über die verdeckte Ermittlerin Iris P. in der Hamburger linken Szene

Verdeckt im Schlauchboot

Die Hamburger Polizeiführung hat eingestanden, dass der Einsatz der Verdeckten Ermittlerin Iris P. in dem freien Radiosender FSK gegen das Presserecht verstoßen hat. Über die Einsätze von P.s Kolleginnen Maria B. und Astrid O. werden weitere Einzelheiten bekannt.

Im Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft ist es inzwischen schon fast Routine, sich mit enttarnten Verdeckten Ermittlerinnen (VE) der Polizei zu befassen. In dem Stadtstaat sind in 18 Monaten drei VE aufgeflogen. Am 23. Juni war der Einsatz der im Mai enttarnten Astrid O. Thema im Innenausschuss. Unmittelbar zuvor hatte der Senat in seinen Antworten auf Anfragen der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion »Die Linke«, Christiane Schneider, zugegeben, dass beim Einsatz von Astrid O. gegen das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst verstoßen worden ist – Berichte der Polizistin wurden dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) zur Verfügung gestellt. Der Senat räumte außerdem ein: »Darüber hinaus gab es nach derzeitigem Informationsstand drei Treffen der Beamtin mit Vertretern des LfV Hamburg zu einem allgemeinen Informationsaustausch über Entwicklungen im Bereich Linksextremismus.« Schneider kritisierte das: »Diese quasi geheimdienstliche Tätigkeit, zunächst in einem selbstverwalteten Jugendzentrum, ist meines Erachtens rechtswidrig, durch das Gesetz nicht gedeckt.«
Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar protestierte bereits im Januar 2015 im Innenausschuss gegen die »unzulässige geheimdienstliche Tätigkeit« des LKA, nachdem Mitarbeiter der Datenschutzbehörde 78 Berichte von Iris P. in den Akten des LfV entdeckt hatten. Der parteilose Innenstaatsrat Bernd Krösser versuchte abzuwiegeln, indem er behauptete, die Berichte von Iris P. seien vor der Weitergabe an das LfV vollkommen anonymisiert worden. Dem widersprach die Datenschützerin Oksan Karakuş: Es seien Rückschlüsse auf konkrete Wohnungsadressen und Personen möglich.
Welche Konsequenzen die geheimdienstliche Betätigung des LKA für betroffene Personen haben kann, machte Ende Juni die Fotojournalistin Marily Stroux öffentlich. Vor drei Jahren stellte die gebürtige Griechin beim LfV ein Auskunftsersuchen bezüglich der über sie gespeicherten Daten, als sie überlegte, sich einbürgern zu lassen. »Die Antwort hat drei Jahre gedauert, und als jetzt im März die Antwort kam, war ich selber überrascht«, sagte Marily Stroux der Jungle World. Seit 30 Jahren wird sie demzufolge vom Inlandsgeheimdienst beobachtet, eingestuft als »bedeutende Person innerhalb der linksextremistischen Szene«. 31 Observationsanlässe sind in der Antwort aufgelistet. Die Ausforschung begann 1986 mit Stroux’ Engagement im »Ini­tiativkreis für den Erhalt der Hafenstraße«. Die Fotografin gehörte damals zu einem halben Dutzend Journalisten, denen die unter enormem Kriminalisierungsdruck stehenden Besetzer Zugang zu den Häusern erlaubten. Für ihre fotodokumentarischen Langzeitstudien über Geflüchtete, die in den neun­ziger Jahren auf Wohnschiffen in Altona zusammengepfercht waren, und über die Leute aus der Hafenstraße wurde sie mit mehreren Auszeichnungen gewürdigt.
Die aufgeführten 31 Anstöße zur ­Bespitzelung seien unterschiedlichste Termine gewesen, sagte Stroux der Jungle World: »Das fängt bei der Hafenstraße an und geht über Hausbesetzungen wie den ›Lama-Häusern‹ im Karo’viertel und eine Kundgebung ­gegen Miethaie auf St. Pauli bis zu antirassistischen Aktivititäten.« Einer der 31 Punkte des LfV war kein Fototermin, so Stroux, sondern dass sie gegen das Akkreditierungsverbot beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 geklagt und gewonnen hatte. »Dabei stellte sich heraus, dass sich der Verfassungsschutz eingemischt hatte und bestimmen wollte, wer berichtet und wer nicht.« Dem LfV zufolge ist Stroux unter anderem deshalb »linksextrem«, weil sie ihre Akkreditierung eingeklagt hat.
Eine der drei enttarnten ehemaligen VE, Maria B., war auf antirassistische Aktivitäten und damit auf Stroux’ Umfeld angesetzt. Dass das LfV Informa­tionen von Maria B. über sie erhalten hat, hätte Stroux nicht erwartet. »Aber als ich die Auskünfte las, stellte ich fest, dass alles, was nach dem G8-Gipfel 2007 war, Sachen waren, bei denen die Beamtin Maria B. dabei war«, so Stroux, etwa das No-Border-Camp auf Lesbos 2009 oder die Proteste gegen die Innenministerkonferenz 2010 in Hamburg. Die Bilder der Fotografin belegten, dass B. »dabei war und aktiv teilgenommen hat, etwa an einer Blockade im Hafen von Mytilini, um gegen Frontex zu protestieren«. Und zwar mittendrin, im Schlauchboot.
Die Datensammlung des LfV zeige, so Stroux, »wie der Verfassungsschutz seine Konstruktionen aufbaut. Da wird mehrfach als Beweis, dass ich linksextrem sein soll, herangezogen, dass bei den Gruppen, mit denen ich zu tun habe, Linksextreme dabei sein sollen.« Für eine Behauptung werde auf eine andere verwiesen.
Die Polizeiführung versuchte nach jeder Enttarnung aufs Neue, die Einsätze als vollkommen rechtmäßig darzustellen. Das ging so weit, dass Polizeijustitiar Jens Stammer Ende März in einer 31seitigen Stellungnahme an das Verwaltungsgericht, die der Jungle World vorliegt, alles wieder abstritt, was die Innenbehörde in den parlamentarischen Gremien über polizeiliches Fehlverhalten von Iris P. eingestanden hatte. So habe der Generalstaatsanwalt die redaktionelle Mitarbeit und das Betreten des Senders FSK wegen ihres Status als verdeckte Ermittlerin für zulässig gehalten. Stammer behauptet, das FSK sei nicht als geschütztes Medium, sondern als »Mitmachradio« anzusehen, »dessen Sendegruppen gerade nicht auf Abschottung bedacht waren« und »prinzipiell für jeden zugänglich, also im besten Sinnes des Wortes öffentlich« seien.
Anlass für Stammers Stellungnahme war die Klage des Senders vor dem Gericht auf Feststellung der Verletzung der Pressefreiheit durch den Einsatz von Iris P. Doch Anfang vergangener Woche vollzog das Justitiariat der Hamburger Polizei eine Kehrtwende. In einem neuen Schreiben hieß es: »Nach nochmaliger Überprüfung und Bewertung der Rechtslage ist einzuräumen, dass die verdeckte Mitarbeit der Beamtin unter der Legende ›Iris Schneider‹ in den Jahren 2003 bis 2006 und das in diesem Zusammenhang erfolgte Betreten von Räumlichkeiten« des FSK rechtswidrig gewesen sei.
Werner Pomrehn, ein langjähriger Redakteur des FSK, stellte gegenüber der Jungle World fest: »Ausschlaggebend für die ungewöhnliche 180-Grad-Wende dürfte weniger eine Erkenntnis über die offensichtlich rechtswidrige Grundhaltung aus der ersten Stellungnahme gewesen sein als die Befürchtung, vor Gericht Details der internen Ermittlungen preisgeben zu müssen.« Das Verwaltungsgericht hatte rechtliche Zweifel an der ersten Einlassung des Polizeijustitiars und gefordert, die Akten des LKA zu Iris P. vorzulegen. Die Polizei entgeht also mit ihrer Anerkennung der Klage, die das FSK am 4. November eingereicht hatte, einer möglicherweise peinlichen Beweisaufnahme oder mündlichen Verhandlung. Auch eine Vernehmung der Polizistin selbst hätte verfänglich werden können – da das interne Disziplinarverfahren gegen sie eingestellt worden ist, hätte sie nicht vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen können. »Das Ziel, im Wege der Klage weiter zur Sachaufklärung beizutragen, werden wir nun wohl nicht erreichen«, sagte Martin Trautvetter vom FSK-Vorstand. »Dennoch sind wir natürlich froh über diese Entwicklung. Für uns war und ist es wichtig, auf einer gerichtlichen Feststellung des ­Eingriffs in die Pressefreiheit zu bestehen.«