14.12.2017
Die »Identitäre Bewegung« strebt nach Hegemonie im ländlichen Raum

Die Idiotie des Landlebens

Die »Identitäre Bewegung« in Deutschland und die Initiative »Ein Prozent« wollen ihren Einfluss im ländlichen Raum vergrößern. In Österreich und Italien verfolgen extrem rechte Gruppen dieses Vorhaben schon länger.

Die von Götz Kubitschek, Jürgen Elsässer und anderen Exponenten der Neuen Rechten unterstützte Initiative »Ein Prozent« sammelt wieder einmal Geld. Nachdem sie bislang eher an Wohn-, Musik- und Youtube-Projekte der »Identitären Bewegung« (IB) Spendengeld überwiesen hatte, hat sich der extrem rechte Fundraising-Verein nun offenbar höhere Ziele gesteckt: Die »Arbeitsgruppe ›Netzwerk Landraum‹« soll die rechte Hegemonie in der Provinz ausbauen.

»Fünf Zielgebiete« habe die Arbeitsgemeinschaft ausgewählt, in denen bereits erste Familien aus den »überfremdeten Großstädten« sesshaft geworden seien, heißt es in einem Artikel auf der Website der Initiative, der die Kampagne erstmals detailliert der Öffentlichkeit vorstellt. Der Selbstdarstellungen zufolge geht es darum, Einflussbereiche in ländlichen Regionen abzustecken. »Ein Prozent« wirbt dafür, mit Spendengeldern preiswerte Bauernhöfe, Rittergüter oder leerstehende Fabrikgebäude zu kaufen. Die Familie Kubitschek dürfte beim Lesen dieser Zeilen gerührt gewesen sein, hat sie doch mit ihrem »Rittergut« im sachsen-anhaltinischen Schnellroda offiziell eine Patenschaft für die Kampagne inne.

Auch für jüngere Aktivisten aus dem Umfeld der Identitären sind völkische Siedlungsversuche attraktiv. Ein Beispiel ist Torsten Görke, der Angaben des antifaschistischen Netzwerks »Recherche MD« zufolge im Umland von Wismar mit einer Familie wohnt, die sich im »Sturmvogel« engagiert, einem Ableger der verbotenen nationalsozialistischen Wiking-Jugend. Bei »Ein Prozent« heißt es, das Ziel derartiger Ansiedlungsversuche sei nicht, »geschlossene Siedlungen oder Parallelwelten zu bilden, sondern die neu Niedergelassenen erfahrbar weiträumig zu vernetzen« – gewissermaßen eine »national befreite Zone« light.

»Ein Prozent« sucht aber auch Investoren für bereits funktionierende »Begegnungsstätten und Kulturzentren«. Das muss als Hinweis darauf gedeutet werden, dass es vorrangig nicht darum geht, sofort Dutzende Höfe in der Provinz zu kaufen. Man sucht Mäzene, die mit ihrer Spende »ärmeren Kindern und Jugendlichen« die »Erlernung von Musikinstrumenten«, die »Durchführung von Kursen zur Wiedererlernung von Landwirtschaft und Naturkunde« und Sportunterricht ermöglichen sollen. Angesichts dessen, dass dieses Programm kaum einen Hehl aus seinen völkischen Ursprüngen macht, ist vor allem das letztgenannte Ziel gefährlich.

Mit »Netzwerk Landraum« knüpft »Ein Prozent« inhaltlich an die Jugendarbeit an, die Teile der »Identitären Bewegung« in ländlichen Gegenden Österreichs und Deutschlands bereits seit einigen Monaten erproben. Zwar gelang es in diesem Jahr der IB-Gruppe »Kontrakultur« mit starker Unterstützung von »Ein Prozent«, in Halle an der Saale in unmittelbarer Nähe des Universitätscampus eine Immobilie zu erwerben . Doch in den Folgemonaten zeigte sich, dass das Hausprojekt auch mit Hilfe des AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider nur schwer aus den negativen Schlagzeilen herauskommt. Im November griffen maskierte Identitäre mit Pfefferspray und Baseballschlägern zwei Zivilpolizisten an, die sie für Linke hielten. Die Beamten konnten die Angreifer erst durch das Ziehen der Dienstwaffe zur Räson bringen. Mittlerweile dürfte selbst den Identitären und ihren Finanziers klar sein, dass ein derartiges Projekt nur mit großem finanziellen und personellen Aufwand zu halten ist, der letztlich in keiner Relation zum Ergebnis steht.

Überall dort, wo Politiker staatliche Angebote für jungen Menschen beschneiden, werden extrem rechte Gruppen aktiv.

In der österreichischen Steiermark hingegen zeigten IB-Gruppen in den vergangenen Monaten, dass mit gut koordinierter Arbeit im ländlichen Bereich insbesondere Jugendliche für die reaktionäre Ideologie zu gewinnen sind. Wo Politiker staatliche Mittel für Jugendzentren, Sozialarbeit und andere Angebote für junge Menschen beschneiden, werden extrem rechte Gruppen tätig. Sie fahren Interessierte mit Bussen zum »identitären Stammtisch«, veranstalten Kegel- und Grillabende oder machen gemeinsam mit Jugendlichen Ausflüge. Dass der in Graz zuletzt für die Finanzierung eines Zentrums der Identitären ins Leben gerufene Verein den Namen »Verein für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit« trägt, kann angesichts der beschriebenen Strategie zur Eroberung des ländlichen Raums nicht überraschen. Die Wahl von jungen Menschen unter 30 als Zielgruppe entspricht einem Aktivismus, der sich einer vermeintlich vergessenen »Jugend ohne Migrationshintergrund« annehmen will.

Gerade in strukturschwachen Regionen, in denen es kaum noch Angebote für junge Menschen gibt, ist es relativ einfach, leerstehende Gebäude für derartige Vorhaben zu finden. Angesichts der vorherrschenden Tristesse wird die politische Gesinnung der Anbieter eher selten kritisch betrachtet. Es braucht also vorerst nicht einmal eine eigene Infrastruktur, damit die »Arbeitsgruppe ›Netzwerk Landraum‹« ihre Projekte verwirklichen kann.

Ein Blick nach Italien ist aufschlussreich, um zu erkennen, was derartige Anstrengungen in ländlichen Gebieten erreichen können. Die Neofaschisten der »Casa Pound«-Bewegung betreiben abseits der großen Städte mittlerweile eine Art community organizing von rechts. Sie verteilen Essen und betreiben Projekte mit sozialen Schwerpunkten.

Der ländliche Raum ist für die Kampagne nicht nur deshalb attraktiv ist, weil es wenig Infrastruktur für Jugendliche sowie günstige Immobilien und Grundstücke gibt, sondern auch, weil dort oft ohnehin schon eine große Nähe zur Ideologie der extremen Rechten besteht. In Dörfern beispielsweise, in denen einst schon die NPD und nun die AfD besonders viele Stimmen erhielt, dürften sich die Menschen mit neurechten Nachbarn deutlich leichter tun, als das in Halle oder Berlin der Fall ist.