Gespräch mit Li Qiang über Streiks und Arbeitskämpfe in China

»Die Streiks sind selbstorganisiert«

Erst kürzlich hat China die Bedeutung von Arbeitnehmerrechten entdeckt. Eine Gewerkschaftsreform sieht vor, den Einfluss des staatlichen chinesischen Gewerkschaftsbundes in den Betrieben zu stärken. Bisher wurden Streiks und direkte Aktionen mehrheitlich direkt von den Beschäftigten organisiert. Das soll sich nun ändern. Li Qiang ist Leiter und Gründer von China Labor Watch. Mit der »Jungle World« sprach er über Diskriminierung am Arbeitsplatz, wilde Streiks und steigende Löhne.
Interview Von

Was macht China Labor Watch?
Wir sind eine Nichtregierungsorganisation. Unser Ziel ist es, für mehr Trans­parenz in den Fabriken und in den Lieferketten zu sorgen und damit die ­Arbeitsbedingungen in China zu verbessern. Wir klären auf, beraten und bieten auch Training für chinesische NGOs an, um Arbeitnehmerrechte zu stärken.

Was sind Ihre größten Probleme beim Organizing?
Es gibt zahlreiche Probleme. Die Arbeiterinnen und Arbeiter wissen oft sehr wenig über ihre Rechte. Es gibt in den Fabriken keine funktionierenden Gewerkschaften. Obwohl viele Menschen Mitglied einer Gewerkschaft sind, ist der Organisationsgrad in China sehr niedrig. Seit Januar 2017 existiert ein neues Gesetz, das unsere Möglichkeiten, als ausländische NGO in China zu ­arbeiten, stark einschränkt. Ein weiteres Problem ist die Kommunikation mit den Firmen. Gerade die multinationalen Unternehmen, die in China produzieren lassen, sind häufig nicht willens, über Arbeitsbedingugen zu reden.

Trotzdem gab es in der Vergangenheit immer wieder große Streiks.
Die Auslöser der Streiks waren häufig Entlassungen oder Schließungen von Fabriken. Diese Streiks sind aber nicht von Gewerkschaften, sondern von den Beschäftigten selbst organisiert worden. Eine Fabrik, die für Adidas und Nike produziert, wurde auf diese Weise erst kürzlich bestreikt. 40 000 Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligten sich daran. Schon im März 2014 wurde dort gestreikt. Die Firmenleitung, Adidas und Nike sind nicht auf unsere Gesprächs­angebote eingegangen. Trotzdem gab es ein großes Medienecho, viele chinesische NGOs haben daraufhin der Belegschaft geholfen und eine Gewerkschaftsreform wurde auf den Weg gebracht.

Hat diese Gewerkschaftsreform Ihrer Arbeit geholfen?
Es hatte Auswirkungen. Denn gerade die multinationalen Unternehmen werden dadurch nun unter Druck gesetzt, Gewerkschaften zu akzeptieren. Wir beurteilen die Reform positiv. Eine direkten Einfluss auf unsere Arbeit hat das jedoch nicht.

Was sind die häufigsten Arbeitsrechtsverletzungen, mit denen Sie zu tun haben?
Die Abwesentheit von Gewerkschaften ist generell ein Problem. Konkret haben wir es häufig mit Unterbezahlung oder Überstunden zu tun. Oft fehlt es an den eigentlich vorgeschriebenen Versicherungen. Auch die gesundheitlichen Risiken sind ein Problem, der Kontakt mit Giften und der fehlende Arbeitsschutz. Zwangsarbeit ist ebenfalls keine Seltenheit in China. Den Arbeitern werden ihre Dokumente in der Fabrik abgenommen. In China benötigt man diese, um beispielsweise ein Zugticket zu kaufen. Ohne Papiere sind die Arbeiter praktisch gezwungen, weiter in der Fabrik zu arbeiten.

Welche Gruppen sind besonders betroffen?
Frauen werden besonders benachteiligt. Zum Besispiel wenn sie schwanger sind. Sie werden dann gezwungen, weiterhin gefährliche Arbeiten zu verrichten. Aber auch ethnische Minderheiten werden benachteiligt. In den Stellenausschreibungen wird beispielsweise oft erwähnt, dass keine uigurischen Arbeiter eingestellt werden. Es gibt auch Diskriminierung gegen Menschen aus bestimmten Gegenden des Landes. Die Stereotype sind da sehr stark.

Trägt die wirtschaftliche Situation des Landes zu einer Verbesserung der Arbeitssituation bei?
In den vergangen fünf Jahren sind die chinesischen Löhne Jahr für Jahr gestiegen. Im letzten Jahr stagnierten sie und aktuell geht es wieder bergauf. Doch auch die Lebenshaltungskosten erhöhen sich rasch, so dass die Reallöhne nicht wirklich steigen. Gleichzeitig entstehen weniger Arbeitsplätze, es ist schwieriger, eine Stelle zu finden. Die Arbeitslosenrate steigt.