Im BWL-Studium fehlt die Arbeitnehmermitbestimmung

Keine Demokratie fürs Humankapital

In den Lehrplänen der Studiengänge für Betriebswirtschaft taucht die Arbeitnehmermitbestimmung kaum auf. Das zeigt eine im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung erstellte Studie.

Die Biomarktkette Alnatura, der Schnellimbiss Burger King, der Spieleentwickler Goodgame und viele andere – immer wieder sorgen Unternehmen für Schlagzeilen, weil sie etwas gegen Betriebsräte unternehmen. Regelmäßig müssen Arbeitsgerichte Schikanen gegen Arbeitnehmervertreter kassieren. Dahinter steht häufig, aber nicht immer eine bewusste Einschüchterungsstrategie. Viele Manager haben einfach keine Ahnung, was sie dürfen und was die andere Seite alles darf. So werden Beschäftigte indirekt zu Opfern der einseitigen Ausrichtung der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten an den Hochschulen. Denn die bringen dem Führungsnachwuchs in diesen Fragen nichts Vernünftiges bei.
Mitbestimmungsrechte von Beschäftigten spielen in der Ausbildung von Managern so gut wie keine Rolle. Das zeigt eine Studie der Europäischen Akademie der Arbeit im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Birgita Dusse und Martin Allespach haben dafür die Ausbildungsinhalte von 50 Studiengängen an 25 Hochschulen untersucht, darunter die zehn größten deutschen Universitäten. Von den mehr als 2 500 Studiengängen für Volkswirtschaft in Deutschland, an denen 300 000 Studierende eingeschrieben sind, haben fast alle einen betriebswirtschaftlichen Schwerpunkt. Ein erfolgreich abgeschlossenes BWL-Studium gilt als Voraussetzung für einen Eintritt ins Management.
Doch in den meisten Studienplänen tauchen Fragen der demokratischen Mitbestimmung in Unternehmen schlicht nicht auf. Ab und zu werden Gewerkschaften oder Betriebsräte auch explizit als Störfaktor behandelt. Als positive gestalterische Möglichkeit werden Mitbestimmungsrechte hingegen selten wahrgenommen. In der Regel sind die wenigen angebotenen Veranstaltungen im Studium nicht Bestandteil des Pflichtprogramms. Haben die angehenden Führungskräfte keine Lust auf diese Themen, kommen sie also überhaupt nicht damit in Berührung.
Dass das künftige Führungspersonal sich mit Fragen der Arbeitnehmerrechte nicht befassen muss, ist durchaus bemerkenswert. Denn für das deutsche Sozialpartnerschaftsmodell ist die Beteiligung von Gewerkschaften und Betriebsräten zentral – zumindest theoretisch. Immerhin sind die Rechte der Arbeitnehmervertreter im Betriebsverfassungsgesetz geregelt. Die Realität ist allerdings ernüchternd: Bei 91 Prozent der Firmen, bei denen von ihrer Größe her ein Betriebsrat existieren könnte, gibt es keinen. Und der Einfluss der Gewerkschaften nimmt gemessen an der Reichweite der Tarifverträge ab: Mitte der neunziger Jahre hatten noch 70 Prozent der Beschäftigten im Westen und 56 im Osten einen nach Tarif bezahlten Job, 2013 nur noch 52 Prozent in den alten und 35 Prozent in den neuen Bundesländern.
Wenn überhaupt, werden die Mitwirkungsrechte meist im Zusammenhang mit personalwirtschaftlichen Themen behandelt. Das Problem sei das Grundverständnis der Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Wirtschaftswissenschaften, so die Autoren der Studie. Das gilt etwa beim problematischen »Human Resource Management« (HRM), einem Teilbereich der Betriebswirtschaft. Die falsche Grundidee lautet: Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben die gleichen Interessen. Beschäftigte als eigene Gruppe mit eigenen Interessen haben in diesem Modell keinen Platz, kollektive Akteure wie Gewerkschaften oder Betriebsräte ebenso wenig. »Der Schwerpunkt verschiebt sich von Beziehungen zwischen Management und Gewerkschaften hin zu direkten, individuelleren Beziehungen zwischen Management und abhängig Beschäftigten«, stellen Dusse und Allespach fest. Beschäftigte sind für die lehrenden Wirtschaftswissenschaftler nicht mehr als eine Variable für Profit und eben nicht Gesprächspartner für die Manager auf Augenhöhe. Sie sind »Humankapital« und als Teil des Marktes stehen sie in Konkurrenz zueinander. »Der aus dem US-amerikanischen Kontext stammende HRM-Ansatz orientiert sich einseitig zugunsten der Interessen der Arbeitgeber und des Managements«, schreiben die Autoren. »In den USA zielt er darauf ab, Gewerkschaftsaktivitäten zu unterminieren.«
An Nachwuchs mangelt es der Managerzunft nicht. Betriebswirtschaftslehre ist vor Maschinenbau und Jura das beliebteste Studienfach – auch weil es etliche belegen, die später gerne Boss werden wollen. An den Universitäten kommen oft die rechten, neoliberalen oder sich unpolitisch gebenden Studierendenvertreter aus diesem Bereich, der bei Linken wenig beliebt ist – was dazu führt, dass es in den Fachschaften wenige gibt, die fortschrittliche Studieninhalte einfordern. Dort tummeln sich nicht gerade die Sympathischsten: 57 Prozent der BWL-Studierenden geben als Kennzeichen ihres Faches die Konkurrenz untereinander an, in anderen Studiengängen sind es nur ein Drittel. Befragungen zeigen, dass BWL-Studierende überdurchschnittlich oft eine »distanzierte« Grundhaltung zur Demokratie aufweisen: Studien zufolge gilt das immerhin für etwa 19 bis 26 Prozent der angehenden Manager. Sie werden in dieser fatalen Haltung an der Hochschule bestärkt. Studiengänge, die demokratischen Prinzipien im Betrieb nicht den angemessenen Raum geben, fördern ein Denken, das demokratischem Verhalten entgegensteht, kritisieren die Autoren. »Mitbestimmung als Element von Wirtschaftsdemokratie sollte vor dem Denken nach Kosten-Nutzen-Kalkülen stehen und diesen nicht untergeordnet werden«, schreiben sie.
Genau umgekehrt ist es in den klassischen Wirtschaftswissenschaften. Der Siegeszug des Neoliberalismus hat auch in vielen Köpfen Verwüstung angerichtet. Im Zuge der Finanzkrise sind immerhin Zweifel aufgekommen, ob Sozialabbau, Deregulierung der Märkte und Privatisierung Allheilmittel sind. Der fast schon religiöse Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes wird zumindest punktuell in Frage gestellt. »Wir haben heute eine sehr grundlegende Debatte über die Reform der ökonomischen Lehre und des ökonomischen Denkens«, sagt Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IKM) der Hans-Böckler-Stiftung. Aber bis sich das an den Universitäten niederschlägt, wird es wohl noch dauern, denn das Sagen hat noch das alte Kartell der neoliberalen Denker. »Die alte Generation von Ökonomen habe ich abgeschrieben, von denen erwarte ich keine Veränderungen«, so Horn.
Solange der alte Ökonomenglaube dominiert, sind auch Initiativen wie »Wirtschaft als Schulfach« mit großer Vorsicht zu genießen. Aus gutem Grund steht dies seit langem auf dem Wunschzettel von Wirtschaftsverbänden. Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg will ihnen dieses Geschenk machen und verspricht, noch in diesem Jahr als erstes Bundesland Wirtschaft als Pflichtfach einzuführen. Kritiker wie Dirk Lange, der Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für politische Bildung, fürchten nach Sichtung des Bildungsplans eine neoliberale Offensive in den Schulen im Südwesten – samt entsprechendem Kniefall vor dem Unternehmerlager. »Die Schule und insbesondere die politische Bildung dürfen nicht zur Arena von Lobbyisten werden«, warnt Lange. Nach seiner Auffassung haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass die bisherigen wirtschaftswissenschaftlichen Erklärungsmodelle an ihre Grenzen stoßen – und damit auch der im Bildungswesen vorherrschende neoliberale Zeitgeist.