Infowar à la française
Am Freitag vor der Stichwahl um die französische Präsidentschaft wurden neun Gigabyte Daten über Wikileaks und das Webportal 4chan ins Internet gestellt: E-Mails, Dokumente und vielleicht auch kompromittierendes Material von den Servern Emmanuel Macrons. Dahinter steckte wahrscheinlich der russische Hacker »Fancy Bear«, dessen Gruppe auch schon im US-Wahlkampf eine Rolle gespielt hatte und direkt oder indirekt für Wladimir Putin arbeiten soll. Was angesichts der Umfragewerte kurz vor dem Wahltag wie eine verzweifelte Attacke der Unterstützer Marine Le Pens wirkte, könnte wegen einer Besonderheit des französischen Wahlrechts durchaus so geplant gewesen sein. In Frankreich dürfen am Wahlsonntag und am Tag zuvor weder Kandidaten noch Presse politische Äußerungen im Hinblick auf die Wahl tätigen. Gelangen in dieser Zeit Vorwürfe gegen einen Kandidaten an die Öffentlichkeit, hat dieser praktisch keine Chance mehr, sich zu wehren.
Solche Leaks können den Wahlsieg kosten. Während Hillary Clinton sich erfolglos an immer neuen Verfehlungen Donald Trumps abarbeitete, wies Trump nur mantramäßig auf ihre E-Mail-Affäre hin. Was in diesen E-Mails wirklich steht und ob Clinton sich etwas Nennenswertes zuschulden kommen ließ, ist weiterhin unklar – und mittlerweile auch egal. Irgendwas wird schon drinstehen, zumal der Vorwurf oft genug wiederholt wurde, um haften zu bleiben.
Einem ähnlichen Schicksal wich Macron geschickt aus. Im letzten Moment ließ er verlauten, die veröffentlichten Daten enthielten zahlreiche fakes. So versucht er, nicht als der Beschuldigte in einer unklaren Affäre zu erscheinen, sondern als das Opfer von Fälschern. Der große Datenhaufen, der alles Mögliche enthalten kann, spräche dann nicht mehr gegen, sondern für ihn. Dabei deutet vieles darauf hin, dass Macron nicht bloß auf einen Angriff reagierte, sondern gut darauf vorbereitet war. Sein Wahlkampfteam hatte in den Wochen zuvor zahlreiche Versuche registriert, die Computer der Mitarbeiter mit gut gemachten Phishing-Mails zu hacken. Macrons Team war also vorgewarnt und sein Berater für digitale Kommunikation, der IT-Unternehmer Mounir Mahjoubi, ging in die Gegenoffensive.
Mahjoubi überhäufte nach eigenen Angaben die Absender der Phishing-Attacken mit Daten: falsche und echte Passwörter, falsche und echte Logins, falsche und echte Dokumente. Die Hacker wussten nicht, was genau sie von den Rechnern des französischen Wahlkampfteams erbeutet hatten und ob Daten echt oder gefälscht waren. Dementsprechend reagierte auch Wikileaks auf die Stellungnahme Macrons: Ob die Daten Fälschungen enthalten, könne Macrons Team kaum so schnell geklärt haben, da Wikileaks selbst die Daten noch nicht habe prüfen können. Die Plattform gab damit zu, selbst nicht zu wissen, ob die geleakten Daten überhaupt echt und relevant sind. Vollendet wurde das Chaos, als allerlei Verschwörungstheoretiker im Internet die Idee verbreiteten, es habe gar keinen Hackerangriff gegeben, sondern Macron habe die ganze Geschichte selbst inszeniert. Die französische Öffentlichkeit verlor schnell das Interesse an der mittlerweile recht wirren Geschichte, zumal die Wahl gelaufen war, noch bevor die Medien das Geschehen irgendwie aufarbeiten konnten.
Was Macrons Wahlkampfteam und die französische Öffentlichkeit da erlebten, lässt sich eigentlich nur noch als infowar bezeichnen. Vor allem zeigt die Episode: Hackerangriffen muss man nicht schutzlos ausgeliefert sein. Mit dem richtigen Dreh ist es möglich, die Angreifer mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Das ist auch für Wahlkampfmanager in Deutschland interessant, wenn der Bundestagswahlkampf in die heiße Phase geht.