Die deutsche Linke nach dem Sechstagekrieg

Entfreundet

Mit dem Sechstagekrieg änderte sich schlagartig das Verhältnis der deutschen Linken zu Israel. Die Denunziation derer, die die Naziverbrechen überlebt hatten, als »imperialistische Aggressoren« wirkt bis heute.

Am 9. Juni lud der Deutsche Koordinationskreis Palästina Israel (Kopi) zu einer Konferenz mit dem Titel: »50 Jahre israelische Besatzung – Unsere Verantwortung für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts« nach Frankfurt am Main ein.

Zufällig auf den Tag genau 48 Jahre früher, am 9. Juni 1969, verhinderten Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) einen Vortrag des israelischen Botschafters in Deutschland, Asher Ben-Natan. Zu der Veranstaltung in Frankfurt am Main hatte der Bund Jüdischer Studenten in Deutschland geladen. SDSler beschimpfen damals den Diplomaten als »Faschist« und schrien ihn mit der Parole »Zionisten raus aus Deutschland« nieder. Im Dezember desselben Jahres geschah in Kiel Ähnliches. Ein Vortrag eines israelischen Professors, der über »Forschung und Entwicklung in Israel« sprechen sollte, wurde verhindert. Linke verteilten dort Flugblätter mit expliziten Gewalt- und Vernichtungsphantasien: »Schlagt die Zionisten tot, macht den Nahen Osten rot.«

Seit sich Israel im Sechstagekrieg 1967 militärisch behauptet hatte, war es für den überwiegenden Teil der deutschen Linken ein zentrales Feindbild geworden. Spätestens als der jüdische Staat nicht mehr als schwaches »Opfer« imaginiert werden konnte, schwanden die Sympathien vieler Linker. Nach der neuen Lesart war Israel imperialistisch und rassistisch. Auf der anderen Seite stand das wehrlose und unterdrückte »palästinensische Volk«. So fügte sich der arabisch-israelische Konflikt in das Welterklärungsmuster von legitimen nationalen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt im Kampf gegen den Kolonialismus des Westens ein.

Nach dem Sechstagekrieg gründeten sich in der deutschen Linken zahlreiche Palästina-Komitees. Der SDS, die damals wichtigste Organisation der außerparlamentarischen Linken, übersetzte und veröffentlichte Erklärungen der palästinensischen Fatah zu erfolgreichen Terroranschlägen in Israel.

Bis weit in die Sechziger Jahre hineien hatten gerade Linke, gleich ob sie sich sozialdemokratisch oder sozialistisch verstanden, Israel als den Staat der Überlebenden der Naziverbrechen gesehen, dem die Solidarität galt. Zu Beginn der fünfziger Jahre drang die außerparlamentarische Linke auf die diplomatische Anerkennung Israels und die Zahlung von Entschädigungen an den israelischen Staat. Gerade in der frühen Studentenbewegung führte die Forderung nach Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit zu Solidaritätserklärungen mit Israel.

Entsprechend gab es 1967 in der eher sozialdemokratisch orientierten Linken auch Widerstand gegen die »antiimperialistische« Kehrtwende. Seitens der SPD und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gab es proisraelische Solidaritätsaktionen, an denen sich auch einzelne Ortsgruppen des SDS beteiligten. Die Antizionisten innerhalb des SDS konnten sich allerdings durchsetzen. Seitdem stehen in Deutschland proisraelische Linke im Ruf, staatstragend und reformistisch zu sein, während die Parteinahme für die arabisch-palästinensische Sache den Nimbus der Radikalität erhielt.

Gerade in den studentischen Organisationen wurde der Antizionismus nach 1967 weitgehend Konsens und schlug sogar mehrfach in antisemitische Gewalt um. In Berlin wurden im Jahr 1969 zwei Lokale jüdischer Inhaber zerstört, am 9. November desselben Jahres deponierte die linksradikale Gruppe Tupamaros West-Berlin eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus. Im Bekennerschreiben hieß es, dass das nationalsozialistische Novemberpogrom »heute tagtäglich von den Zionisten in den besetzten Gebieten wiederholt« werde: »Aus den im Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die das palästinensische Volk ausradieren wollen.«

Linke haben das zweifelhafte Verdienst erworben, damals eine neue Form des Antisemitismus erfunden und etabliert zu haben: Antisemitismus legitimiert als antifaschistische Konsequenz aus den Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Opfer von damals seien »die Täter von heute« und Israel sei »nationalsozialistisch«. Dieses Motiv, das auch heute noch beachtliche Zustimmung in der deutschen Bevölkerung findet, ist seit dem Sechstagekrieg fester Bestandteil des antiimperialistischen Repertoires. Die Wochenzeitung der KPD-ML, Roter Morgen, schrieb 1972 über Israel, es sei das »KZ für Araber«. Ulrike Meinhof bezeichnet den israelischen Verteidigungsminister Moshe Dajan nach dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft in München 1972 als »Himmler Israels« und warf Israel vor, es habe seine Sportler »verheizt wie die Nazis die Juden – Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik«.

Doch gerade in Deutschland war es offensichtlich, dass diese Argumentation auf eine Entlastung nationalsozialistischer Täter und Kolloborateure hinauslief. Im deutschsprachigen Raum bildete sich entsprechend eine linke Gegenbewegung. Als einer der ersten hatte 1969 der Widerstandskämpfer Jean Améry mit seinen Mahnungen für Universalismus und Aufklärung eine innerlinke Debatte angestoßen, die seitdem regelmäßig als Reaktion auf die jeweiligen antizionistischen Kampagnen auflebt. Aus diesen Debatten ging schließlich eine dezidiert proisraelische Strömung in der deutschen Linken hervor, wie es sie in dieser Form in keinem anderen Land der Welt gibt. Dass, wie vorige Woche in Frankfurt, neben den Parteien der bürgerlichen Mitte auch Gruppierungen der radikalen Linken zu einer proisraelischen Demonstration aufrufen, wäre in Großbritannien oder den USA kaum denkbar.