Die sächsische CDU bereitet rechtem Gedankengut den Weg

Blühende Sumpflandschaften

Seite 2 – Der Opfermythos ist in die kollektive Identität eingegangen

 

Seit den neunziger Jahren befeuert sie gemeinsam mit den heimischen Medien einen identitären Heimat- und Opferdiskurs. Kinder, die während der Hochwasserkatastrophen geboren wurden, heißen beim MDR »Flut­kinder«; eine Abendserie trägt den Titel »Wem gehört der Osten?« Das Gefühl, betrogen worden zu sein, mochte in der Nachwendezeit angesichts der Zer­störung der ostdeutschen Wirtschaft noch eine gewisse Berechtigung ­haben. Die Sachsen verschafften der dafür maßgeblich verantwortlichen CDU allerdings auch bei den Landtagswahlen 1994 und 1999 die absolute Mehrheit. Mittlerweile ist der Opfermythos fraglos in die kollektive Identität eingegangen. Einer Studie im Auftrag der Sächsischen Zeitung zufolge sehen sich zwei Drittel der Sachsen als Bürger zweiter Klasse. Selbst Jugendliche, die zehn Jahre nach der Wende geboren wurden, fühlen sich verraten und »ihrer« Geschichte beraubt. Ihr Hass auf Migranten entsteht aus dem Gefühl der Konkurrenz; der Befürchtung, dass ­diese den Platz einnehmen könnten, den sie nie hatten. Der völkische Stolz ergänzt die Opferidentität: »Deutscher von Geburt, Sachse von Gottes Gnaden«, konnte man im Meißner Sozialausschuss auf dem T-Shirt eines CDU-Kreisrats lesen.

Die von der CDU seit Jahren in Anpassung an die sächsischen Verhältnisse praktizierte rechte Politik hat nicht die Rassisten zivilisiert, sondern eine ­rechte Hegemonie geschaffen. Statt den braunen Sumpf auszutrocknen, wie es Kretschmer 2015 im Bundestag nach den rassistischen Pogromen in Sachsen gefordert hatte, steht die CDU knietief darin und schaut zu, wie die sächsischen Verhältnisse fortwährend schlimmer werden. Mit ihrem stolzen Gerede von Heimat und Identität hat sie den Boden bereitet, auf dem nun die Gewalt gedeiht.

Kretschmer ist offenbar fest entschlossen, seine Politik der Integration des rassistischen Milieus fortzuführen, obwohl immer deutlicher wird, dass sich die CDU damit selbst abschafft. Die CDU kann als »Altpartei« das völkische Bedürfnis nicht befriedigen. So wird die sächsische Union nach den Landtagswahlen im Sommer 2019 möglicherweise nicht nur vor der Frage stehen, ob sie entgegen den bisherigen Erklärungen doch mit der AfD koaliert, sondern sogar vor der, ob sie bereit ist, als Juniorpartner einem AfD-Ministerpräsidenten zu dienen. Am Beispiel Sachsens kann man erkennen, dass runde Tische mit Nazis und der Versuch, das rassistische Milieu zu integrieren, den Rechtsextremismus nicht schwächen,  sondern nur dessen gesellschaftliche Relevanz erhöhen.

Vor allem aber sollten die sächsischen Verhältnisse eine Warnung sein. »Ich sehe die Ostdeutschen als Seismographen. Hier formt sich eine öffentliche Meinung, die sich später oft bundesweit durchsetzt«, hatte Kretschmer vor drei Jahren mal erklärt. Diese Drohung sollte man ernst nehmen. Denn zumindest in der Flüchtlings- und Migrationspolitik scheint sie sich bereits zu bewahrheiten. »Was gestern als Unverschämtheit galt, ist heute Gesetz«, schob Kretschmer damals stolz hinterher, mit Blick auf Forderungen der sächsischen CDU nach weiteren Verschärfungen des Asylrechts, die sich später in den verschiedenen »Asylpaketen« der Bundesregierung wiederfanden. Sollte die Große Koalition zustande kommen, wird Horst Seehofer (CSU) als Heimat- und Innenminister, der von der Ablehnung der »Ehe für alle« über Forderungen nach Obergrenzen bis zur Bewunderung für Viktor Orbáns Grenzzäune vieles mit Kretschmer ­gemeinsam hat, zeigen, dass die sächsischen Verhältnisse längst auch die deutschen sind.