Body Count flirten mit Marx

Vorstadtghetto grüßt Trailerpark

Auf »Bloodlust«, dem jüngsten Album der Band Body Count, erklärt Rapper Ice-T Brutalität zur menschlichen Konstante.
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Ice-T ist nicht nur Rapper, sondern auch Schauspieler. Er könne eigentlich alles spielen, witzeln Filmfans: einen toughen Gangster, einen toughen Polizisten, einen toughen Kindergärtner – einfach alles! Seit 1991 gibt der mäßig wandelbare Charakterkopf von Zeit zu Zeit auch den toughen Metal-Sänger mit seiner Band Body Count. Ein Rapper mit einer Metal-Band, Anfang der Neunziger war das noch eine kleine Sensation. Die einen jubelten und sprachen von der ersten gelungenen Fusion aus HipHop und Heavy Metal, die anderen hielten diese Musik für nichts weiter als Rumpelpunk. 
Tatsächlich war der Sound der ersten, in Eigenregie produzierten Platten noch sehr roh. Trotzdem trat die Band einen Trend los, von dem sie selbst allerdings herzlich wenig profitierten konnte. Nicht so funky wie Rage Against the Machine und nicht so poppig wie Limp Bizkit und Konsorten blieb der ganz große Erfolg aus. Der Rap-Metal-Hype der späten Neunziger fand ohne größere Beachtung seiner Gründerväter statt. Im ersten Jahr der Präsidentschaft Donald Trumps melden sich Body Count mit einem imposanten Album zurück. »Bloodlust« bietet alles: Horror-Metal, Hardcore-Grooves und eine Anleitung zum Widerstand.
Mit Century Media hat die Band zum ersten Mal ein großes Metal-­Label im Rücken. Dank Produzent Will Putney, der Gitarrist der Deathcore-Band Fit for an Autopsy, klingt die Platte so, wie zeitgemäßer Hardcore klingen muss. Schon die erste Single »No Lives Matter« macht klar: Die Tage des Rumgerumpels sind vorbei. Klare Gitarrensounds, knackige Drums und über allem thront das wütende Gebrüll von Ice-T. Und der hat so einiges zu sagen. Seit dem Wahlsieg Donald Trumps ist das progres­sive Amerika tief gespalten. Trumps Erfolg sei eine Erinnerung an die »unglaubliche, unbezwingbare Kraft des Rassismus«, titelte das links­liberale Vox Media wenige Tage nach der Wahl. Andere, wie der Politikwissenschaftler Mark Blyth, wiesen darauf hin, dass auch viele ehemalige Wähler Obamas Trump ihre Stimme gegeben haben. Schuld daran seien seiner Meinung nach vor allem ökonomische Abstiegsängste. Alles kompliziert also, Ice-T fasst es übersicht­licher. »Listen to me, this shit is deeper than racism«, brüllt er über die ­Gitarrenwand von Ernie C. »Black skin has always stood for poor«, behauptet er und warnt: »Don’t fall for the bait and switch/Racism is real, but not it/They fuck whoever can’t fight back (…) When it comes to the poor/No lives matter!«
Um es mit Bill Clinton zu sagen: »It’s the economy, stupid!« Der marxistisch interessierte Hörer vernimmt hier das Hohelied der Haupt- und Nebenwidersprüche. Ja, es gibt Rassismus – der sich mit der Beseitigung materieller Ungleichheiten ­sogleich verflüchtigen würde. Wie man zu solchen Erkenntnissen gelangt? »Just read your bullshit history books«, bellt der Rapper als Empfehlung. Dazu passt auch der Song »This Is Why We Ride«, auf dem die »violence in the hood« mit den harten Lebensumständen in den Ghettos erklärt wird. Weil das gesellschaftliche Sein eben doch das Bewusstsein bestimmt – und vor der Moral immer noch das Fressen kommt, worauf »The Ski Mask Way« hinweist. Der Song ist ein Gruß an den Rapper 50 Cent und erklärt Überfälle auf die Häuser reicher Kids, die mit ihren Edelsteinen, teuren Klamotten und Sportwagen auf Instagram prahlen, mit der simplen Formel »I gotta get paid« – Ice-T, der toughe Marxist.

Brutale Mordphantasien gehören zur lyrischen DNA von Body Count und bescherten der Band mit dem Song »Cop Killer« (1992) die bis heute größte Aufmerksamkeit ihrer Karriere.

Bemerkenswert im Songtext von »No Lives Matter«, der ersten Single aus »Bloodlust«, ist der Aufruf zur Solidarität mit verarmten Weißen: »It’s anyone who ain’t got cash/poor whites that they call trash/they can’t fuck with us/once they realize we’re all on the same side« – Vorstadtghetto grüßt Trailerpark. Dazu passt der Gastmusiker Dave Mustaine. Der weiße Megadeth-Frontmann ist in den vergangenen Jahren tief in die Verschwörungsphantasien rechtsliber­tärer Evangelikaler abgetaucht. Hinter dem Amoklauf von Aurora 2012 vermutete das Metal-Urgestein den Plan der Regierung Obama, schärfere Waffengesetze zu rechtfertigen. Im selben Jahr trat Mustaine bei Alex Jones’ Infowars auf. Er verweigerte das gemeinsame Musizieren mit Bands, die ihm zu satanistisch schienen; afrikanischen Frauen, die mehr Kinder bekämen, als sie ernähren könnten, empfahl er einen »Stöpsel«. Ein aufrichtigeres Kooperationsangebot an den ökonomisch und intellektuell abgehängten bible belt hätte Ice-T innerhalb des Metal-Genres kaum ­unterbreiten können. Ice-T, der toughe Organisator im Klassenkampf.
Um nicht gänzlich zur politischen Predigt zu verkommen, enthält »Bloodlust« eine große Portion genretypischer Gewaltorgien. Dazu hat die Band sich weitere Metal-Größen eingeladen. Bei »All Love Is Lost« keift Sepultura-Gründer Max Cavalera mit und der imposante Death-Metal-Brecher »Walk with Me …« gewinnt nochmal ordentlich durch das böse brummelnde Feature von Randy Blythe, dem Sänger von Lamb of God. Brutale Mordphantasien ­gehören zur lyrischen DNA von Body Count und bescherten der Band mit dem Song »Cop Killer« (1992) die bis heute größte Aufmerksamkeit ihrer Karriere. Mit Verweis auf den Fall Rodney King beschrieb der Song den Mord an einem Polizisten. Blöderweise war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Präsidentschaftswahlkampf, und so gab es plötzlich lauter Musikexperten in beiden großen Parteien. Vom rechten Pat Buchanan bis zum erwähnten Bill Clinton kritisierten alle den Song, bis das Album schließlich ohne ihn neu veröffentlicht wurde.
Während »Here I Go Again« auf dem jüngsten Album das Phänomen der Brutalität noch auf die ganz persönliche Gedankenwelt eines psychopathischen Serienmörders herunterbricht, erklärt der Song »Bloodlust« das Problem zur menschlichen Konstante, die vom Stammeskrieg bis zur Klimazerstörung alles zu bestimmen scheint. Der Mensch ist pervers und die Situation, in der er lebt, ist es auch. Wer im Bild des Rappers als Vulgärmarxisten bleiben möchte, müsste nun zum Freudomarxismus springen, denn die Texte machen deutlich, dass der Erzähler wie bei Freud nicht mehr »Herr im eigenen Haus« ist. Aber eigentlich sind das auch nur zum Klischee geronnene Genrekonventionen. Da passt höchstens noch der Spruch Antonio Gramscis: »Alle sind Marxisten, ein wenig, unbewusst.« – Auch Ice-T, der toughe Splattertexter.
Ein bisschen pessimistische Misanthropie gehört zum extremen Metal traditionell dazu – und Gründe dafür gibt es genug. »Black Hoodie«, der letzte Song des Albums, erinnert an die jüngsten Fälle von Polizei­gewalt gegen schwarze Jugendliche. Der Refrain zitiert das berühmte »Sound of da Police« von KRS-One. Wo 1993 noch die Polizeisirene dröhnte, knallt jetzt ein Colt. 
Auf »Bloodlust« trifft die lyrische Tradition des HipHop mit ihrer Freude an popkulturellen Zitaten und plakativen Aussagen auf die Wucht und den Groove moderner Metal-Produktionen. Skits und Soundeffekte runden das Erlebnis ab. Das ist eigentlich doch ein Grund zum Optimismus. Die Prognose weltfremder Edelfedern scheint sich zu bestätigen: Nicht alles unter Trump wird schlecht. Immerhin fetzt die Popkultur in der Opposition immer deutlich mehr.

Body Count: Bloodlust (Century Media/Sony)