Die Hindunationalisten sind in Indien auf dem Vormarsch

Frieden nicht mit Yogi

Im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh lässt der neue Regierungschef, ein radikaler Hindunationalist, Schlachthäuser für Rindfleisch für Muslime schließen und die Polizei in »Anti-Romeo-Operationen« auf den Straßen patrouillieren. Auch andernorts in Indien sind die Hindunationalisten der BJP erfolgreich, viele Wähler versprechen sich von ihnen einen ökonomischen Aufstieg.

Es war ein überwältigendes Ergebnis für die regierende hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP). Die Partei des indischen Premierministers Narendra Modi errang bei den Regionalwahlen in Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten indischen Bundestaat, die vom 11. Februar bis 8. März in sieben Phasen stattfanden, 325 der 403 Sitze im Regionalparlament. Offenbar hatte nichts die BJP aufhalten können. Selbst Muslime stimmten für die Hindunationalisten, obwohl diese keinen Hehl aus ihrer Meinung machen, Indien gehöre einzig den Hindus. Zudem gilt die BJP als Partner der rechtsextremen paramilitärischen Gruppe Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS). Auch das Chaos bei dem schlecht geplanten Austausch großer Geldscheine im November 2016 konnte Modis Partei nicht schaden. Um gegen Korruption und Schattenwirtschaft vorzugehen, waren über Nacht alle Gelscheine im Wert von über 100 Rupien (1,44 Euro) für ungültig erklärt worden. Bis heute mangelt es an Bargeld und das Schwarzgeld wurde nicht, wie von Modi versprochen, zurückgeholt, sondern lagert weiter auf Schweizer Bankkonten oder ist in heimischen Immobilien angelegt.

Dennoch überraschte der Sieg der BJP kaum, da immer mehr Inderinnen und Inder einfach genug von Modis Konkurrenz haben, den korrupten Familienparteien des Landes. So wurde die einzige ernsthafte Konkurrenz der BJP, die Kongresspartei (Indian National Congress, INC) des Gandhi-Clans, nun in Uttar Pradesh abgestraft: Sie hatte bisher die absolute Mehrheit, verlor nun aber 184 Sitze und kommt nur noch auf 54 Sitze. Ihr Spitzenkandidat Rahul Gandhi, der den Posten von seiner Mutter Sonia Gandhi geerbt hat, wird selbst von vielen Mitgliedern des INC, der immerhin 20 Millionen Mitglieder zählt, nicht mehr ernst genommen. »Dauernd erzählt er etwas von einem Neuanfang und wie wichtig die Parteibasis ist und dann vergibt er die Wahltickets doch wieder an Angehörige einflussreicher Familien«, ärgerte sich ein Wahlhelfer der Kongresspartei in Gorakhpur vor der Wahl.

Am 19. März wurde der radikale hinduistische Priester Yogi Adityanath, mit bürgerlichem Namen Ajay Singh Bisht, zum Regierungschef des 200 Millionen Einwohner zählenden Uttar Pradesh ernannt. Der 44jährige saß bereits wegen Aufwiegelung zu Gewalttaten im Gefängnis und hatte öffentlich erklärt, dass Hindus und Muslime nicht zusammenleben könnten und dass man für jeden Hindu, der durch einen Muslim zu Tode kommt, zehn Muslime töten werde. Dass Yogi Adityanaths Organisation auch gemeinnützige Schulen und Krankenhäuser unterhält, steht nicht im Widerspruch zu seinen Gewaltaufrufen; auch in Pakistan unterhalten radikale religiöse Organisationen wie Jamaat-e-Islami soziale Einrichtungen. Die von Yogi Adityanath gegründete radikale hinduistische Jugendorganisation Hindu Yuva Vahini tritt vor allem in Erscheinung, wenn es um Gewalttaten und Einschüchterung von Andersdenkenden geht. Als erste Amtshandlung dekretierte Yogi Adityanath die Schließung aller »unhygienischen Schlachthäuser« – was immerhin dafür spricht, dass er gelernt hat, sich moderat auszudrücken. In Wirklichkeit geht es um die Schikanierung von Muslimen, denn nichts anderes als die Schließung der Schlachthäuser, in denen die den Hindus heiligen Kühe für die 40 Millionen Muslime in Uttar Pradesh geschlachtet werden, erwarten Adityanaths Anhänger von ihm.

Des Weiteren gibt es auf den Straßen in Uttar Pradesh nun »Anti-Romeo-Einheiten« der Polizei, die Männer daran hindern sollen, in der Nähe von Frauen herumzulungern und sie sexuell zu belästigen. Manche aufgegriffene Männer sollen sogar von der Polizei verprügelt worden sein. Beeinträchtigt werden jedoch auch unverheiratete, junge heterosexuelle Paare sowie befreundete junge Männer und Frauen, die sich zusammen in der Öffentlichkeit zeigen. Kritikerinnen und Kritiker werfen der Polizei Talibanmethoden vor und dass die Bewegungsfreiheit von Frauen eher eingeschränkt als geschützt werde. Zudem beschönige der Begriff »Romeo« sexuelle Belästigung. Ähnliche Einheiten breiten sich auch in anderen Bundesstaaten aus.

Immer mehr Inderinnen und Inder haben genug von Modis Konkurrenz, den korrupten Familienparteien des Landes.

Mittlerweile fühlen sich die Kritiker Modis bestätigt, die in ihm nur einen hinduistischen Nationalisten sehen, der eine Gefahr für alle religiösen Minderheiten ist. Aber um sich vom kleinen Teeverkäufer zum Großunternehmer hochzuarbeiten, der zwölf Jahre als Ministerpräsident den Bundestaat Gujarat regiert hat und dann auch noch das wichtigste Amt eines Landes mit 1,25 Milliarden Einwohnern erringt, die knapp 900 verschiedene Sprachen und Dialekte sprechen, braucht es mehr als engstirnigen Fanatismus. Mit diesem könnte man höchstens 15 Prozent der Stimmen gewinnen – genau für diesen Anteil sind Personen wie Yogi Adityanath da. Die restlichen Stimmen für eine absolute Mehrheit hat Modi mit seinem Wohlstandsversprechen für alle gewonnen. »Ich habe nicht für Yogi gestimmt, sondern für Modi«, sagt ein 60jähriger Teeverkäufer in Gorakhpur nach der Ernennung Adityanaths zum Regierungschef. »Yogi ist schlau, aber er bleibt ein Fanatiker. Modi ist schlau und er ist kein Fanatiker. Ich glaube ihm, dass er das Leben aller Inder verbessern möchte.«

Immer mehr Inderinnen und Inder unterstützen eine Politik, die Wirtschaftswachstum um jeden Preis anstrebt. Indiens Großstädte weisen Grade der Luftverschmutzung auf, die selbst Peking übertreffen. Mehreren Studien zufolge sind drei von vier Polizisten nach vierjähriger Dienstzeit wegen des Lärmpegels in Städten wie Pune taub. Nach China ist Indien das Land mit der am schnellsten wachsenden Einkommensungleichheit, selbst der Internationale Währungsfonds räumt ein, dass die Erträge des schnellen Wirtschaftswachstums ungerecht verteilt werden.

Die einzige ernstzunehmende Kritikerin Modis ist Mamata Banerjee, seit 2011 Regierungschefin von Westbengalen für die von ihr gegründete Partei All India Trinamool Congress (AITC). Wie Modi kommt sie aus eher armen Verhältnissen und hat sich als clevere Einzelkämpferin mit einem Wohlstandsversprechen für alle an die politische Spitze gearbeitet. Wie bei Modi ging das nur in Zusammenarbeit mit den wirtschaftlich Mächtigen. Doch Mamata Banerjee setzt nicht auf die religiöse Karte. Derzeit sind allerdings mehrere ihrer Minister in einen großen Korruptionsskandal verwickelt, bei dem die Bundespolizeibehörde CBI die Ermittlungen übernommen hat. Als Geste der Kooperationsbereitschaft hat der einzige Abgeordnete des AITC bei den Regionalwahlen im Bundesstaat Manipur Anfang März für den Kandidaten des BJP gestimmt. Doch Modi ging nicht darauf ein und traf sich vor kurzem mit den Führern der separatistischen Partei Gorkha Janmukti Morcha (GJM), die im Gebiet um das bengalische Darjeeling einen eigenen Staat namens Gorkhaland fordern. Mamata Banerjee hatte es geschafft, die Morcha-Bewegung zu schwächen, indem sie den Bergbewohnern mehr Eigenständigkeit innerhalb des Bundesstaates Westbengalen zugestand, doch Modi hielt dagegen, indem er den Separatisten versprach, sie beim Kampf um einen eigenen Bundesstaat zu unterstützen. Ähnlich rabiat ging er in Goa vor: Obwohl seine Partei bei den Regionalwahlen in diesem Kleinstaat Anfang Februar acht Sitze an die Kongresspartei verlor, stellt die BJP nun den Regierungschef. Unverhohlen wurden die Stimmen der kleineren Parteien gekauft, die zum Teil mit einem gegen die BJP gerichteten Programm in die Wahlen gegangen waren.

Auf die Frage, was passieren wird, wenn religiöse Fanatiker wie Yogi Adityanath doch die Oberhand gewinnen, antwortet der BJP wählende Teeverkäufer in Gorakhpur: »In zwei Jahren sind die nächsten Parlamentswahlen.«