahlungen an Entwicklungsländer. Das hat etwa im Libanon oder in Jordanien drastische Konsequenzen, da mit diesen Geldern die sich dort aufhaltenden 1,2 Millionen beziehungsweise 650 000 syrischen Flüchtlinge unterstützt werden.

Die Flüchtlingspolitik unter Abbott war hart und unmenschlich. In Teilen knüpfte sie aber an die der Vorgängerregierungen an. So wurden die detention centres für Asylsuchende auf Manus Island (Papua-Neuguinea) und Nauru schon 2013 unter dem Premierminister Kevin Rudd von der Labor-Partei wiedereröffnet. Die Zustände dort sind verheerend, die medizinische Versorgung ist schlecht, es gibt Schikanierungen und Misshandlungen durch das Wachpersonal, auf Nauru sind Vergewaltigungen von Asylsuchenden dokumentiert. Jeder Asylsuchende, der versucht, per Boot nach Australien zu gelangen, wird zur Bearbeitung des Antrags nach Nauru oder Manus Island gebracht. Auch wer anschließend einen Flüchtlingsstatus erhält, muss auf den abgelegenen Pazifikinseln bleiben, oder wird dauerhaft nach Kambodscha umgesiedelt – Hauptsache nicht nach Australien.

Das Abkommen mit Kambodscha wurde im September 2014 unterzeichnet. Bisher wurden aber nur vier Flüchtlinge umgesiedelt. Warum?

Die Flüchtlinge können entscheiden, ob sie nach Kambodscha gehen – und bisher haben sich schlicht nur vier Personen dazu entschlossen. Auch das Abkommen mit Kambodscha kommentiert die australische Regierung nicht öffentlich, unter Turnbull hat sich das nicht geändert. Schon die Verhandlungen fanden unter Ausschluss von Parlament und Zivilgesellschaft statt, am Ende wurde das fertige Abkommen präsentiert. Mit diesem will die Regierung die moralische und rechtliche Verantwortung für Menschen, die auf australischem Territorium Schutz suchten, in andere Staaten auslagern. Es beinhaltet die dauerhafte Ansiedelung von auf Nauru anerkannten Flüchtlingen im Tausch gegen Finanzhilfen in Höhe von 55 Millionen australischen Dollar. Kambodscha ist eines der ärmsten Länder Südostasiens und kann den Bedürfnissen von Flüchtlingen nicht gerecht werden. Das Abkommen wird deswegen von kambodschanischen Oppositionsparteien, Menschenrechtsgruppen und Flüchtlingsunterstützern in beiden Ländern sowie vom Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) stark kritisiert.

Mit der philippinischen Regierung verhandelt die Regierung Turnbull derzeit über ein ähnliches Abkommen. Doch Präsident Benigno Aquino schlug das australische Angebot aus, für eine Zahlung von 150 Millionen australischer Dollar eine unbegrenzte Anzahl anerkannter Flüchtlinge aus den Zentren auf Nauru und Manus Island dauerhaft aufzunehmen. Es scheint, als würden die Philippinen darauf bestehen, dass die Flüchtlinge das Land nach einer gewissen Zeit wieder verlassen. Ob es zu einer Einigung kommt, ist noch nicht abzusehen.

Das klingt nicht danach, als seien unter Turnbull Änderungen in der Flüchtlingspolitik zu erwarten.

Im Moment scheint es in der Tat so, als würde sich kaum etwas verändern. Peter Dutton ist weiterhin Immigrationsminister, und er betonte umgehend, dass kein Wechsel in der Flüchtlingspolitik zu erwarten sei. Turnbull selbst hat zwar öffentlich seine Besorgnis über die Behandlung der Asylsuchenden in den Zentren auf Nauru und Manus Island geäußert, allerdings gleichzeitig hervorgehoben, dass die anerkannten Flüchtlinge auf keinen Fall nach Australien umgesiedelt werden. Bevor Turnbull Premierminister wurde, hatte er ein liberaleres Verständnis von Menschenrechten, doch als Regierungschef ist er auch an die Linie seiner eigenen Partei gebunden.

Immerhin lässt sich auf der sprachlichen Ebene ein gewisser Wandel beobachten. Die Asylsuchenden werden nun nicht mehr als die nationale Sicherheit bedrohende »Illegale« gebrandmarkt oder als »Vordrängler« gegenüber den als Teil der jährlichen Aufnahmequote kommenden anerkannten Flüchtlingen. Auch die von Abbott oftmals implizierte Verbindung von Asylsuchenden und Flüchtlingen mit islamistischem Terrorismus lässt sich bei Turnbull bisher nicht beobachten. Dennoch bleiben die Maßnahmen zur Abschreckung und Bestrafung von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Kraft und sollen – wie beim geplanten Abkommen mit den Philippinen – weitergeführt werden.

Auch wenn Turnbull nicht mehr von »Vordränglern« spricht, ist für das australische Grenzregime seit langem die starke Differenzierung zwischen »guten« und »schlechten« Flüchtlingen charakteristisch. Erstere registrieren sich in Drittländern bei den Stellen des UNHCR und warten darauf, über offizielle Resettlement-Programme legal nach Australien zu kommen. Letztere versuchen, auf eigene Faust per Boot nach Australien zu gelangen.

Nicht nur in der Politik, sondern auch in der australischen Öffentlichkeit ist diese Trennung sehr stark verbreitet. Einer Umfrage zufolge sprechen sich 75 Prozent der Australier für Flüchtlinge aus, die ihren Asylantrag in Drittstaaten gestellt haben und über offizielle Resettlement-Programme ins Land kommen. Asylsuchenden, die versuchen, mit dem Boot einzureisen, wird hingegen mit Feindseligkeit begegnet. Sie sind ein großes Thema in den Medien. Bemerkenswerterweise reisen über drei Viertel des Asylsuchenden gar nicht unautorisiert mit dem Boot, sondern mit gültigem Visum und im Flugzeug ein. Zudem leben seit langem schätzungsweise 55 000 overstayers in Australien, das sind Personen, die nach dem Ablauf etwa eines work and travel-Visums einfach bleiben. Einen medialen und öffentlichen Aufschrei verursachen diese beiden Gruppen aber nicht. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen allein die Bootsflüchtlinge. Deren Gesamtzahl betrug 2013 lediglich 20 587.

Gibt es Bestrebungen der australischen Regierung, Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak aufzunehmen?

Noch unter Abbott beugte man sich dem internationalen Druck und kündigte an, zusätzlich zur Jahresquote von 13 750 Resettlement-Flüchtlingen 12 000 Menschen aufzunehmen, die von den Konflikten in Syrien und dem Irak betroffen sind. Diejenigen, die ausgewählt werden, sollen die Möglichkeit haben, ein dauerhaftes Bleiberecht in Australien zu beantragen. Wie dieser Prozess genau funktionieren soll, ist noch nicht bekannt. Fest steht aber, dass Frauen, Kinder und Familien aus den Flüchtlingscamps in Jordanien, im Libanon und der Türkei bevorzugt werden sollen. Ein zusätzlicher Fokus soll auf »verfolgten Minderheiten« liegen, womit wahrscheinlich Christen gemeint sind. Vielen Kritikern ist das alles zu wenig. Die meisten Flüchtlingsunterstützer fordern die Aufnahme einer höheren Anzahl von syrischen Flüchtlingen sowie eine Anhebung der Jahresquote für Flüchtlinge auf 20 000 Personen. Das sind immer noch geringe Zahlen im Vergleich zu den europäischen Ländern.

Beteiligt sich Australien an der Aufnahme von Tausenden aus Myanmar geflüchteten Rohingya?

Für Rohingya aus Myanmar will auch die neue australische Regierung kein gesondertes Aufnahmeprogramm einführen. Es wurde wiederholt betont, dass Rohingya lediglich als zertifizierte Flüchtlinge aus den Camps in Drittländern und als Teil der jährlichen Aufnahmequote akzeptiert werden. Neben verschiedenen NGOs spricht sich auch die Grüne Partei für eine gesonderte Aufnahme von geflüchteten Rohingya aus. Doch da die eher flüchtlingsfreundlichen Grünen nicht über genügend Sitze im Parlament verfügen, können sie derartige politische Entscheidungen kaum beeinflussen. In Australien wechseln sich seit Jahrzehnten die Liberal Party und die Labor Party an der Regierung ab. Im Moment steht Labor für eine sehr ähnliche Flüchtlingspolitik wie die Liberal Party, und auch in der Rhetorik gibt es derzeit kaum Unterschiede – beiden geht es darum, die Ankunft von Bootsflüchtlingen in Australien zu verhindern. Dafür werden weder Kosten noch Mühen gescheut.