Die Bundesregierung plant eine weiteres Asylpaket

Lektionen in Asylkritik

Die Abwehr von Flüchtlingen hört nicht an den Außengrenzen der EU auf. Das weiß auch die Bundesregierung. Die nächste Einschränkung des Asylrechts ist bereits vorgesehen.

Volker Beck gab vergangene Woche jegliche diplomatische Zurückhaltung auf. »Kein Funken Menschenrechtsbewusstsein« sei bei Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) noch zu erwarten, polterte der innenpolitische Sprecher der Grünen. Anlass für die Kritik war eine geplante Regelung im Entwurf des Innenministeriums für das zweite Asylpaket, der vergangene Woche bekannt wurde. Dem Dokument zufolge soll unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen für mindestens zwei Jahre der Familiennachzug verwehrt werden. Wie die ARD berichtet, wurde dieser Passus zwar zurückgenommen. Aber auch die anderen Punkte des neuen »Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren« sind ein weiterer Angriff auf die Rechte von Geflüchteten.
Wenn es nach dem Willen des Innenministeriums geht, soll noch vor der Weihnachtspause die dritte Verschärfung des Asyl- und Aufenthalts­gesetzes im laufenden Jahr beschlossen werden. Der Entwurf sieht die Einrichtung »besonderer Aufnahmeeinrichtungen« für »bestimmte Gruppen von Asylbewerbern« vor, also Zwischenunterkünfte für diejenigen, die keine großen Aussichten auf einen Asylstatus haben. Dort würden nicht nur Menschen aus sogenannten sicheren Drittstaaten landen, sondern ebenso Geflüchtete, die falsche, widersprüchliche oder »offensichtlich unwahrscheinliche« Angaben gemacht haben, »unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist« sind oder ihren Pass beseitigt haben. Als Beweis hierfür würde ausreichen, wenn »die Umstände diese Annahme rechtfertigen«.

In den neuen Einrichtungen soll das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dann Außenstellen betreiben, um das »beschleunigte Asylverfahren« für die Unerwünschten innerhalb von drei Wochen – inklusive Einspruchsfrist und Gerichtsverfahren – zum Abschluss zu bringen. Auch schwere Erkrankungen sollen keinen Hinderungsgrund mehr für Abschiebungen darstellen, es sei denn, es besteht konkrete Lebensgefahr. Ist im Herkunftsland jedoch eine »ausreichende Versorgung« gewährleistet, dann ist auch die Lebensgefahr kein Hinderungsgrund. Die Anforderungen für eine ausreichende medizinische Versorgung werden in dem Gesetzentwurf nicht allzu hoch angesetzt: Die Versorgung muss nur in Teilen des Landes gegeben sein und explizit nicht europäischen Standards entsprechen. Die abschließende medizinische Beurteilung der »Reisefähigkeit« sollen wiederum nur noch eigens vom Bundesinnenministerium ernannte Ärzte durchführen können.
Der Familiennachzug soll eingeschränkt werden. Subsidiär Schutzberechtigte, also vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge, die nur temporären Anspruch auf Schutz haben – wozu nach Ansicht mancher Politiker bald auch syrische Flüchtlinge zählen sollen –, sollen erst nach zweijähriger Wartefrist den Antrag auf Familienzusammenführung stellen dürfen. Dahinter steht wohl die Hoffnung, dass die Geflüchteten bis dahin in ihr zerbombtes Land zurückgekehrt sind oder niemand mehr übrig ist, den sie nachholen könnten. Um die »Anreize« noch weiter zu verringern, waren die Beamten des Innenministeriums durchaus kreativ. So sollen Asylsuchende zukünftig ­einen »solidarischen Beitrag« für ihre Integration leisten und sich von ihrem Lebensunterhalt an den Kosten der Sprach- und Integrationskurse beteiligen. Ein Verstoß gegen die Residenzpflicht soll zukünftig als stillschweigende Rücknahme des Asylantrags gewertet werden.
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, sprach angesichts des Gesetzentwurfs von einem »Anti-Asylgesetz«, Pro Asyl bezeichnete ihn als »Frontalangriff auf das individuelle Asylrecht« und »Aushebelung des Rechtsstaates«. In dem Tempo, das die Bundesregierung bei der weiteren Demontage des ohnehin stark eingeschränkten Asylrechts derzeit an den Tag legt, können Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsgruppen mit ihrer Kritik aber kaum noch mithalten. Fast schon vergessen ist die neue Bleiberechtsregelung, die der Bundestag bereits im Juli, also noch vor dem enormen Anstieg der Flüchtlingszahlen, durchgesetzt hatte. Das Gesetz, das Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung als »das Schärfste und das Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit der Änderung des Asylgrundrechts vor 21 Jahren eingefallen ist«, bezeichnete, beinhaltet unter anderem eine enorme Ausweitung der Haftgründe für Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Vor ­einem Monat wurden mit dem ersten Asylpaket weitere repressive Maßnahmen eingeführt: Die Liste der vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten wurde um den Kosovo, Albanien und Monte­negro ergänzt, eine Kürzung der Sozialleistungen durchgesetzt sowie das Verbot erlassen, Illegalisierte über ihre bevorstehende Abschiebung zu informieren.
Während die Klagen gegen dieses erste Paket noch in der Vorbereitung sind, soll das nächste bereits beschlossen werden. Offenbar sträubt sich der Koalitionspartner SPD derzeit noch und fordert zudem die Übernahme von EU-Richtlinien, die tatsächlich dem Schutz von Geflüchteten dienen sollen. Doch wie das erste Asylpaket eindrucksvoll gezeigt hat, sind die Bedenken in der SPD leicht zu zerstreuen.
Nicht nur das Asylrecht wird gerade kontinuierlich eingeschränkt, auch die Sprache ändert sich. Anfangs betonten die politisch Verantwort­lichen die kleinen Verbesserungen für eine Minderheit der Geflüchteten, in deren Schatten dann für den Großteil Verschlechterungen beschlossen wurden. Die Einschränkung des Bleiberechts im August präsentierte Innenminister de Maizière damals mit der Botschaft: »Ihr gehört zu uns!« Mittlerweile wird die Politik der harten Hand in den Vordergrund gestellt. Die Parole »Wir schaffen das« bezieht sich nicht mehr auf die Aufnahme und Versorgung der Schutzbedürftigen, sondern darauf, sich nicht mehr von moralischen Bedenken und humanistischen Werten davon abhalten zu lassen, immer repressivere Maßnahmen einzuführen.
»CSU setzt sich durch: Schärfstes Asylrecht aller Zeiten in Deutschland« verkündete die Partei stolz nach der Verschärfung im Oktober. Auch wenn die CSU ihren Rassismus noch nie sonderlich versteckt hat: Die unverhohlene Freude darüber, den Flüchtlingen das Leben noch schwerer gemacht zu haben und sie und ihre Familien mit der eigenen Politik in ihrer Existenz zu bedrohen, hat es in diesem Maße bisher nicht gegeben.
Dies wiederum kommt den »Asylkritikern« anderer Parteien zugute, die sich im Vergleich zu den radikal antihumanistischen Vorschlägen aus den Reihen der CDU und CSU immer noch als das menschliche Antlitz der Asylpolitik präsentieren können. Das ist schön zu beobachten am baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), der problemlos im Deutschlandfunk vor einem »Rückfall in den Nationalismus« warnen kann, während er im selben Interview die Forderung der CSU nach Obergrenzen befürwortet. Die Ausweitung der Regelung zu den vermeintlich sicheren Drittstaaten war nur durch seine Zustimmung im Bundesrat möglich, aber statt von nächtlichen, unangekündigten Abschiebungen spricht er lieber von notwendigem »Rückführungsmanagement«. Für diese Haltung, die Kretschmann als Mischung aus »Humanismus und Pragmatismus« beschreibt, bekam er am Wochenende auf dem Parteitag der Grünen in Halle viel Applaus. Ebenso für seine Forderung, dass auch Geflüchtete »Leistungsbereitschaft, Verantwortungsbereitschaft und Integrationswillen« zeigen müssten. Auch die Grünen scheinen sich der öffentlichen Meinung anzupassen, die längst nicht mehr nur von dem Slogan refugees welcome bestimmt ist. »Dabei ist klar, dass nicht alle, die in Deutschland Asyl beantragen, auch bleiben können«, so steht es nun in einem Positionspapier der Grünen, das in Halle verabschiedet wurde. Das klingt ein bisschen wie: »Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber … «

Die angespannte gesellschaftliche und politische Situation angesichts der hohen Flüchtlingszahlen – 180 000 kamen im Oktober an – bringt aber auch die außerparlamentarische antirassistische Bewegung, die sich nicht um Wählerstimmen scheren muss, in Schwierigkeiten. Denn während sie gezwungenermaßen damit beschäftigt ist, ehrenamtlich Aufgaben des Staats zu übernehmen, um das Leid abzuschwächen, nutzt dieser die Gunst der Stunde und höhlt das Asylrecht weiter aus. Einerseits schotten sich Deutschland und die EU noch nicht komplett militärisch ab und lassen die Familien nicht an den Außengrenzen Europas erfrieren und verhungern. Zugleich kommen antirassistische Organisationen aber kaum noch hinterher, all die repressiven Entwicklungen im Inneren angemessen mit Kritik und Protesten zu begleiten. Sie finden aktuell kaum noch die Zeit, Abschiebungen zu verhindern, weil jeden Tag Tausende neue Geflüchtete ebenfalls ihrer Solidarität bedürfen. Während es noch ein Grund zur Freude war, dass der antirassistische Slogan refugees welcome zum Allgemeingut geworden war, wurden andernorts bereits hart erkämpfte Verbesserungen rückgängig gemacht. Die sogenannte Flüchtlingskrise wird die antirassistische Bewegung daher zumindest auf der gesetzlichen Ebene um Jahre zurückwerfen. Denn die neuen Gesetze werden auch dann noch Bestand haben, wenn die »Flüchtlingskrise« vorbei ist.