David Labude, Politikwissenschaftler, über das Israel-Bild in palästinensischen Schulbüchern

»Es dominiert die Feindbestimmung«

David Labude ist Politikwissenschaftler und Historiker. Er ist Autor einer Studie, die im Auftrag von vier Bundestagsabgeordneten das Israel-Bild in palästinensischen Schulbüchern untersucht hat. Herausgegeben wurde die Studie vom Verein Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB).
Interview Von

Welche Bücher haben Sie für die Studie analysiert?
Das waren die offiziellen Schulbücher für die Fächer Geschichte und »Nationale Erziehung« der Jahrgänge eins bis neun. Eingesetzt werden die insgesamt 15 Bücher an staatlichen sowie vom UN-Hilfswerk UNRWA geführten Schulen im Westjordanland und im Gaza­Streifen. Ihre Inhalte legt maßgeblich die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) fest, die quasistaatliche Enrichtung mit Regierungsfunktionen unter Präsident Mahmoud Abbas. Von 2000 bis 2005 waren die besagten Bücher erstmalig Teil des palästinensischen Kerncurriculums. Eine zweite, teils überarbeitete Auflage wurde von 2011 bis 2014 eingeführt. Auftrag und Unterstützung für die Studie kamen von den Bundestagsabgeordneten Michael Leutert (Linke), Volkmar Klein (CDU), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Johannes Kahrs (SPD).

Warum haben Sie sich gerade Schulbücher angesehen?
Schulbücher sind ein sehr zentraler Indikator dafür, welche Werte eine Gesellschaft an die nächste Generation weitergibt. Sie vermitteln Ideale und Wissen, lehren akzeptierte Formen des Umgangs miteinander und geben Orientierung – gerade auch in Bezug auf andere Kulturen und Nationen. In meiner Studie komme ich allerdings zu dem Ergebnis, dass die aktuellen palästinensischen Schulbücher alles andere als eine Voraussetzung für Frieden, Koexistenz und Verständigung schaffen. Es dominieren sehr eindeutig die Delegitimierung und Dämonisierung des jüdischen Staates.

»Selbst in Mathematik-Büchern, die ich in einer neuen, weiteren Studie miteinbeziehe, werden Viertklässler dazu angehalten, ›Märtyrer‹ zu addieren.«

Worin zeigt sich dies?
In den Büchern wird Israel als unrechtmäßig dargestellt. An keiner Stelle ist eine Karte des jüdischen Staats in seinen heutigen Grenzen abgebildet. Stattdessen umfasst »Palästina« stets das Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer. Israelische Städte wie Akko, Safed und Haifa werden allenfalls als palästinensische touristische Orte gekennzeichnet. Tel Aviv und die bevölkerungsreichste Region, Gush Dan, erscheinen auf keiner Karte. Auch Tiberias und Beit She’an werden als Städte im palästinensischen Jordantal präsentiert. Zudem kollektivieren die Bücher die Israelis, indem durchweg von »der zionistischen Bewegung« geschrieben wird. Dadurch fällt die Heterogenität der israelischen Gesellschaft mitsamt ihrer vielfältigen Widersprüche unter den Tisch. Hinzu kommen teils auch Verschwörungstheorien, wonach die »zionistische Bewegung« in den Vereinigten Staaten Medien und Wirtschaft beherrsche.
Zionisten gelten ausnahmslos als »Kolonisten«, die sich seit Ende des 19. Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit Großbritannien Palästina aneignen und die dortige Bevölkerung vertreiben wollen. Jüdisches Leid ist kein Thema, nicht ein einziges Mal werden Antisemitismus und Shoah erwähnt. Dadurch werden zentrale Momente des Zionismus außer Acht gelassen. Stattdessen glorifizieren die Bücher häufig den auch gewaltvollen »Widerstand« gegen die als aggressiv präsentierten »Besatzer« – Besatzung bezieht sich hier, wie erwähnt, auf »ganz Palästina«. Palästinensischer Terrorismus wird als revolutionär, heldenhaft und als gerechtfertigtes Opfer für die »gute Sache« verklärt. In keinem der Lehrbücher finden sich Textstellen, die für ein einvernehmliches Miteinander plädieren. Im Gegenteil: Selbst in Mathematik-Büchern, die ich in einer neuen, weiteren Studie miteinbeziehe, werden Viertklässler dazu angehalten, »Märtyrer« zu addieren.

Wie präsentieren die Schulbücher den Jischuw, die jüdische Gemeinschaft vor der Staatsgründung?
Die beständige Präsenz meist religiöser Juden in Palästina über die Jahrhunderte findet keine Erwähnung. Juden erscheinen nicht nur als Widersacher, auch ihre Präsenz vor 1948 wird geleugnet. Letzteres zeigt sich unter anderem in der Manipulation von Fotos. So wurde auf einer Briefmarke aus der Zeit des UN-Mandats (1917–1948) die offizielle hebräische Bezeichnung für das Gebiet entfernt. Unter der Abbildung des Jerusalemer Felsendoms ist in diesem Schulbuch nur noch »Palästina« auf Arabisch zu lesen. Ein weiteres Beispiel: In einem anderen Buch wird der Anspruch auf Jerusalem als ausschließlich arabische Stadt geltend gemacht. Im Wohnzimmer einer fiktiven Familie, die die Schüler im Buch kennenlernen, hängt ein Bild mit der Aufschrift »Jerusalem ist unser«. Insgesamt erfahren die palästinensischen Kinder und Jugendlichen weder etwas Substantielles über jüdische Religion und Kultur noch über die plurale, multikulturelle israelische Gesellschaft und die Verfasstheit Israels als demokratischer Staat. Es dominiert die Feindbestimmung.

Palästinensische Institutionen erhalten viel Geld aus dem Ausland. Wie werden die von Ihnen untersuchten Schulbücher finanziert?
Die Finanzierung erfolgt vor allem über die Europäische Union, weshalb das Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) plant, die Studie ins Englische zu übersetzen und in Brüssel vorzustellen. Es steht jeder EU-Mitgliedstaat in der Pflicht. Interessanterweise wird im Impressum der Bücher die Unterstützung durch Italien und Belgien besonders hervorgehoben. Hier scheint es also eine besonders starke Förderung zu geben. Dazu kommt natürlich auch die Bundesrepublik Deutschland. Im Jahr 2015 zahlte sie 91 700 000 Dollar, sie ist der fünftgrößte Einzelspender des UN-Hilfswerks UNRWA, das allein im Gazastreifen 250 Schulen unterhält. Daneben überweist die BRD jährlich 150 Millionen Euro an die PA in Ramallah, wobei unklar ist, für welche Projekte das Geld verwendet wird. Die starke finanzielle Unterstützung von PA und UNRWA bietet die Möglichkeit, Einfluss auf die Inhalte der Bücher zu nehmen. Eine Neugestaltung der Schulbücher haben der palästinensische Bildungsminister Sabri Sidam sowie Ministerpräsident Rami Hamdallah jüngst aber gegenüber der UNRWA erneut kategorisch abgelehnt.

Was fordert das MFFB in Bezug auf die Schulbücher?
Das Bild von Israel und Juden in den palästinensischen Schulbüchern muss grundlegend verändert werden. Erziehung zum Frieden sieht anders aus. Und wenn Geld aus dem Ausland zur Verfügung gestellt wird, dann muss das an Bedingungen geknüpft werden. In den Büchern sollte vermittelt werden, dass Juden legitime territoriale Ansprüche haben – Ansprüche, die sich auch religiös und historisch über die jahrhundertelange Präsenz in der Region begründen lassen. Die Kinder haben etwas Besseres verdient als antiisraelische Propaganda und politische Funktionalisierung.
Zum Vergleich: Israelischen Lehrbücher gehen auf die muslimische und arabische Kultur und Geschichte ein. Zudem sind Toleranz und Koexistenz zwischen den Religionen sowie mit den arabischen Nachbarn – und das schließt die Palästinenser und die israelisch-palästinensischen Staatsbürger Israels mit ein – zentrale Themen. So wird etwa die Nakba, also die palästinensische Vertreibung und Flucht von 1948, die auch so benannt wird, im Geschichtsunterricht thematisiert.

Wie wird Israel in den Schulbüchern der anderen Staaten der Region dargestellt?
Im arabischen Raum und im Iran ist das Israel-Bild bekanntlich sehr negativ und stark von Verschwörungstheorien bestimmt. Studien zeigen, dass beispielsweise die syrischen Schulbücher genauso schlecht und propagandistisch sind wie die von mir untersuchten palästinensischen. Das bestätigten mir auch einige syrische Flüchtlinge, die ich in Berlin im Rahmen von Besuchen israelischer Delegationen kennengelernt habe.
Aber es gibt auch Positivbeispiele: So stellen tunesische Schulbücher aufgrund einer Überarbeitung infolge des »arabischen Frühlings« Israel heute wesentlich neutraler und ausgewogener dar. Ägyptische Schulbücher präsentierten Israel lange Zeit als Widersacher, und auch hier blieb die jüdische Präsenz und Geschichte in der Region unerwähnt. Doch immerhin ist seit Anfang dieses Jahres in einem Schulbuch für die 10. Klasse das ägyptisch-israelische Friedensabkommen von 1979 erstmalig Thema. Die – vielerorts kaum bekannte – Flucht und Vertreibung der Juden aus Nordafrika und anderen Ländern der Region im Zuge der israelischen Staatsgründung bleibt allerdings in der Regel nach wie vor unerwähnt.

Bleibt das auch in den hiesigen Schulbüchern unerwähnt?
Genau. Vor kurzem haben die Scholars for Peace in the Middle East und die Deutsch-Israelische Gesellschaft eine Studie zum Israel-Bild in deutschen Schulbüchern veröffentlicht. Auch hierzulande herrschen erhebliche Defizite. Israel wird häufig nicht als funktionierende Demokratie inmitten einer mehrheitlich feindlich gesinnten Umgebung, sondern als bellizistischer Aggressor dargestellt. Darüber hinaus findet die lebendige israelische Zivilgesellschaft nur wenig Beachtung, ebenso wenig die rechtliche Situation von Homosexuellen, die etwa beim Adoptionsrecht sogar besser als in Deutschland ist. In deutschen Schulbüchern finden sich zudem häufig sachliche Fehler und Auslassungen, die teils verbunden sind mit einer problematischen, unausgewogenen Quellenauswahl und auch begrifflichen Verharmlosungen von palästinensischem Terror. Auch hierzulande böten gute Schulbücher ein enormes Potential für ein aufgeklärtes Israel-Bild.