Der Rekonstruktionismus in Dresden und Potsdam ist populistisch

Ästhetischer Populismus

In Potsdam und Dresden sollen ikonische Bauten der Ostmoderne aus dem Stadtbild entfernt werden. Der stattdessen grassierende Rekonstruktionismus ist Sinnbild einer konservativen Revolution in der Architektur und ihres Ressentiments gegen Reflexion und Erfahrung.

Nach dem Anschluss der DDR setzte sich im konsumorientierten Alltagsbewusstsein rasch das Stereotyp fest, wonach die sozialistische Architektur trist, grau, monströs, einfallslos, gar unmenschlich sei. Statt »Arbeiterschließfächer« mit Fernheizung, Balkon und privatem Bad galten plötzlich Eigenheime und sanierte Altbauwohnungen als Wohntraum im Osten. Mit der überstürzten Flucht aus dem realsozialistischen Alltag ließ sich, meist üppig subventioniert, durch Abriss und Neubau viel Geld verdienen.

Wo bei einem unvoreingenommenen, aufmerksameren und vergleichenden Blick oft die mit detailreicher Kreativität und Sinn für städtebauliche Ensemblegestaltung, Proportionen und Blickachsen geplante Beton-Moderne einer abwertenden Einschätzung zu stark widersprochen hätte, halfen ungünstige Graustufenfotografien und auf Video gebannte Regentage bei der Diskreditierung der kurz zuvor noch weitgehend akzeptierten und beliebten Architektur. »In den grauen Novembertagen tritt die gruselige Tristesse des Schandflecks am Pirnaischen Platz besonders deutlich an die Oberfläche. (…) Unästhetisch, städtebaulich grotesk, ist es schäbiges Wahrzeichen einer untergegangen Diktatur«, heißt es bei »StadtbilDD«, einer Dresdner Bürgerinitiative für kulturelle Identität und regionaltypische Formensprache, die mit kolonialem Blick auf den Postsozialismus schaut. Doch die Behauptung, dass die DDR einen ausschließlich sorglosen Umgang mit dem historischem Bauerbe gepflegt und intakte Gebäude aus reinem Ideologiedrang gesprengt sowie die »gewachsene, kleinteilige Bebauung« am Reißbrett durch »in­spirationslose Funktionsbauten« ersetzt habe, gehört in die Reihe der Mythen, deren Suggestivkraft weiterhin wirkt.

Tatsächlich war der Städtebau der DDR durch zahlreiche Ambivalenzen geprägt und ihre Architektur einem stetigen politisch-ideologischen, aber auch technologischen Wandel unterworfen, der sich in der Vielfalt der Stile und Interessenkonflikte ausdrückte. Städtebauliche Direktiven bewegten sich dabei stets in einem Spannungsfeld von ideologischen Vorgaben, gestalterischer Utopie, sozialen Notwendigkeiten, politischem Legitimationsdruck, ökonomischen Sachzwängen und technischen Pfadab­hän­gigkeiten. Vor allem die zeitaufwendige Konstruktion zentraler Funktionsbauten wie des Dresdner Kulturpalasts oder des Palasts der Republik in Berlin durchliefen angesichts der schnellen Abfolge von Doktrinen langwierige Planungsphasen, in denen fortgeschrittene Entwürfe nicht selten aufgegeben und mehrfach neu konzipiert werden mussten. In den ehemaligen Bezirksstädten der DDR manifestieren sich diese politischen Brüche auffällig in der zentralen Bebauung der großen Magistralen. Drängender Aufbruchsgeist und kleinbürgerliche Behaglichkeit standen in der Architektursprache oft unvermittelt nebeneinander. Doch im Kontrast zu dieser Vielschichtigkeit dominierten in den Debatten um das architektonische Erbe der DDR lange Zeit vereinfachende und vielfach ideologisch überformte Erzählungen, die den sozialistischen Städtebau ebenso holzschnittartig zeichneten wie das zusammengebrochene Gesellschaftssystem.