Die Ausstellung »New Bauhaus Chicago« in Berlin

Vision in Contemplation

Seite 2 – Keine Systematik

 

Allerdings machen die Hängung, das Ausstellungsdesign und die thematische Gruppierung der Schau einen systematischen Zugang zu den Exponaten sehr schwierig. Und auch die Schlagworte taugen kaum zur Orientierung, zumal ein spezielles Fotogramm auch problemlos unter dem Begriff Abstraktion, Figuration oder Standard hätte gezeigt werden können. Es verwundert deshalb auch nicht, dass in der Ausstellung Menschen umherwandern, die in mit einem Fragezeichen ver­sehene T-Shirts gezwängt wurden, um den umherirrenden Besuchern als sogenannte »Live Speaker« kenntnisreich zur Seite zu stehen.

Die Wirkung einer solchen Ausstellung besteht wohl darin, wegen der Mängel an historischer Kontextualisierung das Publikum in eine Art Versenkungsstarre zu versetzen.

Formal spiegelt die Ausstellung das wieder, was sie inhaltlich transportiert: Zum einen will sie sehr ­allgemein über die Geschichte des Institutes of Design informieren, zum anderen wirkt sie seltsam unbestimmt in ihrer Aussage. Abgesehen von einer kurzen Einführung zur Gründung des New Bauhaus 1937, erschließen sich historische Bezüge zu Personen und deren Werke nur schwer. Konflikte zwischen Personen inner- und außerhalb des Institutes of Design, die sich nicht nur in Diskussionen um künstlerische, sondern oftmals auch um finanzielle Angelegenheiten äußerten, bleiben fast vollständig unberücksichtigt. Gerade die zahlreichen Verflechtungen der Institution mit der Industrie hätten gut illustrieren können, inwiefern der von Moholy-Nagy, dem Lehrpersonal und der von denen in der Folge eingesetzten Direktoren konzipierte pädagogische Plan überhaupt umgesetzt wurde und welche Einschränkungen er erfuhr. Der Widerspruch zwischen dem Anspruch des Institutes und dessen realer ökonomischer Situation hätte unter ­anderem zeigen können, mit welchen Schwierigkeiten bei der Durchsetzung eines solchen pädagogisch-künstlerischen Programms gerechnet werden musste.

In »Vision in Motion« sprach Moholy-Nagy von einer Propagandamaschine, die er in Abgrenzung zu einer möglichen Rehabilitation des humanistischen Bildungsbegriffs als »inoffizielle Bildung« charakterisierte. Er beschrieb damit die von ökonomischen und ideologischen ­Interessen dominierte Struktur hinter fast allen kulturellen Erzeugnissen und Institutionen. Die Werbung, das Verlagswesen, die Tagespresse und sogar der Ausstellungsbetrieb seien dafür verantwortlich, dass in die Köpfe des diese Spektakelprodukte rezipierenden Publikums nur Halbbildung in Form ideologischer Beschwichtigungen sickere. Moholy-Nagy über die Interessenvertreter der inoffiziellen Bildung: »Sie füllen die Köpfe mit Stroh und Vorurteilen, sie feuern auf ihre Opfer mit Halbwissen und einem Gemisch aus bedeutsamen und unbedeutsamen Fakten.

Die inoffizielle Bildung hat den Menschen – Arbeitern und Arbeitgebern gleichermaßen – eine falsche Auffassung von ihrer Rolle in der Gesellschaft aufgezwungen. Die Menschen wurden zu Maschinen mit Rekordausstoß auf Spezialgebieten abgerichtet.« Ein Schelm, der behaupten wollte, Moholy-Nagy selbst hätte hier schroff über die fast 70 Jahre nach seinem Tod stattfindende Ausstellung zum New Bauhaus polemisch geurteilt. Doch es zeigt sich, dass zwar nicht der Mythos Bauhaus mit einer solchen Auftaktveranstaltung zum 100jährigen Jubiläum weitergesponnen, jedoch an die damit transportierten ästhetischen Beschwörungsformeln wie Experiment, Spiel, Innovation und freie künstlerische Praxis seltsam unhistorisch erinnert wird. Die Wirkung einer solchen Ausstellung besteht wohl darin, wegen der Mängel an historischer Kontextualisierung das Publikum in eine Art Versenkungsstarre zu versetzen. Viele Fotos und wenig Text führen nicht unbedingt zu einem Sehen in Bewegung. Dafür aber umso mehr zu einer Art Vision in Contemplation.

 

New Bauhaus Chicago. Experiment Fotografie und Film. Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung, Berlin. Die Ausstellung ist noch bis zum 5. März zu sehen.